Armin Fuhrer | 27. Juni 2016 um 11:54
Jacqueline Schäfer
Jeder, der in den USA ein wenig Einblick in die große Politik hat, kann man mit dem Namen John Favreau etwas anfangen. Favreau wurde im zarten Alter von 23 Jahren 2005 Redenschreiber des Mannes, der drei Jahre später zum mächtigsten Politiker der Welt aufsteigen solle: Barack Obama. Er könne wie kein anderer die Gedankengänge des Präsidenten in Worte fassen, lobte ihn Obamas Chefwahlkämpfer David Axelrod. Die gemeinsame Arbeit der beiden erinnere ihn an die Arbeit von Musikern an einem Kunstwerk.
Will sagen: Was John Favreau für den Senator und später den Präsidenten Obama tat, war eine hohe Kunst. Schließlich gilt Obama als ein großer Redner. Sein berühmtes "Yes, we can" aus dem Wahlkampf 2008 könnte durchaus aus der Feder Favraeaus stammen. Da erscheint es fast folgerichtig, dass Favreau 2013 vom Weißen Haus in die Traumfabrik nach Hollywood wechselte - als Drehbuchautor.
In Deutschland schämen sich Politiker für ihre Redenschreiber
Gute Redenschreiber sind in den USA, aber auch beispielsweise in England, hochangesehene, gut dotierte Experten. Und hierzulande? "In Deutschland verstecken viele Politiker oder Wirtschaftsführer ihre Redenschreiber eher verschämt. Man möchte ja den Eindruck erwecken, als könne man das alles selbst", sagt Jacqueline Schäfer. Sie muss es wissen, denn die Kommunikationsexpertin aus Berlin beobachtet den Markt der Redenschreiber seit vielen Jahren professionell. Und mehr noch: Kürzlich wurde sie zur neuen Präsidentin des "Verbandes der Redenschreiber deutscher Sprache" (VRdS) gewählt. Als Nachfolgerin des bisherigen Präsidenten Vazrik Bazil, der satzungsgemäß nach sechs Jahren nicht wieder kandidieren durfte, vertritt sie nun die Belange der deutschen Redenschreiber ehrenamtlich in der Öffentlichkeit. Zu ihrer Stellvertreterin wurde die
frühere grüne Bundestagsabgeordnete Antje Hermenau gewählt.
Tatsächlich fehlt in Deutschland noch weitgehend das Bewusstsein dafür, welchen Nutzen gute Redenschreiber haben können. Sicher: die Bundeskanzlerin hat welche, die Ministerpräsidenten und die Minister auch. Das gleiche gilt für die Chefs der ganz großen Unternehmen. Aber schon in der Ebene darunter sieht das meistens anders aus. Schon, weil sich diese Ebene häufig gar keinen ständigen eigenen Redenschreiber leisten kann - oder will.
Gute Reden sind ein Mittel gegen Politikerverachtung
"Eine gute Rede kann natürlich einen Politiker in der Öffentlichkeit gut aussehen lassen. Und wenn er ständig gute Reden hält - umso besser", sagt Schäfer. Vor dem Hintergrund der derzeit aufgeheizten öffentlichen Debatten sieht sie aber noch eine ganz andere, gesellschaftliche Bedeutung guter Reden, und damit derjenigen Leute, die diese schreiben. "Mit guten Reden können wir die Kultur der Deutschen positiv beeinflussen und so auch der grassierenden Politikerverachtung entgegenwirken".
Schäfer sieht gar die Notwendigkeit, die Debattenkultur hierzulande überhaupt erst einmal wieder auf die Füße zu stellen. "Bevor bei uns jemand anfängt zu reden, hat ein anderer meist schon widersprochen". Das Gefühl, erst zuhören zu müssen bevor man etwas antworten kann, sei verloren gegangen. Debatten bei uns seien oft nur noch durch eine "Feindeskultur" geprägt.
Dass es in Deutschland eine gewisse Skepsis gegenüber guten und damit auch verführerischen Reden gebe, hängt mit der jüngeren Geschichte zusammen. Joseph Goebbels sei nun mal sehr gut gewesen, man müsse sich nur die Rede im Sportpalast vom 18. Januar 1943 anschauen, als er das Publikum fragte, ob es den totalen Krieg wolle. "Die Rede war geschickt - die Wirkung und die Folgen aber fatal. Das wirkt bis heute nach und ändert sich in jüngerer Zeit allmählich".
Redenschreiben - ein interessantes Feld für freie Journalisten
Doch es müsse eben überhaupt das Bewusstsein der guten Rede geschaffen werden. In Deutschland wirkten Reden häufig wie trockene Referate. Und: Wer eine gute Rede bestelle, müsse dafür auch ordentlich bezahlen. "Redenschreiben ist eine intellektuelle Dienstleistung, die dementsprechend vergütet werden muss". In Deutschland müsse dafür erst noch ein richtiger Markt entstehen. Das ist auch Aufgabe des vor 18 Jahren gegründeten Redenschreiber-Verbandes. Ins Leben gerufen hat ihn damals Thilo von Trotha, der einst in der "Schreibstube" des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt arbeitete. "Wir haben da schon einiges erreicht, aber auch noch viel zu tun", so Schäfer.
Der Job des Redenschreibers kann in Zeiten, in denen es für frei Journalisten und Autoren immer schwieriger wird, Texte unterzubringen, ein geeignetes Betätigungsfeld sein, denn gerade Journalisten seien als Redenschreiber prädestiniert, so Jaqueline Schäfer. Sie hätten schon viele Reden gehörten, wüssten, wie diese aufgebaut seien und wie schwer es sei, aus einer schlechten und langweiligen Rede die paar Zitate und Stellen herauszuholen, die wirklich interessant und spannend sein. Die Fähigkeit, in Schlagzeilen zu denken, sei ebenfalls hilfreich.
Nur in einem Punkt könnten Journalisten Probleme bekommen, glaubt Schäfer: "Wenn Journalisten für eine andere Person eine Rede schreiben, bekommt diese den Applaus, der Schreiber bleibt ganz im Hintergrund. Das könnte manche Journalisten in ihrer Eitelkeit treffen".
Info
Der "Verband der Redenschreiber deutschen Sprache" (VRdS) wurde 1998 von Thilo von Trotha in Bonn gegründet. Sein Ziel ist es, einerseits die Interessen der Redenschreiber zu vertreten So gibt er beispielsweise freien Redenschreiben Tipps bei der Höhe von Honoraren. Andererseits will er erreichen, dass Redenschreiber in der Öffentlichkeit viel stärker als derzeit anerkannt werden. Ebenso ist ein Ziel, die Debattenkultur in Deutschland, Österreich und der Schweiz zu fördern. Dem Verband gehören derzeit etwa 500 Mitglieder an, darunter auch viele Mitarbeiter von Ministerien und Wirtschaftsunternehmen, die als feste Redenschreiber angestellt sind. Der Verband ist in Regionalgruppen untergliedert, die regelmäßige Treffen abhalten.
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