Es hatte nichts miteinander zu tun, hätte aber vom Timing nicht besser zusammentreffen können. Mitte vergangener Woche diskutierten Journalistinnen und Journalisten der "New York Times", des "Wall Street Journal", der "Huffington Post" und der Nieman Foundation über die Zukunft des Journalismus. Eine zentrale Überlegung: Journalismus muss sich seiner Basis als Handwerk, "as a blue-collar profession", besinnen.
Parallel gelingt der Pressestelle der TU München mit einem als Pressemitteilung verschickten Interview der Ordinaria für Automatisierung, Professorin Birgit Vogel-Heuser, so etwas wie ein PR-Coup. Vier Fachmedienhäuser bzw. Medien, Konstruktionspraxis (Vogel Business Media), Produktion (Verlag Moderne Industrie), Scope (WEKA Businessmedien) und Verfahrenstechnik (Vereinigte Fachverlage), veröffentlichen diese Pressemitteilung in ihren Onlineportalen wörtlich, ungekürzt, ohne Quellenangabe und teilweise noch als von einem Redakteur betreut.
Unabhängig vom Ansehen und der Reputation der "interviewten" Expertin, Prof. Vogel-Heuser, unbenommen der Relevanz des Themas Industrie 4.0 und unbenommen des zeitlichen Drucks in Redaktionen: Diese journalistische Praxis ist fragwürdig. Und: Es zeigt, wie dringend sich Fachjournalismus gerade im B2B-Segment verändern und sich seines journalistischen Handwerks erinnern muss.
Hierzu drei Argumente: Information, Wissen, Innovation.
1. Information und Glaubwürdigkeit. Medien sind (noch) eine der wichtigen Quellen für Information. Die Diskussion um das postfaktische Zeitalter illustriert allerdings überdeutlich, dass Medien Gefahr laufen, ihre Stellung als glaubwürdige Instanz zu verlieren. Glaubwürdigkeit setzt voraus, dass Rezipienten auf journalistisches Handwerk verlassen können. Sorgfältiges Prüfen von Quellen, Transparenz ob der Quellenlage herstellen und für die Zielgruppe die relevanten Inhalte selektieren. Selbst wenn die Äußerungen der Expertin so zentral, so einzigartig sind, dass genau diese Wortlaute übernommen werden müssen, dann machen sich Fachmedien mit dem intransparenten Übernehmen von Pressematerial unglaubwürdig. Nachdem dies in mehreren Medien geschah, stellt sich die Frage, ob sich die einzelnen Plattformen und Medien nicht im Wettbewerb sehen und sich nicht unterscheiden wollen. Das führt zum nächsten Argument: Einordnen von Informationen.
2. Wissen und Kompetenz. Informationen sind in einer Wissensgesellschaft nicht genug. Studien über das Informationsverhalten von Entscheidern belegen, dass Daten, auch Informationen, ohne Interpretation und Einordnung wenig nutzen. Und vor allem nur die Übermittlungskanäle verstopfen. Gefragt ist das Inbeziehungsetzen von Ereignissen, Fakten und Informationen - zueinander, in einen größeren Zusammenhang oder gar über das jeweilige Spezialfeld hinaus.
Das setzt natürlich fachliche Kompetenz in den Redaktionen voraus und gute Netzwerke zu Expertinnen und Experten, um Dinge hinterfragen und einordnen zu können. Das setzt das Handwerk Recherche und Sorgfalt voraus. In der Wissensgesellschaft ist das zentrale Gut "Wissen" und nicht "Information". Das als Beispiel angeführte Interview hat die TU München auf ihren eigenen Medienportalen, wie dem Digital Manufacturing Magazin, veröffentlicht. Die Information wird also von den Organisationen selbst verbreitet. Journalismus schafft Wissen durch Bearbeitung von Information, das ist entscheidend für den Wirtschaftsstandort und führt zum dritten Argument.
3. Innovation und Meinung. Keine politische Äußerung, kein Unternehmensstatement kein Forschungsprogramm kommt ohne die Vokabel "Innovation" aus. Industrie 4.0 wird als eine solche Innovation gehandelt, die helfen soll, den Wirtschafts- und Wissensstandort Deutschland zu sichern und weiterzuentwickeln. Insofern war es, so könnte man argumentieren, wichtig das Interview schnell zu verbreiten. Nur: Dem Begriff Industrie 4.0 liegt keine Definition zugrunde. Der Begriff und die mit Industrie 4.0 verbundenen Technologien kristallieren sich erst durch die Debatten und Meinungen heraus und entwickeln Trennschärfe für ein Technologiefeld. Märkte für Innovationen entstehen erst durch Bekanntwerden und die Diskussion von Eigenschaften dieser Innovationen. Und das setzt wiederum einordnenden und kommentierenden Journalismus voraus, der fachlich und gesellschaftlich einen Gestaltungsdiskurs ermöglicht.
Digitalisierung ersetzt nicht journalistische Handwerkskunst.
Das zitierte Beispiel des Interviews als Pressemitteilung trifft jetzt aktuell die vier benannten Medien. Es ist aber eher symptomatisch für das fachjournalistische Agieren. So macht sich Fachjournalismus überflüssig. Gerade unter den Vorzeichen von Digitalisierung könnte man zugespitzt formulieren, das Kopieren einer Presseinformation hätte ein Algorithmus ebenso geleistet. Billiger und noch schneller. Das Übermitteln von Informationen kann automatisiert werden. Das Einordnen und Bewerten ist noch eine originäre journalistische Leistung.
Digitalisierung heißt nicht, Quellen schnell kopieren und Post schnell als Journalismus veröffentlichen zu können. Digitalisierung heißt, Onlinequellen, Social Networks oder Portale für Journalismus zu nutzen. Wie das gehen kann, zeigt die Berichterstattung über den Einstieg von Tesla beim Anlagenbauer Grohmann-Engineering. Tesla und Grohmann versenden keine Pressemitteilungen, sie twittern.
"Elektroniknet", war das Fachmedienportal, das diese Tweets aufnahm und wo Robert Weber das Geschehen in einem journalistischen Kommentar einordnete. Es wird Zeit, dass sich Fachjournalismus vor allem im B2B-Segment wieder dieser und der anderen grundlegenden journalistischen Handwerkskunst besinnt. Sonst diskutieren wir nicht nur die menschenleere Fabrik, sondern auch die menschenleere Redaktion. Diese Diskussion ist überflüssig - hoffentlich.
Autor: Volker M. Banholzer
Zur Person: Prof. Volker M. Banholzer leitet den Studiengang Technikjournalismus/Technik-PR an der TH Nürnberg und forscht zu Innovationskommunikation und Gestaltungsdiskurs Industrie 4.0
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