Was bringen Zitate, Herr Schatz?

Wer gut recherchiert, wird oft zitiert. Ein Gespräch mit Roland Schatz über die Bedeutung von Zitaten, den Aufstieg der Zentralredaktion der Funke Mediengruppe und warum Medien ihre Eigenarten pflegen müssen.

Bülend Ürük | 5. Januar 2016 um 23:22

Herr Schatz, Media-Tenor hat erneut die meistzitierten Medien in deutschen Meinungsführermedien zusammengestellt. Was steckt genau dahinter? Roland Schatz: Der Wunsch, den Kollegen regelmäßig zu bestätigen, dass sich gute Recherche auszahlt. Christoph Keese hat es 2001 auf der Agenda Setting Conference so ausgedrückt: "Was für die Verleger die IVW-Zahlen sind, bietet das Media Tenor Zitate-Ranking den Journalisten". Diese Bestätigung der redaktionellen Klasse, über einen Zeitraum von einem Jahr beständig mit relevanten Inhalten über das unmittelbare Publikum hinaus für die eigenen Inhalte Aufmerksamkeit zu erlangen, ist der beste Beleg, warum regelmäßig die Zeitung oder die Zeitschrift in die Hand genommen, der Deutschlandfunk gehört und die verschiedenen TV-Programme gesehen werden sollten. "Spiegel" vor "Bild" vor "Süddeutsche" - die Plätze auf dem Treppchen bleiben fest in Hamburger, Berliner und Münchner Hand. Wie kommt das? Roland Schatz: Natürlich haben die Flaggschiffe ganz andere Chancen als Regional-Zeitungen: eigene Recherche-Teams und Sonderetats. Dennoch fällt auf, dass andere Überregionale mit vergleichbaren Etats im Media Tenor-Ranking auch keine vorderen Plätze belegen bzw. eben Regional-Titel wie der "Tagesspiegel", die "Rheinische Post" oder Neue Osnabrücker Zeitung" stetig bundesweit auf sich aufmerksam machen können. Eine Erklärung sehe ich darin, dass es neben der journalistischen Begeisterung für Exklusives auch die Bereitschaft benötigt, andere vorab von dieser Leistung in Kenntnis zu setzen. Die Notwendigkeit und den damit verbundenen Mehrwert haben noch nicht alle erkannt - insbesondere auf Verlegerseite. Bei Ihrer aktuellen Studie haben Sie herausgefunden, dass der "Spiegel" massiv verloren hat. Warum wird das Nachrichtenmagazin 2015 570 Mal weniger zitiert als noch 2014? Roland Schatz: Das hängt natürlich einmal an der Verlegung des Erscheinungstermins von Montag auf Samstag. Ein formaler Bonus ist verloren gegangen: In der Vergangenheit haben viele Regionalzeitungen, die sonntags knapp besetzt sind, gerne auf die Vorab-Meldungen aus Hamburg zurückgegriffen, wenn es darum ging, die Montagsausgabe zu füllen. Aber das ist es nicht allein. Der Weggang von Nikolaus Blome, der ein ausgesprochenes Gespür für die Notwendigkeit besitzt, dass auf gute Inhalte auch aufmerksam gemacht werden muss, konnte bislang nicht kompensiert werden. Denn bis zum Abschied von Blome im Sommer wurde der "Spiegel" trotz Erscheinungstermin Samstag vergleichbar oft zitiert wie vorher. "Welt" und "Bild am Sonntag" setzen auf richtige Themen Deutlich gewonnen haben vor allem "Bild am Sonntag" sowie "Welt" und "Welt am Sonntag". Warum werden die Inhalte der Springer-Titel offensichtlich stärker wahrgenommen? Roland Schatz: Generell hat Springer insbesondere bei dem Kernthema des letzten Jahres "Flüchtlinge, Integration" erkannt, dass hier ein enormes Informationsbedürfnis auf allen Seiten zu Stillen ist. Das haben sie für alle mit einer Vielfalt von Positionen und Trenddaten geleistet, die dann von anderen aufgegriffen werden mussten. Das Investigativ-Team der Blauen Gruppe um Jörg Eigendorf und Ileana Grabitz wurde nun für all die Reisen und Recherchen belohnt. Und natürlich sitzen bei Springer im Verlag ausreichend ehemalige Kollegen, denen bewusst ist, welche Bedeutung die "Trüffelschweine" für die Gesamtleistung eines Medienhauses haben. Anzeigenkunden nutzen bevorzugt solche Plattformen, die als Leitmedium regelmäßig allen Zielgruppen in Erinnerung rufen: Unsere Inhalte sind so wichtig, dass selbst die "Wettbewerber" nicht anders können, als auf uns hinzuweisen. Wobei ich nicht müde werde darauf hinzuweisen, dass es beim Zitate-Ranking eben keine typische Konkurrenz-Situation gibt: Keine Redaktion steht für inhaltliche Kompetenz bei allen Themen, in allen Branchen oder allen Ministerien, NGOs oder Universitäten. Bei Funkes Zentralredaktion die richtigen Macher an den Hebeln Werden Print- und Online-Zitate und die Redaktionsgemeinschaften zusammengefasst, taucht erstmals auch die Zentralredaktion der Funke Mediengruppe auf. Ist es also eine richtige Entscheidung, Politik- und Wirtschaftsberichterstattung zentral machen zu lassen? Roland Schatz: Das kann sein, ist aber nicht der Grund. Bei Funke wurde vom Verlag in der Zentralredaktion vor allem um Jörg Quoos und Jochen Gaugele ein Team geschaffen, das sein Handwerk bestens versteht. Das haben sie in ihren früheren Positionen schon mehrfach unter Beweis gestellt - in unterschiedlichen redaktionellen Konstellationen. Wer es nicht in die Top 20 der Redaktionsgemeinschaften geschafft hat, ist das Redaktionsnetzwerk Deutschland der Madsack Mediengruppe. Womit hängt das aus Ihrer Sicht zusammen? Roland Schatz: Ich will einmal mit einem Vergleich aus dem Fußball antworten. Warum halten wir den SC Freiburg für eine Mannschaft, die in die erste Liga gehört, selbst wenn sie - wie letzte Saison - in die zweite Liga abgestiegen ist? Und warum trauen wir dem Karlsruher SC nicht das Gleiche zu? Es liegt wohl kaum an Budgets oder geringerer potentieller Zielgruppe. Es ist eine Frage der Einstellung aller: Mannschaft, Trainer und eben das Management. Seit 23 Jahren unterstützen wir Redaktionen mit dem Zitate-Ranking, ihre redaktionellen Stärken besser erkennen zu können. In dieser Zeit ist enorm viel passiert und viele Herausforderungen kamen auf Journalisten wie Verleger hinzu, die vor 20 Jahren höchstens geahnt werden konnten. Doch eines ist unverändert geblieben: die Frage, wie hochwertig das eigene Produkt ist. Wer vor 20 Jahren kaum besondere Inhalte seinen Kunden bot, lief genauso Gefahr, dass sich die Kunden von ihm abwandten wie heute. Nur dass heute die Bereitschaft, ein Abo zu kündigen, größer ist als früher. Liegt das am Wettbewerb? Roland Schatz: Nicht unbedingt, der Wettbewerb vor 20 Jahren war auch nicht ohne. Aber unsere Daten der Inhaltsanalyse der Medien, also das tägliche Untersuchen, wer bringt welche Inhalte, Interviewpartner oder Studien, zeigt, dass Ende der 1990iger ein Trend zum "Allen das Gleiche" zu beobachten ist, der natürlich den Tod jeder Exklusivität zur Folge hat. Zeitungen müssen ihre Eigenarten pflegen Ist das heute noch der Fall? Roland Schatz: Unsere Daten bestätigen die Vermutung, dass ein seltsamer Kampf um eine nie definierte Mitte begonnen hat sowie Gerhard Schröders merkwürdiger Slogan damals lautete "Es gibt keine rechte oder linke Politik, sondern nur gute oder schlechte". Insbesondere in den Politik-Teilen folgte eine seltsame Bewegung, dass mit einem Mal "Welt", "Frankfurter Rundschau", "Frankfurter Allgemeine" oder "Süddeutsche" ihre Sonderthemen vernachlässigten und mehr darauf setzten, ähnlich zu sein wie die anderen: Alle wollten den gleichen Interviewpartner, nur ein Professor scheint in Sachen Euro zu forschen etc. Das Publikum ist nicht dumm und reagiert entsprechend mit der Suche nach neuen Anbietern, die ihre breiten Informationsbedürfnisse befriedigen. Insbesondere die "FR" hat einen hohen Preis für diese Fehlentwicklung zahlen müssen. Es war und bleibt in der Verantwortung der Ressortleiter, Chefredakteure und eben auch der Verleger, die besonders qualifizierten Redakteure zu fördern und zu fordern. In jeder anderen Branche gilt: in Krisenzeiten Konzentration auf das Kerngeschäft. Nur die Medienbranche glaubt, das für sie diese Binsenweisheit nicht zählt. Bei den meistzitierten Regionalzeitungen liegt der "Tagesspiegel" an der Spitze. In Ihrer Untersuchung betonen Sie, dies liege an seiner Stellung in der Bundeshauptstadt. Aber müssten dann nicht "Berliner Zeitung" und "Berliner Morgenpost" auch eine Sonderrolle spielen? Die tauchen schließlich nicht auf in Ihrer Auflistung. Roland Schatz: Guter Punkt - aber wenn Sie sich erinnern, war die "Berliner Zeitung" unter Uwe Vorkötter immer unter den Top 20, manchmal sogar unter den Top 10. Es liegt am Ende immer an den Personen. Bei den meistzitierten Online-Medien belegt bild.de Platz 4, abgeschlagen hinter Spiegel Online, Zeit Online und sogar Netzpolitik.org. Wieso wird Springers Online-Schlachtschiff so selten zitiert? Roland Schatz: Generell ist es so, dass die Online-Angebote deutlich weniger zitiert werden als die Print-, Radio oder TV-Formate. Für Qualität online Sichtbarkeit zu schaffen ist noch aufwendiger als für die klassischen Formate. Entsprechend müsste dies auch personell berücksichtigt werden - dafür werden in den seltensten Fällen die Mittel bereitgestellt. Das liegt auch wieder an dem seltsamen Glauben der Verleger, für ihre Branche würde nicht gelten, was in allen anderen Industrien Grundkonsens ist: die Kernkompetenz stärken. ARD und ZDF sind erst am Beginn des Umdenkens. Erstaunlich finde ich, wie wenig die großen Fernsehsender - ob öffentlich-rechtlich oder privat - zitiert werden. Gibt es Hemmungen in den Print-Redaktionen, den Kollegen vom Fernsehen Platz im Blatt freizuräumen? Roland Schatz: Es ist weniger eine Frage der Hemmung, sondern eher eine Frage der Inhalte: wieviel Interviews in den TV-Nachrichten haben Sie gesehen, die so geführt wurden, wie wir es im "Spiegel", in der "Neuen Osnabrücker Zeitung" oder all den anderen Print-Titeln oder auch im Deutschlandfunk verfolgen? Niklas Luhmann hat das systematische Problem schon vor Jahren beschrieben in seinem Buch "Die Realität der Massenmedien" und Ulrik Haagerups Lösungsansatz in seinem Buch "Constructive News" wird zwar von vielen anderen Sendern in Europa übernommen, aber ARD und ZDF sind erst am Beginn des Umdenkens. Laut Ihrer Untersuchung hat die "Wirtschaftswoche" bei den meistzitierten Wirtschaftsmedien erneut einen Platz eingebüßt, liegt hinter "Handelsblatt", "Wall Street Journal" und "Financial Times". Ist es im Wirtschaftsbereich nicht mehr wichtig, mit exklusiven Recherchen auch in anderen Medien vorzukommen? Roland Schatz: Ganz im Gegenteil: insgesamt haben die Wirtschaftsthemen und damit auch die Zitationen mit Unternehmenskontext zugenommen. Und wir sehen aus unserem FAZ/NZZ/PRESSE Ranking der einflussreichsten Ökonomen in Deutschland, Österreich und der Schweiz, wie positiv sich dies auf deren Zusatzfinanzierung via Drittmittelförderung oder Einladung zu Vorträgen auswirkt. So ist es natürlich auch bei den Wirtschaftstiteln: wer der Nachweis erbringen kann, dass er inhaltlich zu den Top 3 zählt, die in Sachen Banken, Handel oder Pharma zitiert wird, hat Pluspunkte beim Verhandeln der nächsten Anzeigenbudgets. Die Fragen an Roland Schatz, Gründer und CEO von Media Tenor International, stellte kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük.

kress pro 2023#07

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