"Zweifellos schmähend und ehrverletzend"

Das Landgericht Hamburg hat die einst­weilige Verfügung gegen Böhmermann mit Entscheidungs­gründen nun auch an die Presse verschickt. Das Schmähgedicht ist Kunst und Satire, die grund­sätzlich er­laubt ist, und von Erdogan hinge­nommen werden muss. Aber große Teile sind - über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus -"zweifels­ohne schmähend und ehrverletzend". Der Beschluss bezieht eine klare Position für die Meinungsfreiheit, meint der Berliner Presseanwalt und Journalist Michael Schmuck.

Michael Schmuck | 16. Juni 2016 um 23:14

Jan Böhmermann.

Das Gericht hat alle Teile des Gedichts, die unter die Gürtellinie gehen, verboten. Dazu gehören vor allem die Ziegenfickerei und der Schweinefurz. Die Richterinnen und Richter stellten dabei klar: Es geht nicht um eine Niveaukontrolle der Kunst, nicht darum zu unterscheiden, zwischen guter und schlechter oder höherer und niederer Kunst. Die Verse greifen Vorurteile auf "Es dreht sich vorliegend nicht um eine für die rechtliche Beurteilung unbe­deutende Geschmacks­frage.", so das Gericht. "Sondern die fraglichen Zeilen greifen gerade gegenüber Türken oftmals bestehende Vorurteile auf, die gewöhnlich als rassistisch betrachtet werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in Kenntnis dessen, dass das Schwein im Islam als ,unreines' Tier gilt - von einer solchen Kenntnis des Antragsgegners (Böhmermanns, der Autor) kann ausgegangen werden -, der ,Schweine­­furz' erwähnt wird. Des weiteren haben nahezu sämtliche Zeilen einen sexuellen Bezug. Auch unter Beachtung des vom Bundes­verfassungs­gericht für die Beurteilung der Einkleidung aufgestellten strengen Maßstabes und der konkreten Präsentation überschreiten die fraglichen Zeilen das vom Antragsteller (Erdogan, der Autor) hinzunehmende Maß." Keine völlige Missachtung der Rechte erlaubt Obwohl Erdogan in seiner Funktion als Staats­präsident und wegen seiner umstrittenen Politik selbst harsche Kritik hinnehmen müsse, führe das "nicht zur völligen Missachtung" seiner Persönlich­keitsrechte. Die nicht verbotenen Teile des Gedichts greifen Vorgänge auf, für die Erdogan als Staatsoberhaupt die politische Verantwortung trägt, und diese dürfen überspitzt und harsch kritisiert werden. So durfte Böhmermann zum Beispiel heftige Kritik daran äußern, dass in der Türkei Polizisten am Weltfrauentag auf demonstrierende Frauen eingeknüppelt haben und dass auch bei anderen Anlässen mit Gewalt gegen Demon­stranten vorgegangen wurde, die die Politik Erdogans missbilligten. Böhmermann durfte sich lustig machen über Erdogan Das Gericht stellte klar heraus, dass Böhmer­mann sich über diese Politik Erdogans böse und satirisch lustig machen durfte - insbesondere darüber, wie Erdogan mit der Meinungsfreiheit umgeht. Damit bezieht das Landgericht Hamburg klar Position für die Meinungsfreiheit in Deutschland. Das wird vor allem in einem eher formalen Umstand deutlich: Es wäre durchaus möglich gewesen, das gesamte Gedicht zu ver­bieten - weil Kunst nicht zerstückelt werden kann, wie Böhmermann-Anwalt Prof. Dr. Schertz ausgeführt hatte. Doch das Gericht hat die erlaubten Teile wohl ganz bewusst heraus­gefiltert. Keiner ist gleicher als der andere Und dass Erdogan hier wie jeder andere Beleidigte oder Geschmähte behandelt wird, zeigt sehr schön die übliche Bezeichnung oder Vor­stellung der beiden Streitparteien im Beschluss: "Der Antragsteller ist Präsident der Türkei. Der Antragsgegner ist Hörfunk- und Fernseh­moderator." Hier ist keiner gleicher als der andere.

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