So geht es nicht zu im Lokaljournalismus

Der Bundesrichter Thomas Fischer watscht den Lokaljournalismus ab, und Gisela Friedrichsen, ehrwürdige Gerichtsreporterin des "Spiegel", watscht den Richter ab. Das war richtig. Seine ungerechten, pauschalisierenden Verunglimpfungen eines ganzen Berufsstandes sind unerträglich. Leider ist es auch die Antwort von Frau Friedrichsen - wenigstens der Teil, in dem sie über Lokaljournalismus schreibt. Von Stefan Bergmann.

16. August 2016 um 08:56

Stefan Bergmann

Man fragt sich, wann Frau Friedrichsen zum letzten Mal eine Lokalredaktion betreten hat, oder besser mehrere. Sie scheint sehr genau zu wissen, wie es dort heutzutage zugeht. Woher nur? Dass es in der Ericusspitze einen Lokalteil für Hamburg, Tötensen oder Kattenvenne gibt, habe ich noch nie gehört. Zu behaupten, der Lokaljournalismus in Deutschland sei geprägt von ausgebeuteten freien Mitarbeitern, schlecht ausgebildeten Redakteuren unter ständigem Zeitdruck und fahrlässigem Arbeiten ist genauso richtig wie die Behauptung, dass sich beim "Spiegel" alle Redakteure ständig streiten. Branche zerfleischt sich lustvoll selbst Frau Friedrichsen stimmt mit Ihrer Klage ein in den Chor derjenigen, der den Journalismus im Allgemeinen und den regionalen und lokalen Journalismus im Besonderen seit Jahren schlechtreden. Ich kann es nicht mehr hören. Kaum ein Branche zerfleischt sich so lustvoll coram publico. Natürlich gibt es Verleger, die keine Fortbildungen bezahlen. Natürlich gibt es Journalisten, die skandalisieren, wo es unangebracht ist, oder die unter Zeitdruck fahrlässig werden. Oft ist es auch nicht möglich, tagelang zu recherchieren. Natürlich gibt es schwarze Schafe unter uns, die alles nicht so genau nehmen. Und, ich gebe es zu: Hier und da und vielleicht häufiger als uns allen lieb ist werden wohl auch freie Mitarbeiter ausgebeutet, und das ist schlimm. Aber die Mär, dass es angeblich keine "Redaktionsstuben" mehr gibt (allein dieses Wort!), dass nur Volontäre zu Gericht geschickt werden, dass niemand Ahnung hat von der Juristerei und vielleicht auch von gar nichts, dass es keine Festanstellungen mehr gebe, dass es mehr freie Mitarbeiter als feste Redakteure gebe - das alles wird durch ständiges Wiederholen nicht richtiger. Früher war ja immer alles besser. Friedrichsens Wort hat Gewicht Wenn Gewerkschaften so etwas sagen: Nun gut. Es ist ihre Aufgabe. Wenn eine hoch angesehene Reporterin wie Frau Friedrichsen - die vermutlich selbst traumhafte Arbeitsbedingungen hat - so etwas sagt - dann bekommt es ein anderes Gewicht und wird geglaubt. Und trotzdem ist es in dieser pauschalen Form falsch. Ich habe inzwischen einige Zeitungsredaktionen kennengelernt, und darin waren und sind viele Kollegen, die ihren Beruf sehr ernst nehmen. Die sich fortbilden, die Fortbildungen einfordern (und sie auch bekommen). Die Ahnung von vielen Fachgebieten haben, ohne dass sie sie studiert haben. Die in der Lage sind, sich selbst Hintergrundinformationen zu beschaffen. Man muss nicht Jura studiert haben, um über Gerichtsprozesse schreiben zu können. Vermutlich ist es sogar hinderlich. Aber man muss wissen wollen, wie das System funktioniert, und es recherchieren. Haltung und menschliche Qualitäten Ich habe glänzende Volontäre erlebt, die dem Leser Gerichtsberichte zelebriert haben. Und viele Kollegen, die es mit dem Ethos des Journalisten, mit der Wächter-Funktion und dem Pressekodex sehr ernst nehmen. Sie haben auch eine Haltung und menschliche Qualitäten - nicht nur im Umgang mit gescheiterten Menschen. Wie oft habe ich mit Kollegen über Kriminalfälle und ihre juristische Aufarbeitung diskutiert. Diese wertvollen Kollegen kann man aber nur kennenlernen, wenn man mit ihnen direkt zusammenarbeitet oder ihre Arbeiten regelmäßig liest. Schaut man von außen auf die Branche, dann bleiben natürlich eher die Fehlleistungen im Gedächtnis, die es zugegebenermaßen gibt. Oder auch Boulevard-Auswüchse. Aber dann pars pro toto zu argumentieren: Das ist nicht korrekt, das ist vielmehr ungerecht und abgehoben. Verleger gibt den Ton an Natürlich gibt der Verleger den Ton an. Er definiert die Ziele einer Zeitung. Er lebt den Umgang mit Menschen vor. Er legt fest, wieviel Geld welche Redaktion bekommt. Bestimmt gibt es Verleger, die es ihren Mitarbeitern schwer machen. Doch auch das ist für einen Journalisten keine Entschuldigung dafür, im Job zu schludern.Wenn etwas schief geht, dann sind es allermeistens individuelle Fehlleistungen. Wer die Schuld allein dem System gibt, drückt sich vor der (Eigen-)Verantwortung. Wer andere, bessere Texte schreiben will, der sollte das einfach tun. PS: Frau Friedrichsen und Herrn Fischer lade ich übrigens sehr gerne nach Emden ein, damit sie einmal sehen, wie heute in einer modernen Redaktion gearbeitet wird. Gerne können wir die kress-Diskussion bei uns im Rahmen einer Veranstaltung fortsetzen. Wir stehen bereit! Stefan Bergmann Zum Autor: Stefan Bergmann ist Chefredakteur der "Emder Zeitung", Deutschlands kleinster Zeitung mit Vollredaktion.

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