6. März 2016 um 08:57
Vor kurzem fragte das Nachrichten-Magazin "Der Spiegel" seine Leser, welche Meinung sie eigentlich zur aktuellen Qualität der Publikation haben. Nicht ohne Grund, in Zeiten der so genannten "Lügenpresse" geht es um die wichtigste Währung, die ein journalistisches Medium hat: Vertrauen. Dieses scheint teilweise erschüttert zu sein, denn viele Leser halten die Berichterstattung des "Spiegel" nicht für ausgewogen und machten besonders einen Kritik-Punkt aus: es geht oft nicht mehr um die objektive Einordnung einer Nachricht, sondern die subjektive Einschätzung des Journalisten zu einem Thema. Aber ist das nur ein Problem des "Spiegel" oder nicht generell eines, das den Journalismus allgemein betrifft? Meinung hat jeder Apropos Meinung: die hat natürlich jeder. Dafür braucht es keine mehrjährige Ausbildung und man muss keine Sekunde dafür recherchieren oder anstrengend Informationen doppelt checken. Sie ist einfach da. Ob am Stammtisch, der Regierungsbank oder auf der Internet-Konferenz (da besonders). Auch dieser Einwurf für kress.de ist einfach nur eine kleine Meinung im Meer von Meinungen. Genauso wie die Unmengen an Hass-Kommentaren im Netz. Man kann mit Fug und Recht behaupten: Meinung ist heute der beliebteste Content im Internet. Schnell produziert und je provokanter desto populärer. Schrille Meinungs-Beiträge Auch Journalisten arbeiten so: Deutschlands Rant-Journalistin Nummer 1 Ronja von Rönne wurde mit schrillen Meinungs-Beiträgen u.a. zum Thema Netz-Feminismus mit einem Schlag bekannt. Alte Haudegen wie Harald Martenstein, Franz-Josef Wagner oder Matthias Matussek provozieren gerne regelmäßig. Sie haben noch rechtzeitig vor der Rente erkannt: wer gelesen und geteilt werden will, braucht eine Meinung. Eine, die vor allem aneckt und am besten dem Gutmenschen-Veggie-Transgender-Gleichstellungs-Zeitgeist widerspricht. Interpretation durch subjektive Brille Eine Nachricht an sich, interessiert scheinbar heute nicht mehr, dafür mehr ihre Interpretation durch die subjektive Brille. Das Meinung als journalistisches Stil-Mittel immer wichtiger wird, liegt aber am Ende am Leser selbst. Er ist heute viel wirkmächtiger, als er annimmt. Alles, war er macht, wird analysiert, jede seiner Aktionen verändert wiederum das Medium und den Journalisten. Und wie. Journalisten werden zu Nachrichten-Entertainern Vor Jahren waren die meisten Pressevertreter unbekannte Wesen. Heute sind sie "Rampensäue" wie Kai Diekmann oder Paul Ronzheimer. Nachrichten-Entertainer, die ihre Rolle ganz neu definieren - auch und gerade über ihre Meinung. Oft werden sie selbst zur Nachricht. Zum Hashtag. Sie bieten Meinungsstücke dar, wie Schauspieler großes Theater. Und warum? Weil wir nicht mehr nur Leser sind, sondern Publikum. Wir klatschen per Like, wir geben Komplimente, in dem wir teilen und das Publikum vergrößern. Journalismus verliert Wächter-Rolle Ein gewisser Trend lässt sich wirklich beobachten: Anja Reschke wurde kürzlich zur "Journalistin des Jahres" gewählt. Frau Reschke beherrscht bestimmt alle Stil-Arten des Journalismus. Richtig bekannt wurde sie aber durch Kommentare zur Flüchtlingskrise oder Hass im Netz. Fast jeder hatte ihre Beiträge als Film in seinen Timelines in den sozialen Medien. Natürlich ist es richtig, in Zeiten von brennenden Flüchtlingsheimen Stellung zu beziehen. Wenn daraus aber ein dauernder Kampf mit Nazis und deren Sympathisanten wird, verliert der Journalismus seine ursprüngliche Wächter-Rolle. Er wird selber Teilnehmer an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Die Auszeichnung von Anja Reschke ist daher ein deutliches Signal: wir leben in Zeiten des Meinungs-Journalismus und die Schlacht um die Deutungshoheit ist im vollen Gange. Dabei darf man nicht vergessen - jede Meinung ist eine Art Elfenbeinturm. Einer hat sie, der andere nicht. Bei einer Nachricht ist das anders, sie kann einem zwar auch gefallen (oder eben nicht), doch sie schließt niemanden aus. Sie ist einfach da und kann vom Leser selbst interpretiert werden. Bitte keine Meinungsschlacht! Man soll es nicht missverstehen: der Kommentar und damit der Standpunkt eines einzelnen Journalisten, waren und sind immer noch wichtige journalistische Ausdrucksformen. Diese haben aber durch neue technische, digitale Möglichkeiten und den Zeitgeist im Moment teilweise Überhand genommen. Wenn sich jedoch der Journalismus auf eine Meinungsschlacht mit seinen Usern und Lesern einlässt, kann er am Ende nur verlieren. Denn da draußen gibt es auf Dauer weitaus mehr Meinungen. Und Meinungen lassen sich eben nicht überprüfen oder nach Fakten checken, so wie man das mit der guten alten Nachricht machen kann. Daher sollten Journalisten wieder mehr beherzigen: Meinung schafft am Ende kein Vertrauen, sondern die gut recherchierte Nachricht. Aber die bringt nicht genug Klicks - meine Meinung. Alf Frommer
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