Warum wir das Vertrauen der Bürger in den Journalismus wiederherstellen müssen

Eine Patentlösung bei "Fake News" ist nicht in Sicht. Fest steht, dass eine rein technologische Herangehensweise nicht erfolgreich sein wird. Also, was können wir tun? Mitchell Baker, Vorsitzende der Mozilla Foundation und der Mozilla Corporation, gibt in einem Essay einen Einblick in die Gedankenwelt einer Verfechterin eines "gesunden Internets".

Marc Bartl | 29. Mai 2017 um 12:39

"Das Vertrauen in unsere wichtigsten Institutionen setzt den ungehinderten Zugriff auf verlässliche Informationen voraus": Mitchell Baker, Vorsitzende der Mozilla Foundation und der Mozilla Corporation (Foto: Mozilla)

Das Internet ist der Spiegel unserer Gesellschaft, unserer Stärken und Schwächen. Eine gesunde Gesellschaft und ein gesundes Internet fußen auf denselben Grundvoraussetzungen: auf engagierten Individuen, die Dinge erschaffen, Probleme lösen und so letztlich unsere Umwelt gestalten. Um eine Umgebung zu schaffen, in der gesunde Demokratien gedeihen können, brauchen wir sowohl Technologie als auch gesellschaftliches Engagement.
Als Bürger haben wir sowohl das Recht als auch die Pflicht, uns am demokratischen Prozess zu beteiligen und ihm so seinen Sinn zuzuführen. Wir sind heute Zeuge, wie neue Technologien - insbesondere das Internet - ungeahnte Wege der Partizipation am demokratischen Prozess ermöglichen. Das Web gibt Menschen die Chance, sich kurzfristig und ohne Umwege mit wichtigen Ereignissen auseinanderzusetzen, Kampagnen zu starten, ihre Stimme zu erheben und einen Wandel zu forcieren. Über das Internet können sich demokratisch gewählte Machthaber mühelos einen Überblick über vielfältige Stimmen und Meinungen verschaffen. Da das Web politische Aktivitäten außerdem transparenter macht, hilft es Bürgern dabei, Politiker zur Verantwortung zu ziehen. Es hat einen ganz grundlegenden Wandel des demokratischen politischen Diskurses bewirkt, indem es eine weltweite und frei zugängliche Gesprächsplattform bietet, die ihresgleichen sucht.
Auf der anderen Seite beobachten wir allerdings auch, wie das Internet das Auseinanderdriften der Positionen in unserer Gesellschaft verstärkt und wie Hassreden - sogenannte Hate Speeches - und die Verbreitung von Fehlinformationen zunehmen. Auch diese Entwicklung wird erst durch das Internet und allgemein genutzten Social-Media-Plattformen ermöglicht, die gemeinsam eine gewaltige Resonanz und riesige Echo-Kammern erzeugen können. Letztlich sind die zugrundeliegenden Probleme allerdings in der Natur unserer Gesellschaft verhaftet. Somit ist das Internet heute das Spiegelbild des tatsächlichen gesellschaftlichen Mixes aus Reichhaltigkeit, Entzweiung und Bereichen, in denen Hoffnung und die Möglichkeit, das eigene Leben zu verbessern, nicht so umfassend verfügbar sind, wie wir es gern hätten.
Der Umstand, dass es so einfach ist, 'Fake News' online zu verbreiten, stellte eine willkommene Gelegenheit dar, um Kapital aus einer bereits existierenden gesellschaftlichen Unzufriedenheit zu schlagen. Wir haben das während der letzten US-Wahl erlebt, als vollkommen fiktive Geschichten, die lediglich zum Zwecke eines finanziellen Profits kreiert und gestreut wurden, in sozialen Netzwerken die Runde machten. Pizzagate; der Papst, der sich für einen der Präsidentschaftskandidaten ausspricht; die Einführung der Sharia in Florida: Auch wenn jede einzelne dieser Geschichten offenkundig falsch war, wurden sie doch online veröffentlicht, rezipiert, geteilt und letztlich von Millionen von Menschen wahrgenommen. Und trotzdem kommen wir nicht umhin, uns zu fragen: Wie unterscheiden sich diese Artikel von herkömmlichen 'Clickbait'-Beiträgen, die die Realität zur Sensation erheben, nur um Leser anzulocken?
Es steht eine ganze Menge auf dem Spiel, wenn üble Subjekte das Internet missbrauchen und Fake News platzieren, um zum Wohle ihres eigenen Profits reale Gegebenheiten zu übertönen. Fehlinformationen, die sich im Web verbreiten, können die Auffassung vieler Menschen von realen Ereignissen überall auf der Welt beeinflussen. Millionen von Internetnutzern haben keine Möglichkeit, schnell herauszufinden, ob bestimmte Behauptungen zutreffen oder falsch sind. All das zusammengenommen führt letztlich zu einem Vertrauensverlust in die Kerninstitutionen unserer Gesellschaft als zugleich Quelle geprüfter Informationen und vertrauenswürdige Gemeinschaft. Allerdings zieht der Vertrauensverlust weitere Kreise: Demokratie beruht auf einem freien Fluss verlässlicher Informationen und zwischenmenschlichen Kontakts; doch wenn die Menschen glauben, dass sie niemandem mehr trauen können, schwächt das die Demokratie.
Technologie alleine wird dieses Problem nicht lösen können, aber zusammen mit menschlicher Unterstützung, wirtschaftlichen Investitionen und klaren Entwicklungsstrategien kann sie überaus positiven Einfluss nehmen.
Unsere heutige Welt befindet sich in einem Zustand des Wandels und es ist überdeutlich, dass die Verbindung von Technologie und gesellschaftlichen Auswirkungen unbedingt herzustellen ist, sodass wohlwollende Gemeinschaften erstarken, das Vertrauen in das Internet und die dort zu findenden Informationen zurückkehren und Demokratie gedeihen kann. Wir müssen uns dieser Herausforderung annehmen - sonst verschenken wir eine seltene und wertvolle Gelegenheit. Autorin: Mitchell Baker, Vorsitzende der Mozilla Foundation und der Mozilla Corporation kress.de-Hinweis: Der Artikel ist eine Übersetzung eines Essays, der in dem Magazin "The Atlantic" erschienen ist.

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