Christian-Lindner-Kolumne: Die Arbeitstiere in den Medien sterben aus

Er hat führend mit Menschen gearbeitet, war 13 Jahre lang Chefredakteur der Rhein-Zeitung und bis zum Sommer Mitglied der BamS-Chefredaktion. Jetzt schreibt Christian Lindner die Kolumne "Personalfragen" in kress pro.

18. September 2019 um 11:37

Christian Lindner

Früher war das für Leistungsträger in Redaktion und Verlag normal: Sie lebten für ihren Beruf - und gaben viel dafür. Die tarifliche Arbeitszeit galt als weltfremd, Zeiterfassung als Tabu. 50 Wochenstunden plus x wurden stoisch ertragen oder stolz vor sich hergetragen. Und das betraf nicht etwa nur Chefs: Auch engagierte Redakteure und Vertriebler ohne Personalverantwortung etwa brannten so für ihren Job, dass die Arbeit die wichtigste Rolle in ihrem Leben spielte. Ihre Partner wussten, dass sie eine zweite große Liebe hatten: Die zu ihrem Beruf, oft auch zu ihrem Verlag. Doch die in ihren Beruf verliebten Arbeitstiere sterben aus. Auch in den Medienunternehmen wächst eine Generation nach, die andere Prioritäten hat. In puncto Papierform und Potenzial sind unsere Nachwuchskräfte zwar besser gerüstet als ihre Chefs zu Beginn ihres Berufslebens. Auslandserfahrung, beeindruckende Praktika, anspruchsvolle Studiengänge, mit dem Digitalen groß geworden, keine Flausen, keine Zeit verschwendet - unsere jungen Talente bringen beneidenswert viel mit und könnten rasch durchstarten. Doch die Generation der 25- bis 40-Jährigen will das gar nicht mehr in dem Maße, wie das lange Zeit in Medienhäusern normal war. Ja, auch sie nimmt unsere faszinierenden Berufe ernst. Doch unsere jungen Kräfte machen - unfreiwillig oder unverhohlen - deutlich, dass ihr Job für sie nur ein Teil ihres Lebens ist. Die neue Generation verlangt von ihrem Beruf neben Abwechslung, Anspruch und Auskommen vor allem eins: Er soll mit ihrem Privatleben kompatibel sein. "Meine Life-Work-Balance bedeutet mir sehr viel", sagte mir einmal eine tüchtige und begabte Redakteurin Anfang 30 in einem Bewerbungsgespräch bemerkenswert offen. Sie hatte den Begriff Work-Life-Balance nicht versehentlich anders als gewohnt formuliert, sondern passend zu ihrer Erwartungshaltung an den Arbeitgeber abgeändert, bei dem sie sich beworben hatte: Nicht die Arbeit geht vor, sondern ihr Leben. Das war nicht nur das Credo dieser jungen Frau - das ist die JobDNA fast einer kompletten Generation. Und das prägt auch die Pakte, die viele jungen Paare geschlossen haben: Wenn ein neuer Posten absehbar zu viel Familien-Leben fressen würde, wird er eher ausgeschlagen. Wenn der Journalismus schlaucht, wird er für freizeitfreundlichere Jobs aufgegeben. Die Arbeits-Dinos hadern damit. Sie sind in vielerlei Hinsicht Fans ihrer wunderbaren jungen Leute. Dass diese ihr Brennen für den Beruf aber wie einen Induktionsherd steuern können (bei Bedarf an, danach flott auf null), dass hochbegabte Nachwuchskräfte nach vielversprechendem Start wegen der Härten des Jobs ihr berufliches Ethos leidenschaftslos an den Nagel hängen und aus dem Journalismus in andere Branchen abwandern, wird ihnen ewig fremd bleiben. Doch die Immer-Brenner werden sich mit einer für sie unbequemen Erkenntnis arrangieren müssen: Sie haben nicht auf die falschen jungen Leute gesetzt, sondern die Berufswelt nach Ihnen denkt und handelt so. Berufung war einmal, jetzt kommt die Job-Ära. Die eiserne Generation wird das nicht bejubeln können, aber akzeptieren müssen. Und sie sollte Job-Realitäten schaffen, die es jungen Journalisten nicht mehr abverlangen, sich zwischen Beruf oder Leben entscheiden zu müssen. Sonst werden die Medien noch mehr Talente an PR und Marketing verlieren. Und wenn wir ehrlich sind: So reizvoll intensiv es auch war und ist, für unseren Beruf und unser Unternehmen zu brennen - längst nicht jede Job-Priorität, derentwegen wir unsere Partner und Kinder alleingelassen haben, war das wirklich wert. ... Die Kolumne "Personalfragen" von Christian Lindner ist in kress pro-Ausgabe 7/2019 erschienen. In dem 100-seitigen Heft gibt es ein Titelinterview mit Gabor Steingart, ein Gespräch mit Ex-Spiegel-Chef Klaus Brinkbäumer und ein Ranking über die besten TV-Manager Deutschland. Sie können kress pro in unserem Shop bestellen. Ein kress pro-Abo können Sie in unserem Shop ebenfalls abschließen. Sie sind bereits Abonnent? Dann loggen Sie sich bitte unter Mein kress ein und lesen das aktuelle E-Paper. kress pro - das Magazin für Führungskräfte in Medien - erscheint wie kress.de im Medienfachverlag Oberauer. Chefredakteur ist Markus Wiegand. Exklusive Storys und aktuelle Personalien aus der Medien- und Kommunikationsbranche gibt es von Montag bis Freitag in unserem kressexpress. Kostenlos unseren Newsletter abonnieren.

Schlagwörter

kress pro 2023#07

Welche Inhalte Digitalabos bringen

Wie Chefredakteur Jens Ostrowski mit den „Ruhr Nachrichten“ weiter bei den Plus-Abos wächst. Dazu die neuesten Erkenntnisse des Datenprojekts Drive, in dem Zeitungen ihre Paid-Erfahrungen austauschen.

Die wichtigsten Nachrichten aus der Medienbranche — ein Mal am Tag als Newsletter direkt in Ihr Postfach.