Attila Albert | 16. August 2019 um 10:02
Mediencoach Attila Albert schreibt auf kress.de eine wöchentliche Jobkolumne - frühere Texte unter dem Beitrag.
Der ehemalige Chefreporter eines großen Magazins hatte schon vor mehr als zehn Jahren seine Stelle verloren, aber nie wieder etwas Vergleichbares gefunden. Offiziell als "Berater" unterwegs, schlug er sich mit Gelegenheitsjobs durch: Hier ein Interview für eine Zeitschrift, dort ein PR-Artikel. Zeitweise jobbte er auch als Verkäufer im Warenhaus, ohne dass seine ehemaligen Redaktionskollegen das je erfahren hätten, und bezog am Ende Hartz 4.
Wer lange in der Medienbranche ist, kommt - wenn er einmal darüber nachdenkt - auf eine erstaunlich große Zahl an Journalisten, die einst weithin bekannt waren, seitdem aber völlig aus dem Blickfeld verschwunden und vergessen sind. Chefredakteure, die als journalistische Genies galten, Chefreporter, die für ihre harten Recherchen und guten Kontakte gerühmt wurden, Autoren, die einstmals für ihre besonders originelle Schreibe gefeiert wurden.
In vielen Fällen verliert sich die Spur bei einem seit Jahren nicht mehr gepflegten LinkedIn- oder Xing-Profil, das behauptet, sie wären nun "Medienberater" oder "Magazin-Entwickler". Eine Internetseite nicht vorhanden, kein ehemaliger Kollege hat mehr von ihnen gehört oder sie gesehen. Doch sie haben weder eine zweite Karriere in der PR oder anderswo gefunden noch sich - etwa mit einer Abfindung oder Erbschaft - ins Privatleben zurückgezogen.
Viele Medienkarrieren enden früh und wenig beachtet. Ich erinnere mich an ehemalige Kollegen, die nun Anzeigenvertreter bei Kleinstverlagen, Gastwirte, Aushilfslehrer auf Stundenbasis, Matratzenverkäufer und Kellner sind. Einer vermietet Zimmer in einer Pension, ein anderer tauchte als AfD-Referent in Niederbayern wieder auf. Ein früherer Vorgesetzter lebt, nach einer gescheiterten Selbstständigkeit, von Sozialhilfe.
Diese Entscheidungen erhöhen - neben Selbstverständlichkeiten wie Straftaten oder Vertrauensbruch am Arbeitsplatz sowie Sucht - das Risiko besonders:
Kündigen ohne neuen Vertrag
Es ist nachvollziehbar, dass jemand, der unter seinem Job leidet, möglichst schnell weg will. Doch eine Kündigung ohne - unterschriebenen - neuen Vertrag kann sich als folgenschwere Fehlentscheidung herausstellen. Je nach Position dauert die Arbeitssuche nicht selten sechs bis zwölf Monate und kann zu einem deutlichen Abstieg führen. Besonders schwierig wird ein neuer Job für klassische Printjournalisten über Mitte 40 in Führungspositionen.
Seinen Marktwert nicht kennen
Eine leichtfertige Kündigung oder ein verschleppter Neuanfang - "erstmal ein Sabbatical" - hat oft ihre Ursache in übergroßem Optimismus: Jemand kennt seinen Marktwert nicht. Das betrifft die Zahl der Optionen, aber auch die Rahmenbedingungen. Beispiel: Eine Redaktion zahlte ihren Text-Pauschalisten vor einigen Jahren meist 250 bis 300 Euro pro Tag, ältere Verträge (bis 500 Euro) wurden aufgelöst. Inzwischen liegt die Pauschale bei 120 Euro.
Nicht mehr weiterentwickeln
Man liest ständig von den organisatorischen, wirtschaftlichen und technischen Umbrüchen in der Medienbranche. Wer trotzdem noch wie in den 90ern arbeitet, sieht sich bei der Jobsuche plötzlich einem komplett neuen Berufsbild gegenüber: Je nach Unternehmen unterschiedlich stark, aber mehrheitlich von Technik und Daten getrieben, mit komplexen multimedialen Produktionsprozessen und einer schwierigen Suche nach Erlösmodellen.
Überschätzte Ausstiegspläne
Mancher Journalist wollte aus der Branche aussteigen und sich selbstständig machen, ohne sich genau mit seinem Geschäftsmodell (u.a. Strategie, Zielgruppe, Produkt, Finanzen) zu beschäftigen. "Dann mache ich eben eine PR-Agentur auf" ist heutzutage aber oft zu wenig, da sich auch angrenzende Geschäftsfelder weiterentwickelt und spezialisiert haben. Ebenso oft überschätzt: Die Langzeit-Aussichten für Buchprojekte, Beraterverträge u.ä.
Vernachlässigtes Netzwerk
Es gab Zeiten, da schien es klar, welche Karrierewege erwartbar wären. Wer bei "Bild" war, hatte gute Chancen bei "BZ" oder "Bunte" oder ging zu Bauer. Wer sich im Lokalen eines Regionalverlages bewährte, wechselte in die Zentralredaktion. Heute wird vielfach intern nachbesetzt oder zusammengelegt. Ältere Mitarbeiter sind oft selbst für interne Wechsel zu teuer. Gute Stellen sind vielfach nur "unter der Hand" zu erfahren, Direktkontakte wichtig.
Klar ist: Der völlige Absturz ist selten, wenn er auch vorkommt. Doch auch eine wesentliche Verschlechterung im Laufe der Karriere lässt sich durch überlegte Planung vermeiden oder zumindest das Risiko reduzieren. Das ist oft weniger reizvoll als der erhoffte schnelle Befreiungsschlag, zahlt sich aber aus. Lange, erfolgreiche Medienkarrieren sind auch heute noch möglich, wenn Sie flexibel, intelligent und geplant vorgehen.
Zum Autor: Attila Albert (46) begleitet mit seiner Firma Media Dynamics seit mehreren Jahren Medienprofis bei der beruflichen und persönlichen Neuorientierung. Albert hat selbst mit 17 Jahren als Journalist zu arbeiten begonnen. Anfangs bei der "Freien Presse" in Chemnitz, eine der größten deutschen Regionalzeitungen, später insgesamt 23 Jahre bei Axel Springer, unter anderem als Textchef und für Sonderaufgaben bei der "Bild"-Bundesausgabe, danach als Autor bei der Ringier AG in Zürich. Berufsbegleitend hat er sich in den USA zum Coach ausbilden lassen sowie vorher ein dreijähriges Webentwickler-Studium absolviert. Sind Sie zufrieden mit ihrem Arbeitgeber? Wir recherchieren Woche für Woche alle Jobangebote aus der Branche und machen daraus einen Newsletter. Ein Blick auf Ihren Marktwert lohnt sich immer. Vielleicht stimmt ja der Job, nicht aber das Geld. Sie stellen ein? Hier können Sie Ihre Stellenanzeige aufgeben. Exklusive Storys und aktuelle Personalien aus der Medien- und Kommunikationsbranche gibt es von Montag bis Freitag in unserem kressexpress. Kostenlos unseren Newsletter abonnieren.
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