Paul-Josef Raue | 30. Oktober 2017 um 11:53
Dreimal Luther: eine Leipziger Radierung von Friedrich Roßmäßler, 1818 geschaffen. Sie zeigt Luther als Augustiner Mönch, Junker Jörge und "im Todte"; und sie zeigt, wie gerne er gut und reichlich gegessen hat und vom schlanken Jüngling zum stolzen Reformator wuchs. Das Porträt ist in der Herzog-August-Bibliothek Wolfenbüttel zu entdecken (Porträt. I 8354).
Paul-Josef Raue schreibt auf kress.de die wöchentliche Kolumne "Journalismus" (Foto: Anke Krakow)
Luther findet farbige Wörter und Wendungen, die das Volk zu Sprichwörtern adelt, er nimmt kurze Wörter und formuliert überschaubare Sätze, er entdeckt Bilder und bringt Wörter und Sätze zum Tanzen: Das ist mehr als eine Übersetzung, das ist ein eigener Stil, der Luther-Stil.
Wer heute vom eigenen Stil spricht, meint meist eine Kopie: Man schätzt den "Spiegel"-Stil oder den von Axel Hacke und ahmt ihn nach, oder man kopiert den eines Dichters wie Ernest Hemingway oder Ingo Schulze. Den eigenen Stil, der mehr ist als eine Kopie, finden nur wenige Meister, wie die Journalisten Wolf Schneider und Cordt Schnibben oder wie Heribert Prantl und Harald Martenstein.
Wer als Lehrling oder Geselle mit 20 oder 30 Jahren schon einen eigenen Stil finden will, der wird bestenfalls ein guter Kopierer. Er tut allerdings gut daran, Luthers Regeln zu lernen und zu beachten, "was für Kunst, Fleiß, Vernunft, Verstand zum guten Dolmetschen gehört". Von diesen Vier ist der Fleiß am wichtigsten: Die Suche nach dem besten Anfang, dem richtigen Wort, dem passenden Bild - wer sich diese Mühe nicht gibt, wird allenfalls ein mäßiger Sprach-Geselle.
Luther erzählt, wie er wochenlang nach dem rechten Wort sucht. Da mag er übertrieben haben, reichlich sogar, aber der Hinweis auf die Qual ist ehrlich. Und noch eins müssen Schüler,den eigenen Stil suchend, von Luther lernen: "Wer dolmetschen will, muss einen großen Vorrat von Worten haben, damit er die rechten zur Hand haben kann, wenn eines nirgendwo klingen will."
Also: Lesen, lesen, lesen!
ACHT REGELN FÜR PREDIGER UND SCHREIBER. Luther ist ein kluger Plauderer, der bei Tisch erklärt, wie man am besten predigt. Von den Tugenden für einen Redner passen die meisten auch auf den guten Schreiber:
1. "Er soll beredt sein": Er muss wissen, wovon er schreibt und spricht. "Der Kenntnis der Dinge folgt die Kunst des Redens." Es reicht nicht, schön zu schreiben und "ohne Kenntnis der Dinge durch Kunstgriffe glänzen zu wollen".
2. "Er soll allgemeinverständlich predigen und seine Zuhörer nicht durch zu große Wortfülle beschweren."
3. Er soll schlicht sprechen. Luther spricht von "einfältigen Predigern", die seien die besten: "Albrecht Dürer, der berühmte Maler zu Nürnberg, pflegte zu sagen: Ich habe keine Lust zu Bildern, die mit viel Farben gemalt wurden."
4. Er soll nicht zu lang reden: "Eine lange Predigt ist mir verhasst, denn die Begier zuzuhören wird dadurch bei den Zuhörern vernichtet, und die Prediger tun sich selbst schaden." Ein guter Redner hört auf, "wenn man ihn am liebsten hört und meint, es werde erst kommen; wenn man sagt: Er war in das Schwätzen gekommen, so ist's ein böses Zeichen."
5. Er soll für die Zuhörer predigen. "Ein Prediger soll sich nicht selbst beurteilen, ob er wirkungsvoll gepredigt habe oder kalt, sondern die Zuhörer." Der Verleger Hubert Burda hat den Lutherschen Gedanken so übertragen: Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler. - "Bei den Zuhörern steht das Urteil", sagt Luther.
6. Er soll "fein langsam reden", das bedeutet: Schreib so, dass der rote Faden nicht verlorengeht und die Leser folgen können. "Seneca schreibt von Cicero, dass er langsam und ins Herz geredet hat."
7. Er soll die Gedanken ordnen! Er soll den Text gliedern! "Das ist ein närrischer Prediger, der da meint, er will alles sagen, was ihm einfällt."
8. "Er soll sich von jedermann verspotten lassen." Diese Regel bleibt dunkel - und soll wohl bedeuten: Schreibe die Wahrheit! Denke nicht an deine Kritiker! Sei authentisch!, heißt das aktuelle Modewort.
DIE GEWALT DER WORTE. Wer beeindruckt ist von Luthers Sprache, wer gar die Sprachgewalt rühmt, darf nicht unterschlagen: Zu welchem Zweck beeindruckt Luther die Menschen? Er hat edle Motive, wenn er die Bibel so übersetzt, dass auch die einfachen Leute sie verstehen.
Luther hat aber auch diese Sätze geschrieben: "Juden sind giftige, bittere, rachgierige, hämische Schlangen, Meuchelmörder und Teufelskinder, die heimlich stechen und Schaden tun." Daraus folgert Luther: "Erstens, dass man ihre Synagoge oder Schule mit Feuer anstecke und, was nicht verbrennen will, mit Erde überhäufe und zuschütte, damit kein Mensch mehr davon in Ewigkeit einen Stein oder Schlacke sehen kann."
Diese Sätze stehen in Luthers Schrift "Von den Juden und ihren Lügen": Sie ist 200 Seiten Hass, purer Hass. Luthers Werk ist gerade wegen seiner Sprachkunst ein Beispiel, wie einer mit seinen Worten auch Unheil anrichten kann: Worte werden Propaganda, gehen der Gewalt voran.
Damit sind nicht die Nazis gemeint, die sich auf Luther beriefen und an seinem Geburtstag die Synagogen niederbrannten. Schon Luthers Zeitgenossen folgten seinem Hass, nahmen den Juden ihren Schutz und vertrieben sie.
Erst vor kurzem hat Matthias Morgenstern eine neue Übersetzung von Luthers Juden-Pamphlet vorgelegt und die von 1938 - also aus der Nazi-Zeit - abgelöst. Wer seinen Widerwillen überwindet und die Schrift liest, "wird es schwer haben", so Morgenstern, "sich ihrer ungeheuren Emotionalität zu entziehen, die durch immer neue Imperative, überlange Sätze und zahlreiche Wiederholungen zum Ausdruck kommen".
Worte können heilen, verletzen, gar töten. Wie gehen wir, ein halbes Jahrtausend danach, mit der Judenschrift um? Matthias Morgenstern stellt die grundsätzliche Frage: "Wie steht es um die Glaubwürdigkeit von Luthers Bibelauslegung? Und um die seiner Menschenkenntnis und seines Gottesbildes?"
INFO
"Luthers Stil-Lehre. 50 Kolumnen für Journalisten, Pressesprecher, Politiker und alle, die attraktiv schreiben wollen", erscheint im Essener Klartext-Verlag (96 Seiten, 9,95 €). Versammelt sind die Kolumnen, überarbeitet und ergänzt, die als Serie im Lutherjahr erschienen sind beim Südkurier, Oberhessische Presse (Marburg), Neue Osnabrücker Zeitung (teilweise), Sieben (Online-Sonntagszeitung der HNA, teilweise); geplant ist die Serie in Glaube + Heimat, der Kirchenzeitung aus Weimar.
Ein Auszug der Themen: Was ist ein eigener Stil? - Qualität kommt von Qual / Der Luther-Sound / Mit wenigen Worten viel sagen
Die Wörter - Kurze Wörter / Die richtigen Wörter / Die falschen Wörter / Neue Wörter: Von Pontius zu Pilatus / Der Piesepampel / Sein und haben: Ein Lob der schlichten Verben
Die Sätze - Kurze oder lange Sätze? / Der erste Satz / Dem Genitiv sein Freund / Das hinkende Verb
Verständlichkeit - Hinweg mit den Floskeln! / Wer liest, der hört / Denglisch bei Luther?
Sinn und Form: Der Anfang / Das "noch" und der Apfelbaum / "Ich bitte um Entschuldigung!" / Zitate-Recycling: Luther und Goethe / Verben, die rennen und laufen / Krieg, Schwert und Gott / Ist die Jungfrau eine junge Frau? / "Luther war ein Macho"
Der attraktive Stil - In Bildern erzählen - Blut, Schweiß und Tränen / Sprache mit Saft und Geschmack / Furzen und rülpsen
Luther und unsere Zeit: ein bisschen digital - Luther twittert / Luther, Hurerei und der Bundestag / Der Stasi-Psalm / "Abendland" und die Worträuber
DER AUTOR
Paul-Josef Raue moderierte in Thüringen drei Jahre lang den "Luther-Disput" zu Themen wie Krieg oder Freiheit, Maria oder Papst, schrieb einen Essay in dem Buch "Lutherland Thüringen". Er war 35 Jahre lang Chefredakteur, zuletzt in Erfurt, davor in Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main, Marburg und Eisenach. Zusammen mit Wolf Schneider gibt er das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus" heraus, das seit zwanzig Jahren, immer wieder überarbeitet, im Rowohlt-Verlag erscheint. Raue berät Verlage und Redaktionen, speziell Lokalredaktionen, und lehrt an Hochschulen in Trier und Berlin.
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