Bülend Ürük | 31. Mai 2016 um 11:31
Ilka Brecht. Foto: ZDF/Svea Pietschmann
kress.de: Frau Brecht, "Frontal 21" setzt immer wieder richtig große Themen: Die Nachricht über die Stationierung neuer US-Atomraketen in Deutschland im Herbst war sogar international ein Scoop. Wie schwer ist es eigentlich, an solche Themen ranzukommen? Ilka Brecht: Es ist manchmal gar nicht so schwer, an solche Themen ranzukommen. Es ist mitunter schwerer, mit solchen Themen im dichten Medienwald so vorzudringen, dass sie auch von Agenturen und anderen Medien aufgegriffen werden. Mit den Atomraketen ist "Frontal 21" in vielen Ländern bis hin ins ferne Mexiko zitiert worden. Auch die politischen Reaktionen waren dann die ganz große Nummer. Das russische Fernsehen berichtete und der Kreml hat gleich mit Gegenmaßnahmen gedroht. Darauf reagierten wiederum die Amerikaner. Und das alles wegen einer guten Idee, die dann zur "Frontal-21"-Geschichte wurde. Wir haben nämlich einfach mal in den US-Haushaltsplan geguckt. Und da stand drin: die Standorte der US-Atomwaffen in Deutschland werden nachgerüstet. Das war also gar nicht so schwierig - man muss nur drauf kommen, wo man Informationen suchen und finden kann. Und man muss in diesem Seiten- und Zahlenwust natürlich auch das Kleingedruckte lesen, man muss es interpretieren, recherchieren und die Verantwortlichen konfrontieren. Aber so bekommt man eine Geschichte, die weltweit verbreitet wird. In der Dokumentation "Die Diesellüge" hat sich "Frontal 21" mit der Autoindustrie angelegt und aufgedeckt, dass es nicht nur bei VW auffällig hohe Abgaswerte außerhalb des Prüfstandes gibt. Haben Autohersteller versucht, die Berichte zu verhindern? Ilka Brecht: Die Autofirmen und ihre Lobbyisten hatten in dieser Zeit jedenfalls erhöhten Gesprächsbedarf. Interviews haben sie uns zwar verweigert. Dafür gab es Schreiben mit rechtlichen Hinweisen und ausführlichen Erläuterungen über mögliche Folgen einer Berichterstattung. Inzwischen wurden unserer Recherchen durch die Untersuchungskommission des Bundesverkehrsministeriums bestätigt. 50 von 53 untersuchten Dieselfahrzeuge überschreiten die Grenzwerte auf der Straße um ein Mehrfaches. Seither erreichen uns keine juristischen Schreiben mehr. Sind die Themen Atombomben-Stationierung und Diesellüge eigentlich auch Beispiele dafür, dass man seinem Team den nötigen Freiraum geben muss? Ilka Brecht: Absolut, damit steht und fällt ein Team, das recherchiert. Die Redaktionsleitung gibt ja nicht vor, welche Missstände es aufzudecken gilt. Recherchen sind ergebnisoffen. Wir sind angewiesen auf Informanten und wir sind angewiesen auf die Recherchekompetenz unserer Leute. Und glücklicherweise bekommen wir Informationen und glücklicherweise haben wir kompetente, investigative Reporter. "Frontal 21" arbeitet themenweise mit Medienpartnern zusammen: "Spiegel Online" und "Handelsbatt". Was bringt das? Ilka Brecht: Wir arbeiten projektbezogen mit anderen Partnern zusammen. Nicht nur mit dem "Spiegel" und dem "Handelsblatt", auch mit der "Wirtschaftswoche" wie zuletzt bei der Geschichte "Selbstbedienungsladen Lotto - wie Politik beim Glücksspiel kassiert." Es gab auch schon eine Kooperation mit der "Zeit". Wir sind da völlig offen, welche Partner das sind. Ich könnte mir sogar eine Kooperation mit dem Fußballmagazin "11Freunde" vorstellen, wenn es das Thema hergibt. Die Hauptsache ist die gemeinsame Geschichte und die gemeinsame Recherche. Manchmal recherchieren wir gemeinsam von Anfang an, und manchmal stellen wir während einer Recherche fest, da gibt es Kollegen, die arbeiten am gleichen Thema, bringen aber andere Aspekte ein. Wenn es für beide passt, behält man die Recherche nicht für sich, sondern teilt sie und vertieft sie gemeinsam. Die "Süddeutsche Zeitung" hat mit NDR und WDR einen Rechercheverbund. Ist das eigentlich nicht eine Gefahr, wenn Medien zu sehr miteinander arbeiten? Ilka Brecht: Eine Gefahr sehe ich nicht. Aber unseren Ansatz finde ich offener - und, offen gesagt, auch weniger eitel. "SZ", WDR und NDR, das sind feste Partner und das schließt andere aus. Zitiert die "SZ" gute Storys von "Frontal 21" so gern und häufig wie zu Zeiten, als es den Rechercheverbund noch nicht gab? Ich bin mir nicht sicher. Aber sei's drum: Ich finde es generell wunderbar, wenn durch Kooperationen und Verbünde der recherchierende, investigative Journalismus gefördert wird. Egal, wie und in welcher Kombination. Aber ist das denn sinnvoll, dass man sich fest an einen Partner bindet? Und profitiert eine Zeitung wie die "Süddeutsche Zeitung" nicht eher massiv von den Recherchen der Journalisten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und natürlich der Möglichkeiten, über die sie die News verteilen können wie "Tagesschau" oder "Tagesthemen"? Ilka Brecht: Ich kann nur wiederholen, dass wir für uns entschieden haben, keinen dauerhaften Verbund mit anderen Medien einzugehen. Wir wollen offen sein für alle Partner, die eine gute Geschichte oder einen guten Rechercheansatz haben. Das finden wir sinnvoll. Ich sehe aber durchaus mit Neid, wie der Rechercheverbund seine Ergebnisse vermarktet. Da läuft über Print ("SZ"), Radio und Fernsehen (ARD) eine Riesenmaschinerie an. Wichtiger ist aber am Ende, gerade für öffentlich-rechtliche Medien, die Relevanz der Geschichte - und nicht deren Verkaufe. Seit Monaten wird mit Kampfbegriffen wie "Lügenpresse" Stimmung gegen seriöse Medien gemacht. "Frontal 21" hat Strömungen wie Pegida immer wieder zum Thema gemacht. Wie sind die Reaktionen der "Wutbürger"? Und wie können Medien auf solche Vorwürfe antworten? Ilka Brecht: Die melden sich vor allem auf den Social Media-Kanälen und darauf antworten wir auch, wenn es sachliche Kritik ist. Wir bekommen auch Briefe mit der Aufforderung an uns, dem zu entgegnen. Das finde ich völlig berechtigt. Allerdings wollen einige Beschwerdeführer gar nicht wirklich mit uns in den Dialog treten und Argumente austauschen. Was den Vorwurf der vermeintlichen "Lügenpresse" angeht: Investigativer Journalismus hilft in dieser Glaubwürdigkeitsdebatte. Dem Vorurteil, das ZDF sei ein Staatssender, gehöre zum Establishment und würde das senden, was die Regierung dem Sender vorschreibt, lässt sich eine Sendung wie "Frontal 21" sehr gut entgegen halten. Denn Investigation wie bei uns legt sich naturgemäß mit dem Establishment an, mit den Großen, der Regierung, den Parteien, den Konzernen. Dadurch beweisen wir den Zuschauern Unabhängigkeit. Journalismus als virtuelle vierte Gewalt, die durch kritische Berichterstattung über Missstände und Machtmissbrauch aufklärt. Diese Art von Journalismus ist für mich öffentlich-rechtlich pur und gehört zum Markenkern des ZDF. Meldet sich denn Intendant Thomas Bellut und sagt, Mensch, Frau Brecht, was habt ihr wieder gemacht? Ich werde jetzt zugespammt mit E-Mails? Ilka Brecht: Ja, wir machen Ärger! Wohltemperiert ist investigativer Journalismus nun mal nicht. Und, nein, wenn der Intendant unseretwegen Ärger haben sollte, dann lässt er es uns trotzdem nicht spüren. Wenn es Beschwerden gibt, die über die Gremien an den Intendanten oder an den Chefredakteur weitergeleitet werden, dann fragt der Intendant oder der Chefredakteur bei uns nach: wie sieht es aus? Welche Argumente habt ihr? Da gibt es einen Austausch und schließlich eine Antwort des Hauses. Das Thema Satire hat in Deutschland und besonders beim ZDF gerade große Aktualität. Bei Frontal21 ist Satire mit "Toll" schon immer ein fester Bestandteil der Sendung. Melden sich da die Politiker und sagen: Jetzt übertreibt ihr es? Ilka Brecht: Es gehört zur Systematik von Satire zu übertreiben. Und es gehört zum Berufsrisiko von Politikern, satirisch übertrieben bzw. zugespitzt dargestellt zu werden. Die meisten Politiker sind so schlau, sich über die freie Meinungsäußerung in einer Satire nicht öffentlich zu beschweren. Im stillen Kämmerlein springt sicher der eine oder andere mal im Dreieck, wenn er den Schlusspunkt unsere Sendung sieht, die Satire "Toll!". Die setzt eben "Frontal 21" die kommentierende Krone auf. Der Hashtag #Frontal21 schafft es dienstags während der Sendung fast immer in die Twitter-Trends. Wie wichtig ist das eigentlich, in den sozialen Netzwerken präsent zu sein, um ein jüngeres Publikum zu erreichen? Ilka Brecht: Wir finden das sehr wichtig, machen das zwar mit kleiner Besetzung, aber mit großer Verve. Über Themen wie TTIP oder Schleichwerbung bei Youtube wird kräftig diskutiert. Manchmal müssen wir uns nicht mal einschalten, weil die Community so heftig darüber debattiert, dass wir dann in den Twitter Trends landen. Und das freut uns natürlich. Sie moderieren "Frontal 21" jetzt seit zwei Jahren, sind seit September auch Leiter der Redaktion. Was machen Sie anders als Ihr Vorgänger? Ilka Brecht: Mit mir führt erstmals eine Frau die Redaktion Frontal 21. Womöglich mache ich deshalb in der B-Note, im Ton, ein bisschen etwas anders. In der A-Note, im Inhaltlichen, lege ich aber Wert darauf, dass die Tradition des kritischen Journalismus meiner Vorgänger aufrechterhalten wird. Allerdings sind die Umstände anders geworden: Als Claus Richter vor 15 Jahren als erster Redaktionsleiter mit Frontal 21 an den Start ging, spielte zum Beispiel online für die Sendung keine große Rolle, Facebook und Twitter gab es noch gar nicht. In einer veränderten Medienlandschaft müssen wir aber die Chancen nutzen, auf anderen Plattformen als dem ZDF unsere Frontal-21-Inhalte zu präsentieren und Reichweiten zu erzielen. Denn wir erreichen da ein anderes Publikum als das, was uns 45 Sendeminuten live, dienstags, 21 Uhr, sieht. Die politische Hintergrundstücke, die ein bisschen länger waren, sind selten geworden. Passen die nicht mehr in die heutige Zeit? Ilka Brecht: Wir machen nach wie vor längere Hintergrundstücke - und können sie auch machen, da wir jede Woche 45 Minuten senden. Da haben wir einen Vorteil gegenüber den Politmagazinen in der ARD, die vor ein paar Jahren auf eine halbe Stunde Sendezeit gekürzt wurden. In einer wöchentlichen 45-Minuten-Sendung hat man den Raum, einen Themenmix zu bieten, aber auch einen Mix von Formaten. Unser Anliegen ist es, möglichst vielfältig daherzukommen. Mit dem investigativen Stück, das etwas aufdeckt. Mit einem Hintergrund zur Aktualität. Mit einer Sozialreportage. Mit Themen und Bildern, die für unsere Zuschauer interessant und neu sind. Das ist Magazin. Über Quote sprechen Fernsehmacher ja eigentlich nie gerne. Vor ein paar Jahren hieß es, dienstags um 21 Uhr, da muss man eigentlich zweistellige Marktanteile erreichen. Das ist bei "Frontal 21" nicht so. Stört Sie das? Ilka Brecht: Noch wichtiger als die Quote finde ich die Reichweite. Damit meine ich alle Plattformen, auf denen wir unsere Recherchen präsentieren. Wir wollen beides verbessern, Quoten und Reichweiten. Denn unser Anliegen als Journalisten ist es, dass unsere Themen so viele Menschen wie möglich erreichen. "Frontal 21" erreicht gegen die beliebtesten Unterhaltungsserien der ARD und der anderen Konkurrenz dienstags zwischen 21 und 21.45 Uhr mehr als zwei Millionen Zuschauer - das finde ich beachtlich und freue mich, in der Primetime zu senden. Das ZDF hat sich am Dienstagabend für Relevanz entschieden. Wir sind nun mal kein gute Laune Programm und laufen trotzdem zu einer Zeit, in der alle anderen Sender fast nur noch Unterhaltung und leichte Kost bieten. Sie sprechen von Reichweite. Axel Springers "Bild" gilt als Social-Media-Titan. Was können Sie von "Bild" lernen? Ilka Brecht: Ja, das machen die gut. Sie haben ihren Chef extra ins Silicon Valley geschickt und mit Periscope und Facebook live ihre Leidenschaft fürs Bewegtbild entdeckt. Außerdem haben sie manchmal witzige Schlagzeilen. Aber am Ende geht es um Inhalte. Und im Segment des unabhängigen, kritischen Journalismus sind wir nunmal (lacht) ... deutlich besser. Wie wollen Sie die Sendung verändern, um noch mehr Menschen zu erreichen? Vielleicht mehr Human Touch? Ilka Brecht: Also Human Touch würde ich übersetzen wollen mit Lebenswirklichkeit. Wir wollen den Menschen auch Themen bieten, die sie betreffen, die mit ihrer Lebenswirklichkeit zu tun haben. Wenn wir Berichte senden wie zum Beispiel den über die verharmlosten Risiken von Verhütungspillen, dann interessiert das nicht nur die jungen Frauen. Es interessiert auch ihre Mütter und Väter, und es interessiert auch ihre Partner. Aber auch auf die klassische investigative Recherche legen unsere Zuschauer wert. Wir merken das Interesse am Aufdecken von Missständen immer wieder an den Reaktionen über Social Media. Die Leute posten, Danke!, das war echt wichtig, dass ihr das gemacht habt. Wie gehen Sie eigentlich genau mit Angriffen aus Politik und Wirtschaft um, wenn Sie wieder etwas aufgedeckt haben? Wie steckt man das weg? Ilka Brecht: Na, gut steckt man das weg. (lacht) Ich sage zum Abschied in jeder Sendung, "nächste Woche gehen wir es wieder frontal an". Und das meine ich ernst, wir gehen es frontal an. Und insofern wundern wir uns auch nicht darüber, wenn diejenigen, die wir frontal angehen, davon nicht allzu begeistert sind. Wir fragen aber bei jedem Bericht selbstverständlich die andere Seite. Wir gehen es also frontal an, aber fair. Nur nimmt die andere Seite die Gelegenheit zur Stellungnahme oft nicht wahr, leider. Mit Ilka Brecht, Redaktionsleiterin und Moderatorin von "Frontal 21", sprach kress.de-Chefredakteur Bülend Ürük. kress.de-Sendehinweis: ZDF-Magazin "Frontal 21" am Dienstag, 31. Mai 2016, 21.00 Uhr. Thema u.a.: Bedingt einsatzbereit - Kritik an neuer Anti-Terror-Einheit BFE+ des Bundes.
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