Dreist, überflüssig - und dümmer als die Polizei erlaubt

Da verletzen verdeckte "Investigativ"-Reporter zusammen mit einer Kölner Polizistin im Auftrag von RTL vielfach Persönlichkeitsrechte und lassen sich dabei erwischen. Was soll das - und welche Rechtsnormen wurden dabei verletzt? Eine Einordnung des Berliner Presseanwalts und Journalisten Michael Schmuck.

Michael Schmuck | 12. August 2016 um 12:49

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Nicht auszudenken, was da am Ende wohl alles an wild zusammengeschnittenen, aufgebauschten und überspannten "Enthüllungen" über den Sender gegangen wäre. Das Motto, auf das dieser vermeintliche "Scoop" herauslief, kann sich jeder Zuschauer ausmalen: "Polizei in Deutschland - gestresst, überfordert und unfähig" oder ähnliches hätte uns da erwartet. Und in jedem Fall wäre der Ruf der Kölner Polizei, der seit den Ereignissen von Silvester ohnehin reichlich angeschlagen ist, bis zum Ende dieses Jahrtausends nicht mehr zu kitten gewesen. Auch RTL selbst kann froh sein, sich die Peinlichkeit, die mit der Ausstrahlung einer derart mit heißer Nadel und auf vielfach unrechtmäßige Weise zusammengestrickten Undercover-Reportage verbunden gewesen wäre, erspart zu haben. Das wirklich Bemerkenswerte an der RTL-Wanzen-Geschichte sind jedoch nicht die Wanzen, nicht die versteckten Kameras und nicht die Under-Cover-RTL-Polizistin - sondern der Umstand, dass sie sich auf frischer Tat ertappen ließ. Nach Profi-Investigation klingt das jedenfalls nicht. Es klingt nach Dilettantismus, Dummheit, Scharlatanerie und Dreistigkeit - gepaart mit Unfairness, Arroganz und jeder Menge Rechtsverstößen. Ein dickes Kerbholz von Rechtsverstößen Was die Rechtsverstöße betrifft, da haben die RTL-Investigativprofis ganz schön abgeräumt: Verletzung des Rechts am eigenen Bild, strafbar nach § 33 Kunsturhebergesetz, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes in mehreren Varianten (abhören und aufzeichnen), strafbar nach § 201 Strafgesetzbuch, sehr wahrscheinlich Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereiches durch Bildaufnahmen, strafbar nach § 201a Strafgesetzbuch - und vermutlich auch Ausspähen von Daten, strafbar nach § 202a. Das "Strafregister" kann sich wahrlich sehen lassen! Auch der Pressekodex wurde vielfach verletzt. Das Brimborium des investigativen Journalismus: Wanzen und versteckte Kameras Für die Polizistin kommt noch die Verletzung von Privatgeheimnissen hinzu, strafbar nach § 203 Strafgesetzbuch. Für sie ist es das Aus, jedenfalls bei der Polizei. Ob journalistische Karrieren bei Privatsendern durch solche Methoden gefährdet sind, ist kaum anzunehmen. Wird doch das eingesetzte Brimborium des vermeintlich investigativen Journalismus dort zunehmend genutzt, um Zuschauern vorzugaukeln, mutige Reporterinnen und Reporter machten im heroischen Auftrag der Presse- und Meinungsfreiheit des Grundgesetzes waghalsige Entdeckungen. Anschließend muss die Geschichte des Gebrauchtwagenhandels oder der Fernsehgeräte- und Waschmaschinenparaturdienste regelmäßig neu geschrieben werden. Oder hier vermutlich die der Polizei. Versteckte Kameras, heimliche Aufnahmen und oft dumme, weder sach- noch fachkundige Fragen gespickt mit entlarvenden Antworten der derart "gelarvten", sprich verpixelten und mit verzerrter Stimme krächzender vermeintlicher Schwerverbrecher oder deren angebliche Opfer - das sind die Instrumente, die den Zuschauern suggerieren sollen, dass hier echte Kerle am Werk sind, die dafür täglich den Pulitzerpreis bekommen müssten. Nur brisante Enthüllungen können Rechtsverstöße entschuldigen Die Auszeichnung bekämen sie vielleicht tatsächlich, wenn sie wirklich bedeutenden, öffentlichkeitsrelevanten, brisanten Skandalen auf der Spur wären, die es im Namen der Wahrheit aufzudecken gilt. Dann wären vielleicht auch die Rechtsverstöße irgendwie zu entschuldigen oder gar zu rechtfertigen. Das Gericht würde wohl milde gestimmt sein. Ja, dann würde es sich lohnen, seinen Beruf, sein Ansehen und seine Karriere aufs Spiel zu setzen oder gar eine Geld- oder Gefängnisstrafe für die verdeckten Methoden zu riskieren. Die RTL-Profi-Investigatoren hatten ja offenbar nicht einmal von irgendetwas eine Spur, der sie folgten. Sie zeichneten wohl einfach mal schleppnetzfahndungsähnlich den Polizeialltag der betroffenen Hundertschaft auf, ohne dass es dafür einen konkreten Anlass gab - in der Hoffnung, es werde sich schon irgend etwas ergeben, das sich für ein vorhandenes oder noch zu erfindendes RTL-Format eignen könnte. Mit Format hat so ein "Format" jedenfalls nicht viel zu tun. Wussten RTL-Redakteure wirklich gar nichts? Nun sagt RTL - die Hände in Unschuld waschend - der Sender bzw. dessen Verantwortliche hätten von solchen Methoden ihrer Mitarbeiter nichts gewusst (eine davon ist fest angestellte Redakteurin, ein Kameramann arbeitete für eine private Produktion). Sogleich übergab der Sender, natürlich auf "eigene Initiative", rasch das zugelieferte Ton- und Bildmaterial an die Polizei. Hatte dieses umfangreiche, während mindestens zwei Monaten erstellte Material wirklich kein anderer Redakteur, kein Producer und auch nicht der letztlich verantwortliche Chefredakteur Michael Wulf gesichtet oder bearbeiten lassen - oder eben auch nur beauftragt? Denn nur für den Fall, dass kein anderer Beteiligter bei RTL etwas von den nun ans Licht gekommenen kriminellen Recherchemethoden ahnte, mag es ok gehen, wenn die Staatsanwaltschaft Köln nun keinen Anfangsverdacht gegen den Sender, genauer: gegen deren redaktionell Verantwortliche, hegt. Denn für sich genommen ist es nicht strafbar, das heimlich gedrehte Material nur zu besitzen. Strafbar wäre es jedoch, es herzustellen oder es zu publizieren. Allerdings hätte die Polizei bei RTL auch ohne weitere Verdächtige nach dem Material suchen dürfen. Besteht nämlich der Verdacht, dass sich Beweismaterial bei Nichtverdächtigen befindet, darf auch dort durchsucht und Beweismaterial beschlagnahmt werden. Einer solchen Durchsuchung und Beschlagnahme ist RTL allerdings zuvorgekommen und hat das Material von sich aus herausgegeben. Da war der Sender gut beraten. Kriminalistische Erfahrungen können je nach Fall und Stadt anders sein Aber nicht einmal einen leisen Verdacht zu haben, also überhaupt gar nichts bei RTL selbst ermitteln zu wollen, ist etwas schwer zu verstehen. Zwar gibt es ja immer mal wieder freie TV-Zulieferer, die auf eigene Faust arbeiten und erst dann das Paket beim Empfänger abgeben, wenn es fertig gepackt ist - oft mit fragwürdigem Inhalt. Der Wettbewerb in der Branche ist hart, die Zeit knapp, die Preise schlecht. Daher sind auch so viele halbseidene Zulieferer am Werk. Doch in diesem Fall hatte RTL, so scheint es jedenfalls, schon vorab kleinere Lieferungen erhalten - und das hätte wohl vielen anderen Ermittlern für einen Anfangsverdacht ausgereicht. Denn Ermittlungen sind nach Nr. 6 der "Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren" bereits dann zulässig, wenn "nach kriminalistischer Erfahrung die, wenn auch geringe Wahrscheinlichkeit besteht, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist". Warum also hält sich die Kölner Staatsanwaltschaft in diesem Fall so zurück? Außerdem: Wer weiß denn ganz sicher, ob wirklich alles herausgegeben wurde? Ich war's nicht, sagt Wallraff Sehr bald nachdem die Sache bekannt wurde, hat Günter Wallraff erklärt, dass er - der Groß-Vater der investigativen Recherche - mit der Sache nichts zu tun habe. Das alles sei nicht für seine Sendung "Team Wallraff" gedacht gewesen. Wallraff will das Material nun auch "erstmals" selbst gern anschauen. Als RTL-Mitarbeiter dürfte er das wohl, das wäre vermutlich noch kein "Zugänglichmachen an einen Dritten", wie es im Gesetz heißt - und erst recht kein Publizieren. Und RTL dürfte wohl auch nach der einschlägigen Rechtsprechung Kopien ins Archiv stellen, aber eben nichts davon senden. Das Material bleibt damit wohl für alle Zeiten im Giftschrank "undercover" und nur für interne Zwecke zugänglich. Sender- und Zeitschriftenarchive sind - ob erlaubt oder nicht - voll von solchen verbotenen oder unerwünschten Aufnahmen. Recherchiert, aber eben nicht publiziert. Wallraff selbst hat mit seinen verdeckten Recherchen bei der "Bild"-Zeitung nicht nur den investigativen Journalismus geprägt, sondern auch die herrschende Rechtsprechung. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahre 1984 trägt seinen Namen und steckt die die Möglichkeiten, aber eben auch die Grenzen der verdeckten Recherche ab. Auch rechtswidrig erlangte Informationen dürfen publiziert werden Grundsätzlich dürfen demnach auch rechtswidrig erlangte Informationen publiziert werden. Allerdings: Haben Journalisten solche Informationen zum Beispiel nur erlangt, weil sie jemanden bewusst getäuscht haben, und wollen sie die Informationen gegen den Getäuschten verwenden, so dürfen sie nicht publiziert werden. Von dieser Einschränkung gibt es eine Ausnahme: Wenn die Informationen so brisant sind, dass sie ans Licht der Öffentlichkeit müssen, also bei ganz großen Skandalen in Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft. Das Verfassungsgericht hat das so formuliert: "Eine Ausnahme gilt nur, wenn die Bedeutung der Informationen für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung einseitig die Nachteile überwiegt, welche der Rechtsbruch für den Betroffenen und für die Rechtsordnung nach sich ziehen." Das heißt übrigens nicht, dass jeder Rechtsbruch damit automatisch vom Tisch wäre. Es muss eben der Einzelfall haargenau abgewogen werden. Da kann die Wahrnehmung berechtigter Interessen oder vielleicht sogar eine Art Notstand eine Rolle spielen. Auch wer berechtigterweise etwas auf verbotene Weise Erlangtes publiziert, riskiert eine Strafe. Von solch einer Brisanz in der Sache kann aber bei den jüngsten RTL-Recherchen zum Thema Polizei keine Rede sein. Auch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln bieten für sich genommen keinen Anlass für solche Methoden. Schließlich ist nicht jeden Tag Silvester. Was immer es also zu beweisen oder ans Licht zu fördern gab: ohne jeden brisanten, also außergewöhnlichen Rechercheansatz geht es nicht. Das wäre, als ob Ärzte ihre Patienten operieren, nur weil sie von Beruf Chirurg sind oder die Polizei Häuser durchsucht, weil man da ja immer etwas findet. Gleich, ob die Recherchen zeigen sollten, wie schwierig und belastend die Polizeiarbeit ist (was RTL behauptet) oder wie schlecht ausgestattet oder gar rechtlich fragwürdig sie ist - all das hätte nicht die vom Verfassungsgericht in der Wallraff-Entscheidung geforderte Brisanz enthalten. Wie beim Geheimdienst: Nicht erwischen lassen! Wer als investigativer Journalist fragwürdige, rechtswidrige und verdeckte Methoden bei staatlichen Geheimdiensten anprangert, aber zugleich anwendet, der muss sich nicht wundern, wenn er für seine geheimen Methoden (die ja eigentlich nicht zu seinen Aufgaben gehören) anstatt Lorbeeren einen Sturm der Entrüstung erntet. Der Sturm der Entrüstung bleibt eben immer nur dann aus, wenn die neuzeitlichen Helden der Tarnung mit ihren unerlaubten Methoden den dritten Weltkrieg verhindern. Doch wenn Journalisten schon meinen, sich unbedingt wie 007 ins Zeug legen zu müssen, dann dürfen sie wenigstens nicht so blöd sein, sich dabei erwischen zu lassen.

kress pro 2023#07

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