Journalisten zählen zu den Gewinnern der Digitalisierung. Aber nicht alle

Beginnen wir das neue Kolumnen-Jahr mit einer guten Nachricht: Redakteure müssen kaum mit dem Untergang ihres Berufs rechnen - im Gegensatz zu Buchhaltern und Steuerprüfern.

Paul-Josef Raue | 7. Januar 2019 um 17:57

"Cimon" kann sehen, hören und "verstehen". Der kugelrunde und lächelnde Roboter spricht auf der ISS mit dem Astronauten Alexander Gerst. Solch "verstehende" Roboter werden wohl in ein, zwei Jahrzehnten auch Aufgaben in Redaktionen erledigen. Das Foto veröffentlicht die DLR, die Cimon entwickelte.

Paul-Josef Raue (Foto: Anke Krakow) - frühere Kolumnen finden Sie unter dem Beitrag

Den westlichen Gesellschaften geht zunehmend die Arbeit aus, zumindest verschwinden bald Tätigkeiten, die wir seit Jahrzehnten oder Jahrhunderten kennen und ausüben. Studien wie von der Oxford-Universität oder der OECD kommen zu ähnlichen Ergebnissen: Die Hälfte aller Arbeitnehmer wird im nächsten Jahrzehnt ihre gelernte Tätigkeit verlieren, ein wenig früher oder ein wenig später.

Die Oxford-Professoren Carl Benedikt Frey und Michael A. Osborne haben siebenhundert Berufe auf dem US-Arbeitsmarkt vor fünf Jahren detailliert analysiert: Welche Chancen haben sie, in der Digitalisierung zu bestehen? ("The future of employment: how susceptible are jobs to computerisation?") Frey zählt in einem Interview mit "Business-Insider" drei Kernbereiche auf, in denen Roboter die Menschen nicht oder nur teilweise ersetzen können:

1. Kreativ-Berufe: "Ein Modedesigner beispielsweise wird seinen Job nicht so schnell verlieren wie ein Justizangestellter."

2. Berufe, die soziale Intelligenz erfordern und in denen man "überzeugen, pflegen oder verhandeln muss". Roboter tun sich schwer, schnell auf menschliche Gefühle zu reagieren. "Ein PR-Manager wird seinen Job eher behalten als ein Tellerwäscher in einem Restaurant." Allerdings versucht gerade "Cimon", der lustige Roboter im All, auf menschliche Gefühle zu reagieren. Bis zum Einsatz in Redaktionen wird es noch lange dauern, teuer dürfte er auch sein.

3. Berufe, die durch Wahrnehmung menschlichen Verhaltens und Manipulation geprägt sind. "Während ein Chirurg immer einen Job haben wird, kann ein Telefonverkäufer einfach ersetzt werden."

Diese Berufe werden durch die Digitalisierung gewinnen: Freizeit-Therapeuten, Supervisoren, die etwa Mechaniker oder Feuerwehren kontrollieren und beraten, Beschäftigungstherapeuten, Sozialarbeiter und  Kieferchirurgen. Komplett vom Arbeitsmarkt verschwinden werden Bibliothekstechniker, Steuerberater, Uhren-Reparierer, Versicherungsvertreter und Callcenter-Mitarbeiter.

Medien-Berufe stehen, kaum gefährdet durch Automatisierung, im oberen Teil der Rangliste. Redakteure ("Editors") haben auf Platz 140 (von 702) ein Job-Verlust-Risiko von knapp sechs Prozent. Noch besser, deutlich unter drei Prozent, stehen PR-Manager da, Komponisten, Fotografen, Schriftsteller und Art-Direktoren. Schlechter, aber noch nicht schlecht, sind die Aussichten für Nachrichten-Redakteure im Rundfunk (sieben Prozent), Grafiker (acht Prozent) und Radio- und TV-Sprecher (zehn Prozent). Archive gibt es nur noch in wenige in deutschen Verlagen: Die Chancen für Archivare, überhaupt irgendwo den Job zu behalten, sind gering: Platz 415 (mit fast achtzig Prozent Job-Verlust-Risiko).

Wer sich als Redakteur durch die Studie auf der sicheren Seite wähnt, sollte dennoch Vorsicht walten lassen: Eine Reihe von Routine-Arbeiten können auch Roboter ausführen. Wer Pressemitteilungen redigiert, Börsenkurse analysiert oder Reden zusammenfasst, dürfte dasselbe Schicksal erleiden wie Buchhalter und Makler: der Roboter kann es schneller, billiger und nahezu fehlerfrei. Zudem sind Journalisten, die Recherche und emotionalen Stil beherrschen, weniger durch Roboter bedroht als durch die finanzielle Schieflage der Verlage, ausgelöst durch Verlust von Abonnenten und Werbekunden. So ist, trotz aller Kreativität, für Bitkom-Präsidenten  Achim Berg die Tageszeitung  ein Auslaufmodell.

Die "Schwäbische Zeitung" sucht gerade in einer kress-Stellenanzeige Lokalredakteure "nach dem Prinzip 'Story first' - Gesucht werden nicht 'Schreibtischtäter', sondern Journalistinnen und Journalisten, die am liebsten draußen auf der Suche nach spannenden Menschen, Geschichten und Nachrichten sind". Da hat die Chefredaktion die Studien zur Zukunft der Berufe offenbar genau gelesen und die "soft skills" der Zukunft benannt, die Fähigkeiten, die eine journalistische Persönlichkeit ausmacht. Diese Fähigkeiten zu erkennen und zu trainieren wird eine überlebenswichtige Aufgabe - für Manager, Chefredakteure, Journalisten-Ausbilder und Medien-Forscher: Freude am Beruf des Journalismus bis hin zur Leidenschaft und Lust auf Menschen, die nicht zum Objekt journalistischer Bevormundungen werden sollen.

Wer so denkt und handelt, wird vor Robotern keine Angst haben müssen, wenn er in die Zukunft des Journalismus schaut. "Angst zu haben ist nie eine gute Idee", sagt auch der Oxford-Professor Frey. "Wenn viele Menschen die Vorteile dieser Technologie nicht sehen, liegt das eher an einer gescheiterten Politik als an der Technologie selbst. Denn der technologische Fortschritt macht uns im Durchschnitt reicher." Und "Politik" meint nicht nur die in Berlin und Brüssel, sondern jeden, der die beste Technik für die Menschen entwickeln und nutzen will, vor allem in den Medien.

Der Autor

Paul-Josef Raue war 35 Jahre lang Chefredakteur von großen Regionalzeitungen in Erfurt, Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main, Marburg  und Eisenach. Mit Wolf Schneider gibt er bei Rowohlt das Standard-Werk "Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus" heraus. Im Klartext-Verlag erscheint gerade seine Biografie des Genossenschafts-Gründers Friedrich-Wilhelm Raiffeisen: "Ein Leben für eine gerechte Gesellschaft". Zuvor erschienen "Die unvollendete Revolution" über die deutsch-deutsche Geschichte und  "Luthers Sprach-Lehre". Wenn er nicht schreibt, berät Raue Verlage und Redaktionen und lehrt an einigen Hochschulen.

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