Medienpsychologe: Warum Christian Drosten der Gandalf der Nation ist

Der Medienpsychologe Frank Schwab sagt in einem Interview, was Falschmeldungen so faszinierend macht, wie lange das Interesse an den Corona-Nachrichten hoch bleiben wird und warum der Virologe Christian Drosten ein Medienstar ist.

Marc Bartl | 27. März 2020 um 10:46

Medienpsychologe Frank Schwab

Christian Drosten

Frank Schwab ist Professor für Medienpsychologie an der Universität Würzburg. Er forscht zu evolutions- und emotionspsychologischen Aspekten der Massen- und Individualmedien. Im Spiegel-Interview erläutert Schwab, warum viele Menschen die teilweise absurden Falschmeldungen zu Corona für bare Münze nehmen. Die Leute fielen darauf rein, weil es eine entlastende Wirkung hätte. "Man hat die ganze Zeit die Luft angehalten, und dann kommt jemand und sagt: Du kannst wieder ausatmen, es ist gar nicht so schlimm. Manche Leute denken ja wirklich, die Coronakrise sei inszeniert, aufgebauscht, Panikmache. Das Problem ist: Vieles, was wir jeden Tag darüber in den Medien lesen und hören, kollidiert mit unserer eigenen Wahrnehmung. Das Virus ist nicht sichtbar. Vor unserer Tür fallen keine Leute tot um. Schauen Sie mal zum Fenster hinaus: Die Erde ist flach, oder? Auf die Idee zu kommen, dass sie rund ist, bedarf einer nicht trivialen kognitiven Leistung. Oder man muss halt der Wissenschaft glauben. So ist es mit Corona auch." Der Medienpsychologe schlägt eine Art "kommunikativer Hygiene" vor: Fake News verbreiteten sich rasant, ähnlich wie ein Virus. Wichtig sei, dass wir nicht alles ungeprüft weiterleiteten, was uns angeboten werde. "Also: Quellen checken. Das ist die digitale Variante des Händewaschens". Im Interview mit Spiegel-Redakteur Alexander Kühn findet Frank Schwab auch einen Grund für die derzeit hohen Einschaltquoten bei ARD und ZDF. In Krisenzeiten rücke man wieder näher zusammen. Man treffe sich wieder bei den Mainstream-Medien. Schwab: "Man hatte geglaubt, soziale Medien würden das Fernsehen ersetzen. Das stimmt nicht. In Krisenzeiten verlassen sich Leute eher auf die klassischen Sender, vor allem auf die Öffentlich-Rechtlichen." Er vermutet, dass die Menschen zu dem zurückkehren, womit sie aufgewachsen sind, und da hätten die Öffentlich-Rechtlichen rein demographisch immer noch einen Vorsprung. Auf Platz zwei kämen die Privaten, dann erst die sozialen Medien. Jeder suche sich auch ein wenig seine Heimat. Jede Krise bringt ihre eigenen Medienstars hervor. Der größte ist derzeit wohl der Berliner Virologe Christian Drosten, dessen Podcasts beim NDR ein Millionen-Publikum erreichen. Schwab schreibt Drosten die Funktion eines Seelsorgers zu, der uns an die Hand nehme. Er sei der Fels in der Brandung. Drosten wirke auf seiner Wissenschaftstournee durch die Talkshows auch deshalb glaubwürdig, weil er sich nicht immer der medialen Logik unterwerfe. Er habe nicht immer eine schnelle Antwort parat, sondern sage auch mal: Nehmen Sie es mir nicht übel, aber dafür muss ich mir jetzt mehr Zeit nehmen. Man könne Drosten durchaus mit den Mentoren in den großen Fantasyfilmen vergleichen: Gandalf in Herr der Ringe, Obi-Wan Kenobi in Star Wars. "Sie kämpfen nicht immer selbst, bringen aber ihre Weisheit und Erfahrung ein und stehen dem Helden zur Seite", erklärt Schwab beim Spiegel. Die Einschaltquoten und Klickzahlen bleiben laut dem Medienpsychologen übrigens hoch, solange die Krise schlimmer wird oder zumindest nicht besser. "Wenn alles überstanden ist und es darum geht, was wir daraus lernen und was wir nachhaltig verändern müssen, wird das Interesse nachlassen, leider." Der Mensch stehe auf dem Hügel und schaue, ob es irgendwo brenne. Stehe der Horizont in Flammen, sei er alarmiert. Kokele es nur vor sich hin, sei ihm das relativ egal.

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