Sieben Tipps zum Umgang mit Hate Speech

Bösartige Nutzerkommentare unter Online-Artikeln oder in Facebook-Debatten gehören leider zum Alltag vieler Medien. Was können Redaktionen tun, um das Gesprächsklima zu verbessern? kress.de hat einige Profi-Tipps zusammengestellt.

Anna von Garmissen | 24. Oktober 2017 um 11:16

Wer in hoher Frequenz postet und meldet, häufig emotionale Themen aufgreift und Clickbaiting betreibt, läuft erhöhte Gefahr, Trolle anzuziehen: Ellen Wesemüller auf der "IQ"-Journalismuskonferenz in Berlin (Foto: BDZV/Hans Hendrik Falk )

"Knallt die stinkende Nigger-Bande einfach ab." Dieser unfassbar niederträchtige Satz - ein Mordaufruf! - stand 26 Stunden lang in einer Kommentarspalte auf der Facebookseite von Focus Online. Er ist eines der aufrüttelndsten Beispiele, die Ellen Wesemüller ihrem Publikum auf der "IQ"-Journalismuskonferenz in Berlin zumutet. Drohungen und Beleidigungen in den Nutzerkommentaren deutscher Medien haben bedenklich zugenommen - insbesondere rassistische, sexistische oder anders geartete Herabwürdigungen von Minderheiten. Nicht selten sind Anfeindungen auch direkt gegen Medienschaffende gerichtet: Einer Umfrage unter knapp 800 Journalisten zufolge waren 42 Prozent von ihnen vergangenes Jahr selbst Angriffen ausgesetzt. Mehr als die Hälfte der betroffenen Journalisten berichtet von psychischen Belastungen.

Ellen Wesemüller, Redaktionsleiterin der Neuen Deutschen Medienmacher, will Redaktionen dabei helfen, gegen diese Entwicklung anzugehen. Das Journalisten-Netzwerk koordiniert unter anderem die "No Hate Speech"-Kampagne des Europarats in Deutschland. Gemeinsam mit weiteren Profis aus Journalismus und Forschung gab Wesemüller in Berlin Empfehlungen, wie man die Auswüchse in den Nutzerkommentaren bekämpfen und ihnen vielleicht sogar vorbeugen kann. kress.de fasst die wichtigsten Tipps zusammen:

1. Tauscht euch aus!

Um Hassbotschaften effektiv einordnen und abwehren zu können, ist es wichtig, sich gegenseitig zu informieren. Redaktionen sollten eine Anlaufstelle für Betroffene einrichten. Sinnvoll sind auch regelmäßige Treffen, Schulungen und juristische Beratungen - je nachdem, wie hoch das Aufkommen der Hate Speech ist.

2. Legt einen Ablaufplan fest!

Ein detaillierter Ablaufplan, der im Intranet hinterlegt ist, Argumentationsketten der Hater aufnimmt und Empfehlungen gibt, kann extrem hilfreich sein, wenn es darum geht, zügig und strukturiert auf Hasskommentare oder gar Shitstorms zu reagieren. Ellen Wesemüller rät dazu, die Strategien der Hater zu analysieren: Handelt es sich um Propaganda? Pseudowissenschaft? Um personalisierte Lügen? Um Rassismus, der im Gewand "Ich bin kein Rassist, aber ..." daherkommt? Gegenstrategien können beispielsweise darin bestehen, auf Widersprüche hinzuweisen, Quellen einzufordern, humorvoll zu kontern oder - wenn gar nichts hilft - den User zu sperren und diese Sperrung für die Nutzer transparent zu begründen.

3. Meldet justiziable Inhalte!

Geschmacklose Meinungsäußerungen und krude Argumente mögen ein Ärgernis sein, doch das muss eine Debatte aushalten. Anders sieht es bei persönlichen Beleidigungen oder Volksverhetzung aus. Gegen solche Inhalte kann und sollte man vorgehen. Ist man selbst Zielperson einer Beleidigung, empfehlen die Neuen Deutschen Medienmacher: Screenshot anfertigen, Personalausweis bereithalten und Strafanzeige bei der Polizei oder Staatsanwaltschaft erstatten. Ist eine andere Person betroffen: den- oder diejenige kontaktieren, Hilfe anbieten und über die Möglichkeit einer Anzeige informieren. Ist man unsicher, ob ein Inhalt strafbar ist, sollte man den Moderator informieren und/oder den Kommentar beim jeweiligen Netzwerk - z.B. Facebook oder Twitter - melden. Screenshot nicht vergessen!

4. Stellt Kommunikationsregeln auf!

Wer online geht, begibt sich in die Öffentlichkeit - selbst wenn er oder sie das heimische Sofa nicht verlässt. Nicht jedem User sei diese Banalität klar, sagt der Kölner Medienforscher Andreas Vogel, der für die Friedrich-Ebert-Stiftung eine große Studie zu Nutzerkommentaren verfasst hat. Und auch die Redaktionen, so Vogel weiter, machten sich viel zu wenig Gedanken zu der Frage: Wer soll in welchen Rollen diskutieren? Facebook etwa ist - im Gegensatz zur eigenen Website - nicht das Hoheitsgebiet der Verlage und Medienunternehmen. Transparente Kommunikationsregeln und eine angewandte Netiquette sind daher das A und O für einen fruchtbaren Austausch.

5. Moderiert die Debatte!

Was nützt Netiquette, wenn sie nicht eingehalten wird? Wer Diskussionen über die eigenen Inhalte unbeobachtet laufen lässt, riskiert vor allem bei bestimmten Reizthemen, dass Hater die "Meinungshoheit" übernehmen. Allerdings sollten Moderatoren auch genau hinschauen, bevor sie eingreifen, damit sie wichtige Debatten nicht im Keim ersticken. Kritik ist nicht nur ok, sondern erwünscht! Und wenn ein Nutzer in einer Diskussion über rechtsextreme Fußballfans äußert, dass man sich auch um Probleme mit Linksextremen kümmern sollte, ist das vielleicht nicht zielführend, aber auch noch kein Hate Speech.

6. Reagiert zeitnah!

26 Stunden lang stand der eingangs zitierte Facebook-Kommentar offenbar unentdeckt und daher ungelöscht online. So etwas darf nicht passieren. Das ist allerdings leicht gesagt und oft nur schwer einzuhalten angesichts wahrer Kommentarfluten. Rund 20.000 sammeln sich etwa täglich auf den Seiten von Focus Online. Bei der "Tagesschau" sind es zwischen 12.000 und 15.000 Kommentaren pro Tag. Zwar gibt es Filter und arbeiten Informatiker - etwa in Kooperation mit dem Hamburger Hans-Bredow-Institut -  bereits an Algorithmen, die Kommentare mit bestimmten Inhalten identifizieren, doch das ist noch längst nicht ausgefeilt. Zurzeit bedarf es also noch menschlichen Personals, das nicht nur zu Bürozeiten, sondern rund um die Uhr ein Auge auf die Diskussionen der Community haben sollte. Ist dies nicht gewährleistet, gilt es ernsthaft abzuwägen: Wo sind Kommentare sinnvoll? Was kann die Redaktion leisten? Und an welchen Stellen ist es besser, die Kommentarfunktion abzuschalten?

7. Überprüft Eure Auftritte

Wer Hate Speech von vornherein vermeiden oder zumindest ihre Wahrscheinlichkeit verringern will, kann auch proaktiv beim eigenen Medienauftritt ansetzen. Laut Ellen Wesemüller spielen Quantität und Qualität der Veröffentlichungen eine große Rolle: Wer in hoher Frequenz postet und meldet, häufig emotionale Themen aufgreift und Clickbaiting betreibt, läuft erhöhte Gefahr, Trolle anzuziehen. Unklug sei es auch, alle Kommunikationskanäle auf einer Seite zu bündeln, sagt Wesemüller. Denn so ist ein Management der Kommentarspalten kaum noch möglich. Der Einsatz von Filtersoftware kann zumindest helfen, die hohe Anzahl an Kommentaren einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Hintergrund: Grundlage dieses Textes sind ein Impulsvortrag von Ellen Wesemüller, Redaktionsleiterin Neue Deutsche Medienmacher, sowie die Podiumsdiskussion "Agieren und reagieren: Redaktionelle Antworten auf Hassbotschaften" mit Dr. Wiebke Loosen vom Hans-Bredow-Institut, Heinrich Maria Löbbers von der "Sächsischen Zeitung", dem Dortmunder Nordstadtblogger Alexander Völkel sowie Prof. Dr. Andreas Vogel. Das Panel war Teil des Herbstforums der Initiative Qualität im Journalismus am 16. Oktober 2017 in Berlin. Weitere Informationen zum Umgang mit Hasskommentaren gibt es etwa auf https://no-hate-speech.de/

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