Das Medienjahr 2011 - Gebühren ohne Reue

Wer Springer-Chef Mathias Döpfner bei den Medientagen München und beim BDZV-Zeitungskongress 2010 zugehört hat, der weiß, dass er eine weitere offene Frage am liebsten im Jahr 2011 lösen würde. Freilich wird das eine echte Herausforderung: Es geht um nicht weniger als die Befriedung des Verhältnisses der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu den privaten Medien.

29. Dezember 2010 um 12:01

Werner Lauff

Wer Springer-Chef Mathias Döpfner bei den Medientagen München und beim BDZV-Zeitungskongress 2010 zugehört hat, der weiß, dass er eine weitere offene Frage am liebsten im Jahr 2011 lösen würde. Freilich wird das eine echte Herausforderung: Es geht um nicht weniger als die Befriedung des Verhältnisses der öffentlich-rechtlichen Anstalten zu den privaten Medien. Döpfner, die anderen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger sowie die Geschäftsführer der privaten Sender sind seit Jahren zu Recht der Auffassung, dass ARD und ZDF ihre Grenzen immer weiter ausdehnen. Drei Ereignisse haben im Jahr 2010 die Diskussion darüber geradezu vergiftet: das Online-Gutachten von Hans-Jürgen Papier, der Abschluss der Drei-Stufen-Tests durch die Anstaltsgremien ohne erkennbare wesentliche Beschränkungen und die Ankündigung einer iPhone- und iPad-App der "Tagesschau". Mit allen drei Maßnahmen zerstob ein Fünkchen Hoffnung aus dem Jahr 2009. Die Ministerpräsidenten hatten im 12. Rundfunkänderungsstaatsvertrag auf Drängen der Verlage die Formulierung akzeptiert, ARD und ZDF dürften im Internet keine "nicht sendungsbezogenen presseähnlichen Angebote" verbreiten. Dass sich das als Rohrkrepierer erweisen würde, war von Anfang an zu befürchten.

Schon die Reaktionen der Intendanten waren von verstohlener Freude gekennzeichnet. Nach außen gaben sie zwar zu Protokoll, das sei eine harte Restriktion; intern aber beauftragten sie Hans-Jürgen Papier, den privaten Medien ob der unklaren Formulierung richtig eins auszuwischen. Dass er argumentierte, presseähnliche Angebote seien nur solche, die genau wie Presse - also eine Zeitung oder Zeitschrift - aussähen, hat dabei noch nicht einmal überrascht. Dass er aber das Internet - wie zuvor schon einmal ZDF-Justitiar Carl-Eugen Eberle - zur Fortsetzung des Rundfunks mit anderen Mitteln erklärte, auf das sich der Auftrag der Anstalten quasi naturgemäß erstrecke, wohingegen die Presse dort eigentlich gar nichts zu suchen habe, das ging viele Schritte über das Ziel hinaus. Für diese Haltung von ARD und ZDF ist Hochmut ein zu mildes Wort. Döpfners Signal an ARD und ZDF, alte Grabenkämpfe zu beenden und völlig neu über ein für alle Seiten akzeptables Wettbewerbsverhältnis zu sprechen, ist angesichts dieser Vorgeschichte überraschend unkonventionell und unvoreingenommen. Die Anstalten sollten diesen Vorstoß ernst nehmen. Dies gilt umso mehr, als es im Jahr 2011 darauf ankommt, die zur Haushaltsabgabe mutierende Rundfunkgebühr akzeptabel zu machen. Wer erreichen will, dass Deutschlands Bürger und Unternehmen Quartal für Quartal  Gebühren entrichten, ohne dies jedes Mal von Neuem zu bereuen, muss für eine klare, dauerhaft haltbare Rollendefinition sorgen. Die Anstalten sind dazu auf dem falschen Weg; ihr bad-guy-game ist kontraproduktiv.   Wünsche ohne Widerhall Das unbeirrte Vorgehen von Google bei seinem Stadtplandienst StreetView, die zunehmend unangefochtene Marktstellung von Facebook und die Dominanz von Apple bei den neuen mobilen Geräten haben im Jahr 2010 verdeutlicht, dass sich die Weltordnung verändert. Alle drei Firmennamen sind Zeugnis nahezu müheloser Globalisierung. Keines der Unternehmen lässt sich in einen nationalen gesellschaftlichen oder politischen Kontext einbinden. Und jeder der Namen steht für eine im Medienbereich bislang unbekannte Autarkie.

Das wird hin und wieder auf fast pittoresque Weise deutlich. Der VDZ schreibt an Steve Jobs -  und bekommt keine Antwort. Eine Ministerin kündigt öffentlich ihre Facebook-Mitgliedschaft - doch Mark Zuckerberg greift nicht zum Telefon. Helmut Markwort vergleicht bei den Medientagen Philip Schindler mit dem Teufel in Beau-Gestalt - doch der lächelt unvermindert selbstbewusst.

Die meisten Sorgen, Anmerkungen und Wünsche an Google, Facebook und Apple bleiben ohne Widerhall. Dies liegt vor allem am Gesetz der großen Zahl. Wäre Facebook ein Land, stünde es einwohnermäßig an dritter Stelle hinter China und Indien; der Dienst versorgt quasi ein ganzes Volk mit Funktionalität. Folgt Apple Vorschlägen zur Veränderung von Provisionen, betrifft dies auf einen Schlag hunderttausende Apps und wirkt sich auf Milliarden kostenpflichtiger Downloads aus. Bei solchen Zahlen führt man nicht einfach mal eben eine Veränderung durch, nur weil dies von irgendwoher brieflich beantragt wird. Wie man damit umgehen soll, ist eine Ende 2010 noch offene Frage. Im Grunde gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder schaffen die Kritiker und Petenten endlich multinationale Organisationen, die die Interessen ihrer Mitglieder effektiv bündeln, auf Augenhöhe verhandeln und dabei auch die Kompetenz haben, mit Sanktionen zu drohen - ein Weltverband privater Fernsehsender etwa oder eine Welt-Allianz der Mediaagenturen. Oder sie stellen ihre Kritik und ihre Petitionen ein und konzentrieren sich auf die Möglichkeiten, die die Plattformen der drei Player bieten.

Ihre aktive Nutzung muss ja nicht in gehorsame Unterwürfigkeit ausarten; man kann auch neue Ideen entwickeln und Grenzen austesten. Die Beispiele Skype und Pubbles auf iPhone und iPad zeigen, dass man Restriktionen - Stichworte sind Provisionen, Kundenbeziehung und Abonnement-Verlängerung - mit Detailkenntnis überwinden kann. Auch die Chancen, die Google mit Android und Chrome sowie Facebook mit Pages und News-Feeds bieten, sind bei weitem noch nicht ausgereizt. If you can't beat them, join them. 2011 kommt es darauf an,  die Phase der Erstarrung zu beenden und sich vom fruchtlosen Skeptiker zum unternehmerischen Nutzer von Apple, Google und Facebook zu machen.   Ideen ohne Strategie Dies gilt vor allem für die Zeitungsverlage. 2010 war für sie das Jahr Nummer 1 des mobile publishing. 2011 haben sie die Möglichkeit, auf breiterer Basis (weil weitere Pads und E-Book-Reader hinzukommen werden) und mit neuen Inhalten (weit über PDF-Versionen von Printtiteln hinaus) verlorene Leser und Anzeigenkunden zurück- und neue Leser und Anzeigenkunden hinzuzugewinnen. Die Zahlungsbereitschaft der Nutzer ist jedenfalls da. Redaktionelle Ideen sind entwickelt. Und inzwischen gibt es versierte Agenturen wie Kircher Burkhardt und Software-Anbieter wie Woodwing, die den Verlagen das Publizieren auf casual devices leicht machen. Doch zwei offene Fragen stehen auf der Agenda für 2011. Die eine ist die nach der Vision der Verlage. Welche Inhalte werden künftig kostenpflichtig, welche kostenlos? Was steht in der Zeitung der Zukunft, was bietet das Web, was eine App? Wie kann man junge Menschen für Verlagsprodukte begeistern? Welche Kanäle dienen eher zur Publikation, welche eher zum Dialog? An welchem gemeinsamen Ziel arbeitet der Verlag? Warum soll es ihn 2020 überhaupt noch geben? Welche Rolle sollen Journalisten künftig spielen? Und sind  Anzeigenabteilung, Marketing und Vertrieb bereits auf Zukunftskurs?

Nur wer diese Fragen beantwortet, bevor und während er neue elektronische Angebote entwickelt, wird nachher mit dem Ergebnis inhaltlich und wirtschaftlich glücklich sein. Wer hingegen eher daran denkt, wie man Apps am kostengünstigsten in technische Systeme integriert, um den Aufwand gering zu halten, macht sich zwar notwendige, nicht aber hinreichende Gedanken. Die zweite Frage betrifft das Spektrum der Aktivität. Zu wenige Verlage haben bis jetzt geprüft, wie sie die Sensoren der mobilen Geräte in ihre Applikationen einbeziehen können. Zu wenige checken systematisch, welche neuen Wettbewerber - von Groupon bis Kaufda - in ihren Markt eindringen und wie erfolgreich sie sind. Kaum ein Verlag befasst sich experimentell mit Themen wie dem elektronischen Couponing. Fast niemand prüft, welche App-Anbieter für Übernahmeangebote in Frage kommen. Das könnte sich bald rächen - die Newcomer sind wendig, mutig und haben vor der Tageszeitung kaum Respekt. 2011 muss das Jahr sein, in dem sich besonders lokale und regionale Zeitungsverlage für eine strategische Herausforderung Zeit nehmen: Es gilt, den Verlag der Zukunft zu entwerfen. Werner Lauff (www.lauff.org) Lesen Sie morgen, Donnerstag 30. Dezember, auf kress.de Teil 3 des Gestbeitrags von Werner Lauff. Hier geht's zu Teil 1.

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