"Was denkt Giovanni di Lorenzo, der Chefredakteur der Zeit, über Politiker, die er für unfähig hält? Flucht er manchmal über sie? Hegt er hässliche Gedanken über Ossis, Muslime oder Angela Merkel?´Was schreibt Steffen Klusmann vom Spiegel im Vertrauen, wenn er sich ärgert? Gestattet er sich Schimpfwörter? Hat Wolfgang Krach, der Chefredakteur der Süddeutschen Zeitung, jemals eine SMS verfasst, von der er sich wünscht, er hätte sie nie geschrieben? Nein, nein, nein. Ich bin sicher, diese Zeitungsführer schreiben auch in ihren schwärzesten Stunden so, dass es sich jederzeit für einen Leitartikel eignen würde. Niemals würde ihnen ein Wort wie 'ficken' über die Lippen, geschweige denn in die Tastatur kommen."
Jan Fleischhauer, selbst 30 Jahre beim Spiegel, hat aus seiner jüngsten Focus-Kolumne Worum es bei dem Angriff auf Springer-Chef Döpfner in Wahrheit geht eine Medienkritik gemacht. Giftig merkt Fleischhauer in Richtung der Redaktionslenker von Zeit, Spiegel und SZ an: "Selbstverständlich würden sie noch unter dem härtesten Einfluss von Alkohol oder anderer potenziell toxischer Substanzen in perfekter Orthografie darauf beharren, dass man auf keinen Fall ganze Volksgruppen über einen Kamm scheren dürfe. Schon gar nicht kämen sie auf die Idee, politische Gegner in die Opposition zu wünschen oder ihre Zeitungsmacht zu nutzen, damit sie dahin zurückkehren."
Hintergrund sind die viel diskutierten Enthüllungen der Zeit über Springer-Chef Mathias Döpfner. So einen Freudentag habe man im übrigen Mediendeutschland (außerhalb von Springer) seit Langem nicht mehr erlebt, bemerkt Fleischhauer im Focus. Die "brave SZ" sei so sehr von einer Ohnmacht in die andere gefallen, dass sie der Causa über zehn Artikel gewidmet habe, darunter ein Streiflicht, eine Seite drei, einen Kommentar und zwei Medienaufmacher, zählt Fleischhauer auf - und ergreift selbst Partei für Döpfner: Dieser sei kein so beherrschter Mensch wie seine Journalistenkollegen. Er habe, wie man spätestens jetzt wisse, ein überraschend entflammbares Temperament, das sich gelegentlich auch in Flüchen und Schimpfkanonaden entlade.
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Fleischhauer argumentiert: "Darf man Ostdeutsche als Faschisten und intolerante Muslime als Gesocks bezeichnen? Natürlich darf man das. Es ist ungerecht, es ist unmanierlich, aber solange man damit nicht an die Öffentlichkeit tritt, liegt kein Grund für irgendwas vor. Wie heißt es so schön: Die Gedanken sind frei. Private Mails und Textnachrichten sind es auch." Wenn es darum ginge, eine Begründung zu liefern, warum man auch Sachen veröffentlicht, die man eigentlich nicht veröffentlichen sollte, seien Medien schon immer kreativ gewesen. Im Zweifel erfinde man irgendein "überragendes öffentliches Interesse", dem man diene.
Der Focus-Kolumnist stützt sich in seiner Kritik auch auf einen Kommentar des Chefs der NZZ in Deutschland, Marc Felix Serrao. Dieser schrieb zum Fall Döpfner:
Der viel zitierte Bericht der "Zeit" über Mathias #Doepfner illustriert, wie ein Medium durch einen Mangel an Distanz und Differenziertheit zum Spielball von Informanten werden kann. Das Ergebnis ist schlechter, unfairer Journalismus.
SMS von Mathias Döpfner hat nach eigenen Angaben auch Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt erhalten, mit denen er jetzt seinen Chef vom Vorwurf, mit der FDP zu sympathisieren, entlasten will. Poschardt "enthüllt" auf Twitter:
"Der Witz ist, dass die SMS, die ich von MD bekommen habe in den letzten Monaten vor allem genau das waren: Begeisterung für @Die_Gruenen, für @ABaerbock wegen #Ukraine, Kritik an meiner Grünenkritik. Wir hatten herrliche Kontroversen. Wie immer."

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