Zehn Sender in Existenz bedroht

Die Lokalradios in NRW sind in der Krise. Obwohl die Zuhörerzahlen gut sind, schreiben viele Sender rote Zahlen.

Stefan Laurin | 24. April 2015 um 08:15

Dem Lokalfunk in NRW geht es schlecht. Zehn Sendern droht sogar das Aus. Foto: http://nsrm.de/-/2fc

Die Lokalradios in NRW sind in der Krise. Obwohl die Zuhörerzahlen gut sind, schreiben viele Sender rote Zahlen. Zehn Stationen sind sogar in ihrer Existenz bedroht. Gerd Heistermann ist einer der erfolgreichsten Radiomacher Deutschlands. Seit 1992 ist Heistermann Chefredakteur der Lippewelle in Hamm und die Zuhörer lieben das Programm seines Teams: 2002 und 2012 erreichte die Lippewelle in der Stadt am Ostrand des Ruhrgebiets eine Quote von 50 Prozent. Ein Traumergebnis. Der Grund ist für Heistermann klar. Sein Sender geht auf die Bürger zu und interessiert sich für ihre Meinungen. Zum Beispiel bei der Frage, wie sich die Innenstadt entwickeln soll: "Wir haben die Bürger eingeladen, sich Gedanken zu machen, welche Qualitäten sie von der Innenstadt über Shopping hinaus erwarten." Denn das verlöre ja durch die Zunahme des Online-Handels an Bedeutung. Auch Themen wie Demenz oder den demografischen Wandel greift die Lippewelle auf. Mit Erfolg.

Volkseigener Rundfunk

"Mit dem Modell des Lokalfunks in NRW haben wir von der SPD damals einen Schatz geschenkt bekommen", sagt Heistermann. "Wir gehören den Bürgern und müssen weder den Politikern noch der Wirtschaft nach dem Mund reden." Nordrhein-Westfalen hat seinen lokalen Rundfunk auf bundesweit einmalige Weise organisiert. Als Ende der 1980er Jahre der Druck immer größer wurde, auch private Radiosender zu lizensieren, ließen sich die damals mit absoluter Mehrheit regierenden Sozialdemokraten ein Modell einfallen, um eine richtige Privatisierung ebenso zu verhindern wie Wettbewerb. Die Lokalsender in Nordrhein Westfalen gehören Betriebsgesellschaften, an denen die vor Ort wichtigen Verlage und die jeweilige Stadt oder eine ihrer Töchtergesellschaften beteiligt sind. Mit dem Programm haben sie nichts zu tun. Für den Inhalt sind die Veranstaltergemeinschaften zuständig, in deren Aufsichtsräten Lokalpolitiker, Kirchen und Gewerkschaften das Sagen haben. Die Sender haben keine private Konkurrenz. Ballungsraumprogramme wie ein Radio für das Ruhrgebiet oder das Rheinland gibt es nicht.

Werbeeinnahmen brechen weg

Doch seit längerem steht das Modell unter Druck. Zwar ist das Angebot der Lokalradios insgesamt das beliebteste und reichweitenstärkste Programm im Land, aber wirtschaftlich läuft es nicht rund. In einigen Fällen liegt das am Zuschnitt der Sendegebiete, die für Werbekunden oft uninteressant sind, weil sie keine lokalen Märkte abbilden. Macht es Sinn für Geschäfte in Köln im Kölner Radio zu werben, sieht das beispielsweise im nördlichen Ruhrgebiet bei Radio Emscher Lippe schon ganz anders aus. Der Sender deckt die Städte Bottrop, Gladbeck und Gelsenkirchen ab, die miteinander wirtschaftlich nicht viel zu tun haben. Auch der Rückgang des inhabergeführten Einzelhandels ist ein Problem, denn bundes- und weltweite Ketten schalten ungerne Spots in Lokalsendern. Umso schmerzhafter war dann für die Lokalfunker auch die Entscheidung der Landesanstalt für Medien, ihrem Zusammenschluss nicht die Frequenzen für das landesweite Jugendradio deinFM gegeben zu haben: "deinFM wäre für uns alle wichtig gewesen, denn mit zwei Senderketten, den Lokalsendern bei radio NRW und deinFM, hätten wir den Werbekunden eine attraktive Kombination anbieten und so dem WDR etwas entgegensetzen können", sagt Thorsten Kabitz, Chefredakteur von Radio RSG und Vorstand im Verein der Chefredakteure im NRW-Lokalfunk (VdC). Der WDR wirbt mit einer Kombination seiner drei Sender 1Live, WDR2 und WDR4 um Werbegelder und soll als Konkurrent rau auftreten. Mit Rabatten von bis zu 70 Prozent locke der WDR angeblich die Kunden, raunen Kenner der Lokalradioszene. Beweise dafür können sie allerdings nicht vorlegen. Eine Sprecherin des WDR bestreitet auf Anfrage von kress.de die Vorwürfe: "Nein, diese Behauptung ist völlig aus der Luft gegriffen. Der WDR hält sich selbstverständlich ebenso an die gängigen Branchenregeln wie alle anderen Sender auch. Zwar sind Rabatte beim Werbezeiten-Verkauf üblich, sowohl bei den Privaten als auch bei den Öffentlich-Rechtlichen. Rabatte bis zu 70 Prozent sind allerdings völlig realitätsfern - sie wären im Übrigen auch gar nicht kostendeckend. Hinzu kommt, dass Werbetreibende immer sowohl öffentlich-rechtliche als auch private Programme belegen, um neue Zielgruppen und unterschiedliche Hörer zu erreichen."

Journalistische Vielfalt gefährdet

Die wirtschaftliche Unsicherheit vieler Sender sei ein Problem für die journalistischen Vielfalt im Land: "In immer mehr Städten haben wir keine oder nur noch eine Zeitungs-Lokalredaktion. Oft sind unsere Leute die Einzigen, die vor Ort sind und die Nachrichten der Lokalradios das wichtigste noch verbliebene lokale Informationsangebot. Wenn das Land die erhalten will, muss es uns faire Chancen auf dem Markt einräumen." Doch Kabitz geht es nicht nur ums Geld. Er hatte gehofft, durch deinFM Talente halten zu können: "deinFM hätte uns die Möglichkeit gegeben, den guten Leuten aus unseren Sender eine Perspektive über das Lokale hinaus zu eröffnen und sie so halten zu können."

"deinFM" sollte Radiosender retten

Auch Timo Naumann vom Verband Lokaler Rundfunk in Nordrhein-Westfalen e.V. (VLR) fordert eine Chance für die Lokalradios: "Die Entscheidung der Medienkommission trifft den Lokalfunk sehr. Ihm wird mit dieser Entscheidung eine wichtige Perspektive genommen, sich zukünftig gegen die Flottenstrategie des WDR zur Wehr zu setzen. Mit rund 90 Prozent der UKW-Frequenzen in NRW, sechs Hörfunkprogrammen der Gebührenfinanzierung und zusätzlichen Werbeeinnahmen wird es dem WDR weiterhin leicht fallen, gegen den Lokalfunk vorzugehen. Wir hoffen, dass der Gesetzgeber in der laufenden Novellierung des WDR-Gesetzes dieses Ungleichgewicht erkennt und alle Maßnahmen für einen fairen Wettbewerb trifft." Auf die Frage, wie privat der private Rundfunk in NRW überhaupt ist, da ja die Städte an den Betriebsgesellschaften beteiligt sind und in den Veranstaltergemeinschaften Lokalpolitiker, Verbände und Kirchen sitzen hat Naumann eine klare Antwort: "Privater Rundfunk zeichnet sich zunächst dadurch aus, dass er sich nicht aus öffentlich-rechtlichen Gebührengeldern speist und sein Programm an den Bedürfnissen der Hörer ausrichtet. Dafür sind Werbeeinnahmen für ihn überlebenswichtig. Die Ausrichtung des Programms verantworten die Veranstaltergemeinschaften des NRW-Lokalfunks. Die verschiedenen Gesellschafter aus Kommunen, Wirtschaft, Religion, und anderen gesellschaftlichen Gruppen, die ehrenamtlich den Lokalfunk mit verantworten, sind ein wichtiger Beitrag zur Vielfalt. Die Frage muss daher eigentlich lauten: Wie privat ist der öffentlich-rechtliche Hörfunk in NRW? Dessen Programme klingen immer privater, werden in Flottenstrategien organisiert und werden Werbetreibenden gleich im Paket angeboten."

Zehn von 45 Sendern gefährdet

Mindestens zehn der 45 Lokalsender in NRW gelten als gefährdet. Wieder einmal stehen Arbeitsplätze von Journalisten auf dem Spiel, aber auch die Medienvielfalt. Für Sascha Fobbe, der stellvertretenden Vorsitzende der Journalistengwerkschaft DJV in NRW, ist die Situation dramatisch: "Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ändern sich, die Werbeeinnahmen sinken. Wenn man den Betriebsgesellschaften glauben darf, schreibt ein Drittel der Sender seit Sendestart rote Zahlen, ein Drittel trägt sich gerade so, ein Drittel schreibt schwarze Zahlen. Überprüfen lässt sich das nicht, weil die Sender ihre Zahlen nicht offen legen müssen." Bislang sei es gelebte Tradition gewesen, dass innerhalb einer Senderkette diejenigen mit Gewinnen die anderen mitfinanzieren. "Das war nicht altruistisch", sagt Fobbe, "sondern der Idee geschuldet, dass der Lokalfunk nur funktionieren kann, wenn er alle lokalen Regionen in NRW abbildet. Dieses Solidaritätsmodell scheint sich gerade aufzulösen. Es gibt Tendenzen, Sender einer Gruppe mehr als Regionalsender auszurichten, mit lokalen Fenstern für die Nachrichten, das sehen wir kritisch."

Schlechte Stimmung in den Redaktionen

Die Stimmung bei den Journalisten habe sich verschlechtert: "Angesichts der sinkenden Werbeeinnahmen und sinkender Ausschüttungen von Seiten des Mantelprogrammanbieters radio NRW machen sie sich schon Sorgen. Aber auch das momentan schwierige Verhältnis zwischen radio NRW und den Lokalsendern belastet sie. Die jetzt endlich geklärten Personalfragen bei radio NRW geben da vielleicht Hoffnung, dass sich etwas bessert." Fobbe meint damit das Aus von Udo Becker als Gechäftsführer von radio NRW. Becker war in den vergangenen Monaten von einigen Sendern kritisiert worden, weil er ihrer Ansicht nach radio NRW nicht stark genug darauf ausrichtete, Dienstleister zu sein. Zeitweilig drohten hinter den Kulissen Stationen aus Ostwestfalen sogar damit, bei radio NRW auszusteigen. Davon ist nun erst einmal keine Rede mehr. Die Lokalfunker hoffen, dass die Landesregierung bei der anstehenden Novelle des WDR-Gesetzes den öffentlich-rechtlichen Platzhirsch - was die Werbung betrifft - in die Schranken weist. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hatte sich 2011 auf dem Medienforum NRW sogar dafür ausgesprochen, dass die öffentlich-rechtlichen Sender ganz auf Werbung verzichten sollten. Bei einem Gespräch mit Vertretern des Lokalfunks in der vergangenen Woche sagte NRW-Medienstaatssekretär Marc Jan Eumann immerhin, der WDR hätte eine Verantwortung für das Gesamtsystem. Zu dem Thema Werbebeschränkungen wollte er sich indes nicht äußern. Eine zweite junge Radiokette und ein paar Beschränkungen für die reiche Anstalt aus Köln würde den Lokalsendern in NRW längst zum Glück reichen.

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