Ippen-Digital-CTO Markus Franz ist begeistert von den neuen Möglichkeiten. 20 Anwendungen zu KI & Automatisierung in den Medien, die Führungskräfte kennen sollten.
PR Report: Können Sie hacken, Herr Kammerer?
Patrick Kammerer: Nur Petersilie. Warum?
PR Report: Man könnte sagen, dass Sie mit Ihrem Tweet vor einem Jahr Twitter gehackt haben. War dieser Tweet eine bewusste Provokation der gut vernetzten rechten Wutbürger, um über einen kühl kalkulierten Shitstorm Coca-Cola als weltoffene Marke mit Haltung in Szene zu setzen?
Kammerer: Falls jemand behauptet, dass er in einer Viertelstunde einen Masterplan entwerfen kann, der letztlich zu fast 450 Millionen Impressions führt, würde ich gründlich prüfen, ob das stimmt. Zu meiner Zeit bei Nike oder Shell hatten wir bei schwierigen Medienanfragen häufig 12 Stunden, um zu antworten. In diesem Fall sprechen wir eher von 12 Minuten. Unsere reichweitenstarken Kampagnen planen wir sonst Monate im Voraus.
PR Report: Ihr Tweet setzte eine Mechanik in Gang: Die Empörung der einen Seite und der Applaus der anderen feuerten die Algorithmen an, klassische Medien griffen das Thema auf. Es passierte das, was viele Kommunikatoren wollen: Ihre Botschaft ging viral - nicht durch eine teure Kampagne, sondern durch einen einzigen Tweet. Das hatten Sie als möglichen Effekt nicht im Hinterkopf?
Kammerer: Doch, aber nicht in dieser Dimension. Mir war klar: Haltung zu zeigen bedeutet, dass es viele Reaktionen geben wird. Letztlich war der Tweet ein kalkuliertes Risiko.
PR Report: Versetzen wir uns zum besseren Verständnis ein Jahr zurück. Es ist Montag, der 3. Dezember 2018. Matthias Borowski, Sprecher der grünen Berliner Wirtschaftssenatorin Ramona Pop, twittert um 9:28 Uhr ein Foto eines von Aktivisten aufgestellten Weihnachtsplakats, das samt Logo aussieht wie eine Coca-Cola-Werbung und auf dem steht: "Für eine besinnliche Zeit: Sag Nein zur AfD!" Er kommentiert dieses Foto: "Ganz stark, @Coca-Cola_de". Wie und wann sind Sie auf Borowskis Tweet aufmerksam geworden?
Kammerer: Etwas mehr als zwei Stunden danach. Unser Consumer Interaction Center hat ihn im SocialMedia-Monitoring wahrgenommen und uns gemeldet. Zu diesem Zeitpunkt gab es sekündlich Likes und Kommentare für Borowskis Tweet. Wir haben zunächst eine Bestandsaufnahme gemacht: Von wem kommt der Tweet? Ist das Plakat von uns? Auch und vor allem unter Druck ist es wichtig, genau auf die Fakten zu schauen. Schnell war klar, dass wir uns äußern müssen.
PR Report: Rund 2 ½ Stunden nach Borowskis Tweet folgte Ihre Antwort in Form eines kommentierenden Retweets über Ihr persönliches Profil: "Nicht jedes Fake muss falsch sein." Diese sechs Wörter waren also eine schnelle, aber keine spontane Reaktion?
Kammerer: Ich denke oft zwei Minuten nach, bevor ich auf Fragen mit großen Implikationen antworte. Für Tweets, die polarisieren könnten, gilt bei uns deshalb das Sechs-Augen-Prinzip. Das schließt Tweets mit Bezug zum Unternehmen auf meinem persönlichen Profil ein.
PR Report: Wem gehören die anderen beiden Augenpaare?
Kammerer: An diesem Tag waren es zwei Kolleginnen: Lisa Winter und Claudia Wurm. Das wechselt aber. Unser Team arbeitet bewusst sehr generalistisch. Jede und jeder muss in der Lage sein, eine Medienanfrage zu beantworten, ein Visual auszusuchen und einen Tweet zu verfassen. Übrigens setzen wir auch sonst keine Idee von mir um, von der nicht mindestens die Hälfte des Teams überzeugt ist. Denn dann wäre die Wahrscheinlichkeit, dass ich falsch liege, ziemlich hoch - mag ich selbst noch so sehr davon überzeugt sein. Bei diesem Tweet ist mir die Antwort schnell eingefallen. Ich habe den Kolleginnen gesagt: "So könnten wir es machen, es ist aber riskant, schaut es euch an."
PR Report: Was wollten Sie mit Ihrem Tweet erreichen?
Kammerer: Erstens mussten wir klarmachen, dass das Plakat eine Fälschung ist. Markenrechtsverletzungen kann kein Unternehmen durchwinken. Zweitens haben wir nach einer Reaktion auf Borowskis Tweet gesucht, die nicht platt legalistisch ist. Mein Tweet ging an die Grenze. Er ist so formuliert, dass er sie nicht überschreitet. Das ist unser grundsätzlicher Anspruch: auf Twitter keine toxischen Fetzen zu produzieren. Ich finde es intellektuell rechtschaffen, für eine Position einzutreten, ohne dabei zu behaupten, man habe sicher recht. Die Kommentare zeigen: Es ist offenbar diese Schwebe, die viele angesprochen hat.
PR Report: Borowski hat in seinem Tweet den Hashtag #noafd verwendet, Sie nicht. Warum nicht?
Kammerer: Coca-Cola spricht sich grundsätzlich nicht für oder gegen eine politische Partei aus. Deswegen war der Tweet so schwierig. Wir nehmen aber zu gesellschaftlichen Entwicklungen Stellung und beziehen immer wieder Position. In der Regel ist das für etwas. Wer für etwas ist, muss dann auch manchmal Haltung zu etwas beziehen, das dem positiven Anliegen entgegensteht. Die Entwicklung in Deutschland in den vergangenen Jahren leistet Rassismus Vorschub und fördert Ausgrenzung. Dazu äußern wir uns, weil wir für Toleranz und Inklusion eintreten, weil wir immer wieder hervorheben, was uns Menschen verbindet und nicht, was uns trennt.
PR Report: Warum haben Sie über Ihren persönlichen Account geantwortet und nicht über das Firmen-Profil, das Ihren Tweet später retweetet hat?
Kammerer: Generell gilt: Jemand, der uns vor großem Publikum direkt adressiert, bekommt von uns eine Antwort - ob er uns Lob ausspricht oder uns mit Kritik konfrontiert. Und in diesem Fall fanden wir es richtiger, dass ein Mensch einem Mensch antwortet. Mit dem Retweet haben wir meinem Satz einen Kontext gegeben: den des Unternehmens, das seit Jahrzehnten für Grundwerte wie Vielfalt und Respekt einsteht und diese Haltung auch immer wieder, unter anderem in Werbeanzeigen, gezeigt hat.
Was Patrick Kammerer am Journalismus verbesserungswürdig findet, warum Marken für Werte eintreten müssen, wenn sie wachsen wollen - und wieso es in Ordnung sein kann, sich Feinde zu machen.
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Der PR Report erscheint wie kress.de im Medienfachverlag Oberauer. Chefredakteur ist Daniel Neuen.
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