Frank Hauke-Steller | 24. August 2016 um 10:53
Ulrich Teusch
kress.de: Während die "Lügenpresse"-Debatte tobt, schreiben Sie ein Buch mit dem Titel "Lückenpresse". Das klingt phonetisch ähnlich. Ist es vielleicht sogar das Gleiche? Weglassen ist doch auch eine Art der Lüge. Oder? Ulrich Teusch: Schon, aber der Begriff "Lügenpresse" unterstellt dem einzelnen Journalisten ein Fehlverhalten, und weil angeblich sehr viele Journalisten nicht adäquat arbeiten, entsteht daraus ein Massenphänomen, die "Lügenpresse" eben. Das ist mir zu simpel. Ich argumentiere anders: Journalisten arbeiten in Strukturen, die dem wahrhaftigen Journalismus eher abträglich sind. Mir geht es um das Mediensystem. Allerdings befreit das den einzelnen Kollegen nicht von seiner Verantwortung. Kommt "Lückenpresse" dem wirklich näher? Ulrich Teusch: Zunächst einmal ist doch jedes Medium ein Lückenmedium, weil es die große Bandbreite der Information gar nicht abbilden kann. Es muss immer eine Auswahl treffen. Das Problem aber ist die Gewichtung von Nachrichten, deren Unterdrückung bzw. deren tendenziöse Bewertung und das Messen mir zweierlei Maß. Das verstärkt sich gegenseitig und entwickelt sich zu Narrativen, in die dann alle neu einlaufenden Informationen eingeordnet werden. Zeitweise kann sich das zu Kampagnen, ja sogar zu Propaganda ausweiten. Welche Medien meinen Sie? Ulrich Teusch: Ich spreche in meinem Buch vom "Mainstream innerhalb des Mainstreams", also einem dominanten Segment, das für den Gleichklang unserer Medienlandschaft verantwortlich ist. Es gibt daneben auch einen Mainstream außerhalb des Mainstreams. Dort findet man nach wie vor wunderbaren, brillanten Journalismus. Aber er hat einen schweren Stand und befindet sich auf dem Rückzug. Nach Ihrer Darstellung vertrauten "viele Menschen" den etablierten Medien nicht mehr. Kann sich das wieder ändern und wenn: Wie? Ulrich Teusch: Das soll sich gar nicht ändern. Ich finde es gut, dass die Menschen dem Mainstream nicht vertrauen. Solch ein Vertrauen wäre kindisch und naiv. Es ist ein Ausdruck geistiger Reife, Medien mit Skepsis, mit einer medienkritischen Haltung zu begegnen. Ich selbst als Journalist möchte auch nicht, dass sich eine Gemeinde bildet, die meinen Berichten unbesehen vertraut. Die Rezipienten sollen sich damit kritisch und konstruktiv auseinandersetzen und ein eigenes Urteil bilden. Sie könnten Menschen verstehen, die "Lügenpresse" rufen, schreiben Sie. Gleichzeitig aber missbilligen Sie den Begriff. Wie passt das zusammen? Ulrich Teusch: Ich kann die emotionale Abwehrhaltung verstehen, weil ich mich ja auch über Medien ärgere. Aber "Lügenpresse" ist ein Kampfbegriff, der für viele Kollegen beleidigend ist - auch für mich. Wir müssen an den Strukturen arbeiten. Ist "Lückenpresse" nicht auch ein Kampfbegriff? Ulrich Teusch: Nein, ich definiere das Wort ja in meinem Buch. Medien müssen auswählen. Das Problem besteht darin, dass einseitig ausgewählt wird und dass das systematisch und interessengeleitet geschieht. Wenn es andere Mainstreammedien gäbe, die diese Lücken füllen, wäre alles in Ordnung. Die meisten Journalisten nehmen für sich in Anspruch, wahrhaftige Arbeit zu leisten. Sie sind aber gefangen in Strukturen und Narrativen. Viele glauben tatsächlich an das jeweilige Narrativ. Die Unterdrückung wesentlicher Informationen rücken Sie ins Zentrum Ihrer Kritik an den Leitmedien. Vor allem das Russland-Bashing spießen Sie auf. Journalistische Einseitigkeit beobachten Sie auch beim Brexit und beim US-Wahlkampf. Auch die AfD erwähnen Sie. Erreicht diese Art von Journalismus ihr Ziel oder ist sie eher kontraproduktiv? Ulrich Teusch: Es ist doch offenkundig, dass öffentliche und veröffentlichte Meinung auseinander driften. Das Ziel der Berichterstattung wird nicht erreicht. Insofern ist das kontraproduktiv, ja. So bekommt man die Leute nicht. Statt aber umzuschwenken, wird die Propaganda verstärkt, um die Menschen doch noch zu packen. Ich vergleiche das in meinem Buch mit den Volksparteien. Es öffnet sich eine Schere, die auch unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten nicht unproblematisch ist. Mainstreammedien polarisieren und werden als Teil des Establishments wahrgenommen. Dabei ist es völlig egal, ob jemand nach links oder nach rechts abweicht. Sofern das System herausgefordert wird, positioniert sich der Mainstream aufseiten der Mächtigen. Das können Sie bei der Berichterstattung über Bernie Sanders und den neuen Labour-Chef Jeremy Corbyn genauso beobachten wie bei den Beiträgen über Pegida und AfD. Das kann nicht gut gehen. Wenn der Meinungskorridor immer enger wird, bilden sich Alternativen. In Ihrem Buch prangern Sie auch das Messen der Medien mit zweierlei Maß an. Verhalten sich Journalisten also unfair? Ulrich Teusch: Es hat weniger mit Fairness als vielmehr mit Interessen, auch mit geopolitischen, zu tun. Die ARD-Korrespondentin Ina Ruck zum Beispiel hat einen Beitrag über Polizeigewalt in den USA gedreht. Es ging um die rund 1000 Todesopfer im Jahr 2015. Als Ursachen benannte sie die Anzahl der Schusswaffen und ein falsches Konfliktmanagement. Politische Verantwortung thematisierte sie nicht. Vorher war sie lange Zeit in Moskau. Dort hätte sie die Frage gestellt, wie lange sich Putin bei so vielen Toten noch halten kann. Dieses mit zweierlei Maß Messen ist leider ein großer Trend. Wenn sich die Haltung des Journalismus nicht ändere, verstärke sich das "Siechtum der Mainstreammedien", schreiben Sie. Wie wird sich das äußern - in sinkenden Auflagenhöhen und TV-Quoten oder in einer totalen Glaubwürdigkeitskrise? Ulrich Teusch: Sicher werden die Auflagen und die Quoten weiter sinken. Und ich glaube nicht, dass die Medien ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen können. Es gibt viele Erklärversuche für die von mir beschriebenen Defizite der Mainstreammedien; Konformitäts- und Zeitdruck, Abgehobenheit gegenüber den Rezipienten und und und. Das trifft es nur partiell, denn eine entscheidende Frage fehlt: Wie müsste das Mediensystem organisiert sein, um Wahrhaftigkeit zu erzeugen? Wie denn? Ulrich Teusch: Wir bräuchten ein reformiertes öffentlich-rechtliches System aus Print- und elektronischen Medien, das der Gesellschaft gehört und das alle Gruppen abbildet. Es müsste unabhängig sein, also ohne Werbung, Parteieneinfluss und Staatsnähe. Von dieser Idealvorstellung entfernen wir uns aber immer mehr. Denn die Mainstreammedien gehören heute Aktiengesellschaften oder Megakonzernen. Und die Öffentlich-Rechtlichen sind immer staats- sowie wirtschaftsnäher und damit abhängiger geworden. Das ist keine gute Voraussetzung für integren Journalismus. War das nicht schon immer so? Ist nicht nur die Medienkritik lauter geworden? Ulrich Teusch: Nein, in den 60er und 70er Jahren war das anders, weil die Gesellschaft liberaler war. Da konnte man sich mehr Liberalität in den Medien leisten. Heute - angesichts von vielen Krisen, Konflikten und Kriegen - nimmt die Polarisierung zu und damit die Positionierung der Medien zugunsten der etablierten Ordnung. Die Besitzverhältnisse schlagen immer mehr auf die Berichterstattung durch. Heute merkt man eben, dass ein Medium Rupert Murdoch gehört. Ihre so wichtige Integrationsfunktion nehmen die Medien immer weniger wahr. Ich spreche vom Mainstream-Paradoxon: Aus der Krise werden nicht die richtigen Schlüsse gezogen, weil man die nicht ziehen darf. Sie beschreiben einen enormen Konformitätsdruck unter Journalisten. Einige würden sich ihren Teil denken, aber u.a. aus Karrieregründen gegen ihre eigene Auffassung arbeiten. Einst unterschiedlich ausgerichtete Medien würden sich daher immer ähnlicher. Fehlt unserer Presselandschaft Vielfalt? Ulrich Teusch: Auf die Mainstreammedien bezogen: Ja, natürlich. Aber die Medienlandschaft ist viel breiter. In alternativen Medien und sozialen Netzwerken gibt es eine große Vielfalt. Sie sprechen schon im Untertitel vom "Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten". Erleben wir aus Ihrer Sicht einen Paradigmenwechsel? Wenn ja: welchen? Ulrich Teusch: Ja, es tut sich etwas. Der Paradigmenwechsel besteht darin, dass sich der Mainstream innerhalb des Mainstreams auf dem absteigenden Ast befindet. Er bekommt Konkurrenz. Im US-Wahlkampf zum Beispiel haben linke Alternativmedien mit hervorragenden Journalisten Bernie Sanders unterstützt und sehr schnell auf Kampagnen des Mainstreams reagiert. Die Medienlandschaft wird sich komplett verändern. Wir erleben das Ende einer Ära. Wie müssen sich die etablierten Medien ändern, um dieses Ende abzuwenden? Ulrich Teusch: Die Medien müssten sich auf breiter Front öffnen und ihre Integrationsfunktion wieder wahrnehmen. Aber darauf deutet nichts hin. Nehmen Sie die Debatte, ob erst die übermäßige Berichterstattung die AfD zum Erfolg geführt hat. Das ist der falsche Ansatz. Es geht nicht darum, ob Politiker dieser Partei zu oft in Talkshows sitzen. Die Fehler sind viel früher gemacht worden. Die Menschen fühlen sich mit ihren Sorgen, die die AfD nun artikuliert, seit langem ausgegrenzt. Jetzt hat sich ein Ventil geöffnet, und es ist zu spät. Anstatt zu integrieren und sich in Ruhe sachlich mit den Problemen zu beschäftigen, wurde das ignoriert und diffamiert, bis sich noch mehr aufstaute. Die Medien hätten ein Frühwarnsystem sein können, doch das wurde versäumt. Sie sind ARD-Journalist und damit Teil der "Mainstreammedien". Verstehen Sie Ihr Buch als Alarmruf? Ulrich Teusch: Nein, das ist kein Weckruf, denn ich wende mich nicht an den Mainstream innerhalb des Mainstreams. Wenn es eine journalistische Zielgruppe gibt, dann sind es eher die Kollegen, die im Mainstream abweichend argumentieren und für Überraschungen gut sind, also der Mainstream außerhalb des Mainstreams, der unter Druck steht und immer seltener zu Wort kommt Diese Stimmen können sich durch mein Buch bestätigt fühlen. Geschrieben habe ich es aber in erster Linie für die Rezipienten. Mein Buch enthält viele Hinweise, wie man mit Medien umgehen sollte. Fürchten Sie nicht, nach so heftiger Kritik als Nestbeschmutzer dazustehen und von der ARD keine Aufträge mehr zu bekommen? Immerhin unterstellen Sie Marietta Slomka und Caren Miosga, also den öffentlich-rechtlichen Anchorwomen, "schlichte Weltbilder". Und auch die "Tagesschau" kommt nicht gerade gut weg. Ulrich Teusch: Ich habe keine Polemik geschrieben. Alles ist gut belegt, und ich weiß, dass Mitarbeiter in den Öffentlich-Rechtlichen genau die Fragen diskutieren, die mein Buch thematisiert. Nein, da habe ich keine Sorge. Mit Ulrich Teusch sprach kress.de-Autor Frank Hauke-Steller. kress.de-Tipp: Ulrich Teusch; Lückenpresse. Das Ende des Journalismus, wie wir ihn kannten. Westend Verlag, 224 Seiten, EUR 18,00, ISBN: 978-3- 86489-145-8
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