Die Geschmacksfreiheit, etwas mies zu finden

Jan Böhmermanns Schmähkritik auf den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan spaltet auch die bürgerlichen Medien. Michael Hanfeld lobt die Entscheidung des ZDF, die Passage nicht mehr zu zeigen, Julian Reichelt fordert maximale Freiheit für Jan Böhmermann. Wer hat Recht? Der Berliner Jurist und Journalist Michael Schmuck hat sich das Stück einmal näher für kress.de angeschaut.

11. April 2016 um 12:19

Jan Böhmermann (Foto: ZDF/Jens Oellermann)

Tja, was hat Jan Böhmermann da angestellt mit seinem Kunststück "Schmähkritik"? Eins vor allem - er polarisiert. Wie immer bei Satire stellen sich drei Fragen: Was ist Satire, was soll Satire, was darf Satire? Ein uralter Streit flammt dabei wieder auf. So schreibt Michael Hanfeld in der "FAZ" Böhmermann habe mit dem Allerwertesten alles eingerissen, was "extra3" geschaffen und geschafft hat: dass sich Viele für Satire und gegen Erdogans Kritik daran positioniert haben. Anders sieht es Julian Reichelt auf bild.de: Satire müsse oder dürfe plump, dumm, beleidigend und platt sein. Ob die Grenzen überschritten seien, sollten deutsche Gerichte entscheiden und wenn die Satire Herrn Erdogan nicht gefalle, solle er doch ein deutsches Gericht bemühen.
Ja, ein deutsches Gericht würde die letzte der drei Fragen entscheiden: Was darf Satire? "Nicht alles!", würde das Gericht in juristischer Manier antworten, auf der Grundlage der Rechtsprechung des BGH und des Bundesverfassungsgerichts. Wie bei jeder Meinungsäußerung sind die Grenzen bei der so genannten Schmähkritik, also bei dem, wie Böhmermann sein Kunststück provokativ genannt hat. Das heißt vereinfacht gesagt: dort, wo es an die persönliche Ehre geht. Dort, wo es nicht mehr darum geht zu kritisieren, wie jemand sich in seiner die Rolle, seiner Funktion verhalten hat, sondern einzig darum, jemand als Mensch zu diffamieren. Auch überspitzte, harte, zynische, polemische und sarkastische Kritik an einem Verhalten ist erlaubt, nicht aber, jemanden als Person, als Mensch herabzusetzen oder – im Böhmermann’schen Duktus – ihm an die Eier zu packen. Ob Erdogan solche hat und wie groß oder klein sie sein mögen, solche Spekulationen gehören nicht zur Meinungsäußerung, auch nicht zur Satire.
Das Bundesverfassungsgericht hat das grundlegend so ausgedrückt: „Eine herabsetzende Äußerung nimmt erst dann den Charakter der Schmähung an, wenn in ihr nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik die Diffamierung der Person im Vordergrund steht.“ (Aktenz. 1 BvR 1165/89, Beschluss vom 26. Juni 1990, "Zwangsdemokrat").
Da juristische Definitionen oft etwas schwammig sind, bewegen sich konkrete Einordnungen solcher Entscheidungen oft in Grauzonen und so kann viel debattiert werden.
Doch das Kunststück Böhmermanns ist inhaltlich offenkundig eine Diffamierung der Person Erdogans. Dass es Satire ist oder sein soll, spielt dabei keine Rolle. Satire ist nach der einschlägigen Rechtsprechung lediglich die künstlerische Verpackung der Meinung. Inhaltlich macht es keinen Unterschied, ob jemand seine Meinung mit Clown-Maske oder im Smoking äußert, ob er als Narr oder als Publizist andere diffamiert.
Hier stellt sich juristisch eine andere Frage: War das Ziel der "Schmähkritik", Erdogan zu beleidigen? Oder wollte Jan Böhmermann nur eine Reaktion des ZDF provozieren, um damit was auch immer auf dem Feld der Meinungsfreiheit zu demonstrieren? War Erdogan nur notwendiges Mittel zum Zweck? Dann könnte die Diffamierung ja doch im Hintergrund gestanden haben, wie es das Bundesverfassungsgericht sagt, und die "Schmähkritik" wäre erlaubt gewesen sein? Nein. Auch wenn Erdogan nur Mittel zum Zweck gewesen wäre: Die Schmähung bleibt! Ganz gleich, wessen Persönlichkeit als Kanonenfutter für satirisch-publizistische Demonstrationen oder Kunststücke missbraucht wird. Sie wird jedenfalls missbraucht und damit geschmäht.
Aber angenommen, die Böhmermann’sche "Schmähkritik" wäre erlaubt: Wer sagt denn, dass eine Zeitung oder ein Sender jede Pöbelei und jede Unverschämtheit publizieren muss, um sich so mit der Verteidigung der Meinungsfreiheit zu brüsten? Zur Freiheit gehört auch die freie Entscheidung eines Medienverantwortlichen geschmacklose Kränkungen und plumpem Quatsch zu streichen. Weder Meinungen noch Kunststücke müssen jedem gefallen, ob juristisch erlaubt oder verboten. Es gibt ja auch noch die Geschmacksfreiheit, etwas mies zu finden.
Nebenbei: Der ganze Trubel wäre wohl gar nicht entstanden, wenn Herr Erdogan nicht so wäre, wie aber er ist, sondern souverän und sich frei nach Karl Valentin gesagt hätte: "So was wie den Böhmermann ignoriere ich nicht einmal."
Autor: Michael Schmuck

kress pro 2023#07

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