Franz Sommerfeld | 24. April 2017 um 13:09
Der öffentlich-rechtliche und durchaus berechtigte Anspruch, ausführlich Informationen und Hintergründe zu großen politischen Ereignissen senden, wurde an diesem Sonntagabend nicht eingelöst. Den ARD-Planern war diese Wahl, die über die Zukunft der Europäischen Union und damit auch Deutschlands entscheidet, ein Sieben-Minuten-Extra wert.
Die Talkshows "Anne Will" und "Hart aber fair" fanden wegen ihrer Osterpausen nicht statt, als sei der Wahltermin erst letzte Woche entschieden und nicht seit Monaten bekannt. Dass Frank Plasberg am Abend zuvor beim Ersten im großen "Paarduell XXL" zu erleben war, verrät viel über die zur Zeit gepflegte öffentlich-rechtliche Prioritätensetzung. Am heutigen Montag um Punkt 18.00 Uhr widmet sich die ARD eine Stunde lang, wer Plasberg im Paarduell schlägt. Das sind die großen Themen unserer Zeit im Ersten. Das ganze wird übrigens von Plasbergs Firma produziert. Aber es gibt um 22:45 Uhr einen "Weltspiegel extra", allerdings über Trump, nicht über Frankreich.
Der nachzuvollziehende Wunsch, beim Quotenspiel mitzumischen, schlägt hier in eine dramatische Entpolitisierung des öffentlich-rechtlichen Programmangebots um. Damit gefährden die Sender ihren eigenen publizistischen Anspruch und auf Dauer ihre Existenz. Vielleicht fehlt es auch an Intendanten wie Fritz Pleitgen oder Peter Voß, die im besten Sinne political animals waren, immer dicht am internationalen und nationalem Geschehen. WDR-Intendant Tom Buhrow entspricht dieser großen Tradition wohl noch am ehesten, wird aber wie alle Intendanten offenbar durch Sanierungspflichten vom Journalismus abgehalten.
In der Debatte über die Zukunft der EU wird gerne darauf verwiesen, dass sowohl eine gemeinsame Sprache wie auch eine europäische Öffentlichkeit fehlen. In Zeiten wachsender Englischkenntnisse selbst in Frankreich und großen Fortschritts digitaler Übersetzungsprogramme verliert die Frage der Sprachen an Bedeutung. In den Printmedien, allen voran in der "Zeit", entstanden durch die vielfältige und anregende Berichterstattung im Vorfeld der französichen Wahlen Umrisse einer europäischen Öffentlichkeit. So jedenfalls könnte es gelingen. Da hätten die Sender ansetzen können. Was hat sie gehindert, einen französischen Abend mit Direktübertragungen und allem Drum und Dran zu veranstalten? Oder zeigt sich hier ein schleichender und sicher unbeabsichtigter Rückzug auf das schnuckelige Daheim in Deutschland zum Partnerduell? Wer erinnert sich noch an die große europäische Kulenkampff-Show "Einer wird gewinnen" mit Gästen aus vielen Ländern?
Wie ein angemessener Umgang mit einem solch historischen Ereignis aussehen könnte, zeigte Phoenix am Sonntagabend mit seinen und trotz seiner höchst begrenzten Ressourcen. Matthias Werth berichtete kompetent, analytisch und klug. Die Direktübertragungen aus TF 2 zeigten spannende Einblicke in die Art des französischen Fernsehens, solche Ereignisse zu inszenieren. Die Zuschauer saßen tatsächlich in der ersten Reihe. Ulrich Wickert, dessen Dämm-Werbung nur schwer zu ertragen ist, kommentierte kompetent und mit dem Blick für die historische Dimension. Allerdings wechselte Phoenix vor dem ersten Live-Auftritt von Emmanuel Macron nach der Wahl in sein Tradition-Programm-Schema und ließ die Zuschauer enttäuscht zurück. Und im übrigen kann Phoenix mit seinem durchschnittlich 1 Prozent Marktanteil nicht als Rechtfertigung für das Scheitern von ARD und ZDF dienen.
Für den zweiten Wahlgang in zwei Wochen ist das gleiche 0-8-15 Schema geplant, allerdings mit einem Schwerpunkt zu den schleswig-holsteinischen Landtagswahlen. Und die Talkshows sind aus der Osterpause zurück.
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