"Für Journalisten war es heute nicht möglich, sich ein eigenes Bild von der Lage in Butscha zu machen", sagte ARD-Reporter Georg Restle am Sonntagabend in der Tagesschau und löste damit einen Dissens unter den Kriegsreportern in der Ukraine aus. kress.de berichtete von der Debatte.
Auch am Montagabend gab es nach der Hauptnachrichtensendung im Ersten viel Diskussionsbedarf bei den Journalisten von Bild, Spiegel und ARD.
So twitterte Filipp Piatov, Leiter Meinung/Debatte bei Bild:
"Die Tagesschau spricht über #Bucha von 'mutmaßlichen Gräueltaten', 'mutmaßlichen Kriegsverbrechen'. Der Korrespondent, der natürlich nicht vor Ort war, erklärt, dass er die Vorwürfe gegen die russischen Armee 'nicht verifizieren' könne. Lawrow darf ohne Einordnung lügen."
Mathieu von Rohr, Leiter des Ressorts Ausland beim Spiegel, kommentierte: "NDR Info spricht von 'mutmaßlichen Gräueltaten in Butscha'. Damit ist man auf der sicheren Seite, würd ich sagen."
Darauf antwortete Bild-Kriegsreporter Paul Ronzheimer: "Das passiert, wenn man niemanden vor Ort hat. Auch das bleibt eine Wahrheit."
Ronzheimer spricht damit - wie oben Filipp Piatov - indirekt ARD-Reporter Georg Restle an, der auch in der Montags-Tagesschau aus der Ukraine zugeschaltet war.
Restle ist auf Twitter in den letzten 48 Stunden sehr kommunikativ und auch selbstkritisch unterwegs. "Ja, ich hätte präziser formulieren sollen. Ärgert mich selbst". "Das ist ja nun offensichtlich, dass einigen Journalisten da [in Butscha] waren." Er beteuert: "Ich will niemandem in den Rücken fallen. Im Gegenteil: Ich bin einige Zeit in der Ukraine unterwegs und respektiere die Arbeit aller Kolleg*innen, die hier ihren schweren Job machen, sehr. Wollen wir und nicht wieder damit befassen, worauf es ankommt? Dem Horror dieses Krieges."
Restle, der Redaktionsleiter der ARD-Sendung "Monitor" ist, schaltet sich auch in die neuerliche Diskussion um die Tagesschau vom Montagabend ein:
"Auch wenn sich einige daran stören: Natürlich reden wir von 'mutmaßlichen Kriegsverbrechen', solange es keine Untersuchung der Gräueltaten von Butscha oder anderen Orten gegeben hat. Dies gebieten die rechtsstaatlichen Prinzipien, die uns von Staaten wie Russland unterscheiden."
Kriegsverbrechen seien klar definiert. Nicht jede Tötung von Zivilisten sei per se ein Kriegsverbrechen. Um solche aufzuklären, gebe es unabhängige Kriegsverbrechertribunale, wie sie jetzt auch von der ukrainischen Regierung gefordert würden. "Völlig zu Recht!", findet Restle.
Er stellt klar: "Ich sprach [in der Tagesschau zugeschaltet] nicht von 'mutmaßlichen Gräueltaten', sondern von 'mutmaßlichen Kriegsverbrechen'. Was einen erheblichen Unterschied macht."
Und Restle findet die von Tagesschau-Sprecher Jens Riewa verwendete Formulierung unglücklich: "Stimmt: Mutmaßliche Gräueltaten sollte man nicht sagen. Es waren Gräueltaten. Furchtbare."
Auch ein ehemalige Kriegsreporter hat sich inzwischen in die Debatte eingeschaltet. Julian Reichelt meint: "Mutmaßlich-Gate ist ein historisches Debakel für ARD und ZDF. Es wirft die existenzielle Frage auf, warum der ÖRR mit neun Milliarden Euro Zwangsgebühren nicht verifizieren kann, was die ganze Welt sieht, was unzählige Reporter sehen, und Gräueltaten als 'mutmaßlich' verharmlost."
Auch in der Bild-Zeitung wird der Ton gegenüber der ARD rauher. Unter den meistgeklickten Beiträgen ist am Dienstag die Story: Die Öffentlich-Unredlichen - ARD blamiert sich dreifach mit Ukraine-Berichterstattung. Dort heißt es: "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk reiht in der Ukraine-Berichterstattung gerade einen Skandal an den nächsten."

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