Bei "Dieselgate" kommt niemand an "Bild am Sonntag" vorbei

Die Springer-Zeitungen "Bild am Sonntag", "Welt" und "Welt am Sonntag" sowie der "Tagesspiegel" sind die Gewinner nach den ersten neun Monaten des Jahres im Media Tenor-Zitate-Ranking. Die Verlierer sind aber in der Mehrzahl, vor allem der "Spiegel" büßt weiter dramatisch Zitate ein.

Bülend Ürük | 5. Oktober 2015 um 14:59

Marion Horn: Die Chefredakteurin von "Bild am Sonntag" kann sich über eine exzellente Leistung ihres Teams freuen.

Die Springer-Zeitungen "Bild am Sonntag", "Welt" und "Welt am Sonntag" sowie der "Tagesspiegel" sind die Gewinner nach den ersten neun Monaten des Jahres im Media Tenor-Zitate-Ranking. Die Verlierer sind aber in der Mehrzahl, vor allem der "Spiegel" büßt weiter dramatisch Zitate ein. Auch "Frankfurter Allgemeine" und "Süddeutsche Zeitung" werden seltener mit ihren Themen wahrgenommen, hat das Team von Media Tenor International herausgefunden. "Viele Verlagshäuser und Redaktionen haben in den letzten Jahren Umstrukturierungen vorgenommen und ihre Prozesse verändert. Es zeigt sich allmählich, wer den längsten Atem hat und die richtigen Entscheidungen getroffen hat", meint Roland Schatz, Gründer und CEO von Media Tenor International, zu den Resultaten des Zitate-Rankings. "Die Regionalzeitungen etwa haben es nicht verstanden, aus ihrem Standort-Vorteil Potenzial zu schlagen. Zu bundespolitischen Themen können sie in der Regel nicht mit den großen überregionalen Redaktionen konkurrieren. "Der "Tagesspiegel" hat seinen Standortvorteil in der Hauptstadt und die Nähe zur politischen Szene genutzt, um sich zu Themen wie Rechtsterror, Asylpolitik oder Mindestlohn-Verstöße zu positionieren. Auch die "Rheinische Post" wird zu bundespolitischen Themen zitiert. Zu großen Industriekonzernen am Standort NRW wie Bayer, ThyssenKrupp, RWE oder E.ON konnte die "RP" aber kaum Akzente durch ihre Berichterstattung setzen. "Viele Medien lassen die Chancen, die sich durch den Standort oder Spezialisierung auf bestimmten Gebieten ergeben, liegen", meint Roland Schatz. "Das Wall Street Journal ist ein gutes Beispiel: Es beweist überragende Agenda Setting-Qualitäten im Bereich der IT-Branche. Auf dem deutschen Medienmarkt ist kein Titel in Sicht, der sich diese Rolle zu erarbeiten versucht." Auch im dritten Quartal hat es der "Spiegel" nicht geschafft, zu früherer Stärke als Meinungsführer zurückzukehren. Die Hamburger bleiben zwar meistzitiert, der Abstand zur zweitplatzierten "Bild" ist aber weiter geschrumpft. "Spiegel Online" verleiht der Marke "Spiegel" allerdings viele Impulse und wird selbst gut aufgegriffen. Die Sonntagszeitungen geben mit ihrer Berichterstattung bislang zur Dieselgate-Affäre von VW den Ton an, allen voran die "Bild am Sonntag". Die Nachrichtenmagazin haben auch hier das Nachsehen, neben dem "Spiegel" auch der "Focus".

Meistzitierten Medien in den ersten neun Monaten

Meistzitierten Medium in den ersten drei Quartalen 2015 bleibt der "Spiegel" mit 1027 Zitaten. Um den dramatischen Rückgang der Erwähnungen in anderen Medien zu zeigen: In den ersten neun Monaten 2014 wurde der "Spiegel" noch 1504 Mal in anderen Medien zitiert. Auf dem 2. Platz folgt "Bild" (888 Zitate), 3. "Süddeutsche Zeitung" (642 Zitate), 4. "Bild am Sonntag" (535 Zitate), 5. "New York Times" (522 Zitate), 6. "Welt" (465 Zitate), 7. "Handelsblatt" (442 Zitate), 8. "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (435 Zitate), 9. "Welt am Sonntag" (420 Zitate), 10. "Wall Street Journal" (358 Zitate),11. "Der Tagesspiegel" (307 Zitate), 12. "Spiegel Online" (264 Zitate), 13. "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" (263 Zitate), 14. "Financial Times" (245 Zitate), 15. "Wirtschaftswoche (237 Zitate), 16. NDR (199 Zitate), 17. ZDF (193 Zitate), 18. BBC (192 Zitate), 19."Die Zeit" (192 Zitate), 20. "Rheinische Post" (186 Zitate). Besonders bitter für Hubert Burda Media - das Nachrichtenmagazin "Focus" taucht in der Top 20 überhaupt nicht mehr auf. Werden Print- und Online-Zitate zusammengefasst, wird die besondere Stellung von "Spiegel Online" deutlich: Der Abstand der "Spiegel"-Gruppe zur zweitplatzierten "Bild", die mit ihrem Online-Ableger kaum wahrgenommen wird, vergrößert sich wieder.

Weitere wichtige Ergebnisse der Studie

  1. Die Regionalzeitungen nutzen ihren Standort nur selten, um mit exklusiven Themen zitiert zu werden. Wenn sie wahrgenommen werden, dann meist zur Bundespolitik wie die "Rheinische Post" mit der Nachricht, dass von der Leyen 750 Millionen in die Sanierung von Kasernen stecken will.
  2. Die "New York Times" ist für viele deutsche Redaktionen eine unverzichtbare Quelle für Informationen zum Syrien-Konflikt und zur Lage im Nahen Osten - Tendenz steigend. Kein anderes ausländisches Medium entfaltet diese Strahlkraft.

    "Wirtschaftswoche" verliert an Bedeutung

  3. Bei den Wirtschaftsmedien baut das "Handelsblatt" seinen Vorsprung weiter aus. Die "Wirtschaftswoche" verliert dagegen erneut an Bedeutung: Nach Platz 2 nach dem ersten Quartal und Platz 3 nach dem ersten Halbjahr liegt sie inzwischen nur noch auf Rang 4, dabei wird sie überholt vom "Wall Street Journal" und der "Financial Times".
  4. Meistzitierte Nachrichtenagentur ist Bloomberg News, vor Reuters und der Deutschen Presse-Agentur. Auf Platz 5 landet AFP.
  5. Mit Nachrichten wie der, dass Ex-Kanzler Schröder auch nach seiner Kanzlerschaft weiter vom US-Geheimdienst NSA ausspioniert wurde, verschaffte sich die "Bild am Sonntag" auch im dritten Quartal wieder viel Aufmerksamkeit und behielt ihre Meinungsführerschaft zur Inneren Sicherheit.
  6. In der Flüchtlingsdebatte, die im dritten Quartal inzwischen das Top-Zitate-Thema ist, haben sich vor allem die "Spiegel"-Redaktionen mit ihren Recherchen und Interviews einen Namen gemacht. Nach dem ersten Halbjahr waren das noch die Springer-Titel.
  7. War die BBC nach dem ersten Halbjahr noch klar der Meinungsführer zu internationalen Konflikten, so hat sich die "New York Times" im dritten Quartal hier besonders hervorgetan. Vor allem die Recherchen mit Blick auf die Beziehungen zu Russland waren gefragt.
  8. Das "Wall Street Journal" bleibt die wichtigste Quelle für Informationen zur Bankenbranche, so etwa mit dem exklusiven Bafin-Untersuchungsbericht zum Libor-Skandal, den das Blatt im Internet veröffentlichte. Die Wirtschaftswoche verliert an Bedeutung.
  9. Nachdem der Lokführer-Streik beigelegt ist, hat sich die Nachrichtenlage entspannt und Zitate waren seltener. Die "Bild" bleibt meistzitiert. Der "Wutbrief" der Hinterbliebenen der Germanwings-Absturzopfer an Lufthansa-Chef Spohr brachte etwa viel Aufmerksamkeit.
  10. "Der Spiegel" bleibt zwar auf Jahressicht die Nr. 1 zur Autobranche. Im aktuellen VW-Abgas-Skandal hat die "Bild am Sonntag" mit ihren exklusiven Nachrichten die Nase vorn. Auch die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung" zeigte sich gut informiert.
  11. Für neueste Informationen zur IT-Branche kommt man am "Wall Street Journal" nicht vorbei. Von den deutschen Medien ist keines in Sicht, das sich hier die Rolle des Agenda-Setters zu erarbeiten versucht.

    Hintergrund

    Insgesamt wurden von den Media Tenor-Analysten zwischen Januar und September 2015 in den Politik- und Wirtschaftsteilen der deutschen Meinungsführermedien alle 18.879 Zitate ausgewertet. Untersucht wurden Berliner Zeitung, Bild, Die Welt, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Frankfurter Rundschau, Leipziger Volkszeitung, Süddeutsche Zeitung, taz, Tagesspiegel, ARD Tagesschau und Tagesthemen, ZDF Heute und Heute Journal, Fakt, Frontal 21, Kontraste, Monitor, Panorama, Report (BR), Report (SWR), Börse im Ersten, Die Zeit, Focus, Spiegel, Stern, Super Illu, Brand Eins, Bild am Sonntag, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Welt am Sonntag, Handelsblatt, Wirtschaftswoche, Capital, Manager Magazin sowie die 7-Uhr-Nachrichten des Deutschlandfunks.

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