"Wir setzen starke Akzente auf die Musik und aufs Regionale"

Der WDR ist dabei, die Massenwellen WDR 2 und WDR 4 umzubauen. WDR 2 hat gerade eine neue Nachrichten-Struktur erhalten. Bei WDR 4 kommt ein neues Morgenprogramm. Jochen Rausch, Chef der Massenwellen 1Live, WDR 2 und WDR 4, spricht über den Wert des Wandels – und wagt eine Prognose über die Zukunft der Staumeldungen.

Jürgen Overkott | 29. Juni 2016 um 12:02

Jochen Rausch (Foto: © WDR/Ludolf Dahmen)

kress.de: WDR 2 hat eine neue Nachrichtenstruktur erhalten, WDR 4 wird am Morgen aufgehübscht. Warum schrauben Sie am Programm?
Jochen Rausch: Medien berichten jeden Tag von den Veränderungen in unserer Welt. Seltsamerweise sind viele Medien aber selber sehr zurückhaltend, wenn es um ihre eigene Veränderung geht. Diesen Widerspruch habe ich nicht so richtig verstanden. Wer nicht mit der Zeit geht, ist irgendwann außen vor, selbst bei denen, die es nicht mögen, wenn sich ihr Lieblingssender verändert.
Die nahe liegende Antwort wäre: Bei WDR 2 waren die Nachrichten ein Abschalter, und WDR 4 laufen morgens die Hörer davon. Wie hat sich die Hörerstruktur der beiden Wellen verändert?
Jochen Rausch: Wer sagt, dass die Nachrichten bei WDR 2 ein Abschalter waren? Es gibt keine Hörerforschung, die diese steile These stützt. Gerade in Zeiten wie diesen sind die Nachrichten ein enorm wichtiger Teil des Programms. Der WDR ist seriös und kompetent, und genau so ist seine Nachrichtengebung. WDR 2 ist ein Mix aus Information und Unterhaltung, bei WDR 4 liegt der Schwerpunkt auf der Unterhaltung. Bei WDR 4 gibt es die größte Veränderung in der Musik; es gibt einfach nicht mehr genug HörerInnen für ein schlagerorientiertes Musikprogramm. Wer heute 65 ist, war bei der Auflösung der Beatles 19. Das heißt, die Älteren sind popsozialisiert und wollen diese Musik auch im Alter hören.
Gehen wir die Änderungen der Reihe nach durch. Die WDR-2-Nachrichten waren lange ein Mix aus Moderatorin und Korrespondentenbeiträgen mit gelegentlichen O-Tönen. Jetzt sind die Nachrichten ein bilderloses "heute-journal" mit Hauptmoderation, Nebenmoderation, einer Menge O-Töne, weite Welt plus NRW-Nachricht. Welches Konzept steht dahinter?
Jochen Rausch: Wir haben bei 1Live und auch bei WDR 2 über 20 Jahre immer wieder verschiedene Präsentationsformen der Nachrichten gehabt. Die klassischen Sprechernachrichten aus reinen Textmeldungen gibt es schon lange nicht mehr. Wir haben immer das Ziel verfolgt, die Nachrichten verständlich zu machen, ihnen eine Dramaturgie zu geben, die möglichst viele Hörer dazu bringt, den Nachrichten bis zum Schluss zuzuhören. Die Länge sagt nichts über die Qualität: Die Nachrichten sind im Vergleich zu Nachrichten in den 70er oder 80er Jahren in sich kürzer geworden, in der Summe werden aber mehr Themen angesprochen.
Wie reagieren die Hörer darauf?
Jochen Rausch: Hörer reagieren vor allem dann, wenn sie etwas sehr negativ finden. Die Reaktionen des Publikums auf die veränderten Nachrichten bei WDR 2 und WDR 4 sind sehr zurückhaltend - es gibt negative Stimmen, die sich aber vor allem auf die Präsentationsform und die Akustik, weniger auf den Inhalt beziehen. Das haben wir erwartet, aber die "Tagesschau" von heute sieht auch nicht mehr aus wie die "Tagesschau" von vor 30 Jahren. Den Nachrichten folgen üblicherweise Staumeldungen. Hand aufs Herz: Einschalter oder Abschalter?
Jochen Rausch: Staumeldungen gehören zum Radio wie die Wettervorhersage. Vielleicht werden sie eines Tages überflüssig sein, zum Beispiel, wenn es das selbstfahrende Auto gibt. Noch ist es nicht der Fall. Wir befinden uns medial in einem Transformationsprozess, es gibt Leute, die regeln ihre gesamte Mediennutzung über das Smartphone, und es gibt Leute, bei denen noch immer ganz klassisch das Küchen- und das Autoradio im Einsatz sind.
Nun zu WDR 4. Vor fünf Jahren wurde das Massenprogramm für die Generation Silberhaar auf den Kopf gestellt. WDR 4 mutierte vom Schlagerfunk zur englischlastigen Oldiewelle, dazu kam mehr Service im Wortprogramm. Jetzt steht wieder ein Umbau an. Welche Idee steht dahinter?
Jochen Rausch: Auch WDR 4 befindet sich in einem kontinuierlichen Veränderungsprozess. Wir wollen starke Akzente auf die Musik und auf das Regionale setzen: In der Gesamtanmutung kommt WDR 4 weniger intensiv daher als alle anderen WDR-Radioprogramme. Aber selbstverständlich werden wir die wichtigsten politischen und aktuellen Themen auch bei WDR 4 ansprechen.
Das Programm wird am Morgen umgebaut. Ist das nur der Anfang?
Jochen Rausch: In jedem Radioprogramm ist die Morgensendung die wichtigste Sendung. Sie prägt das gesamte Programm, ganz einfach, weil hier die meisten HörerInnen zuhören. Beim Fernsehen ist die Primetime bekanntlich der frühe und mittlere Abend. Deshalb laufen auch dort die wichtigsten Programme und Sendungen. Wir setzen in allen Radioprogrammen am Morgen den Maßstab, den wir dann in allen anderen Sendestrecken halten wollen, wohl wissend, dass wir am Abend wesentlich weniger HörerInnen haben als am Morgen.
Der WDR hat ein dreiköpfiges Team für die Mission Morgenfrische benannt. Moderatoren wie Heike Knispel stehen für frische, ja freche Interviews und Beiträge.Wie viel Süffisanz und Ironie versteht, verträgt das WDR-4-Publikum?
Jochen Rausch: Das kann ich nicht seriös beantworten, aber wir hoffen, dass es gut ankommt. Man kann einiges aus der Marktforschung ablesen, vor allem, wie etwas rückwirkend bewertet wird, aber nie, wie etwas ankommen wird. Das geht also nie ohne Risiko. Ich glaube, die WDR-4-Hörer werden es mögen, von einem hellwachen, authentischen Team in den Tag geführt zu werden.
Wird WDR 4 das neue WDR 2? Mal ernsthaft: Wie wollen Sie die beiden Massenprogramme von einander abgrenzen, unverkennbar halten?
Jochen Rausch: Der Schwerpunkt von WDR 2 war und ist die Information, verbunden mit unterhaltenden Elementen, vor allem natürlich Musik. Wer es puristischer und kompakter will, hört das Morgenecho auf WDR 5. Wer sich vor allem unterhalten lassen will, hört morgens WDR 4, erfährt aber über die Nachrichten und die Moderatoren, ob sich in der Welt etwas Relevantes ereignete. Es besteht ja auch immer die Möglichkeit, zwischen den WDR-Programmen zu wechseln - es ist überhaupt nicht in unserem Interesse, die Programme so anzugleichen, dass man sie verwechseln könnte - 1Live, WDR 2 und WDR 4 sind alle in den Top 10 der deutschen Radios vertreten, und das soll auch noch möglichst lange so bleiben. Wechseln wir vom Wort zur Musik: Den großen Wellen wird vorgeworfen, kaum mehr als Format-Radio zu bieten, im Volksmund auch Dudelfunk genannt - bestimmte Musiktitel haben eine hohe Wiederholungsrate. Bleibt's dabei?
Jochen Rausch: Ich glaube, es gibt in unserem Metier kaum ein Wort, das öfter bewusst oder unbewusst missverstanden wird als das Wort Format. Format heißt doch nicht Dudelfunk, sondern Verlässlichkeit und Wiedererkennbarkeit. Jede erfolgreiche Zeitschrift hat ein strenges Format, da kommt der Sport auch nicht mal auf Seite 2 und dann wieder hinter dem Lokalteil. Und in jedem Format ist Platz für Überraschung. Das ist für 1Live, WDR 2 und WDR 4 die Herausforderung: verlässlich zu sein und das Publikum jeden Tag auch immer wieder zu überraschen. Hört sich nach einem Widerspruch an, geht aber. Und was die Musik angeht: Das Dilemma ist einfach zu erklären - die meisten HörerInnen sind weniger als eine Stunde am Radio. Sie wollen in dieser Zeit die aktuellen Hits hören. Wer sehr lange am Stück einen Sender hört, bemerkt die Wiederholungen, da es eben nur eine bestimmte Anzahl von Hits gibt. Ich kann verstehen, dass die Vielhörer manchmal das Gefühl haben, sie hören immer dieselben Lieder. Wenn man das gesamte WDR Radioangebot betrachtet, kommt man aber mit sehr viel Abwechslung durch den Tag.
Welche Rolle spielt der private Mitbewerber Radio NRW bei den Veränderungen?
Jochen Rausch: Wir haben in NRW im Radio eine klare Aufteilung zwischen den landesweiten öffentlich rechtlichen Angeboten und den privaten lokalen Radiosendern. Daran hat sich nichts geändert.

Zur Person
Jochen Rausch (60) begann seine journalistische Laufbahn klassisch bei einer Tageszeitung. Der stellvertretende Hörfunk-Chef des WDR verantwortet die populären Wellen 1Live, WDR 2 und WDR 4. Nebenher ist der Wuppertaler als Autor und Musiker unterwegs.
Die Wellen
WDR 2 wird von der Vermarktungstochter WDR media group als "journalistisch kompetent für die Zielgruppe 25-59" beschrieben. Die Welle lag in der jüngsten Reichweiten-Analyse bundesweit auf Platz 4. WDR 2 erreichte im Stundenschnitt 1,035 Millionen Hörer - 8000 mehr als in der vorherigen Analyse.
WDR 4 zielt auf die Hörergruppe 45-69. Die Welle rangierte jüngst auf Platz 10. Der Sender verlor 7000 Hörer in der Durchschnittstunde - und erreichte 702 000.

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