Daniel Neuen meint: Der Pressesprecher ist (mund-)tot

Bei Clubhouse wird immer mehr geredet, in manchen PR-Abteilungen immer weniger. Ein Kommentar von PR-Report-Chefredakteur Daniel Neuen

Daniel Neuen | 22. Februar 2021 um 11:38

PR Report-Chefredakteur Daniel Neuen

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Neulich bekam ich eine fast wütende Beschwerde von einem Journalisten. Die Gewohnheiten vieler Pressestellen seien seit Corona "vollends verlottert", schrieb er mir. In mancher PR-Abteilung gehe niemand mehr ans Telefon. Man könne froh sein, wenn auf jede zweite E-Mail überhaupt mal eine Reaktion erfolge. Und wenn er doch jemanden persönlich erreiche, werde er oft - mal mehr, mal weniger höflich - aufgefordert, sein Anliegen via Mail vorzutragen. Selbst bei völlig harmlosen Fragen. Vielfach werde dabei auf "die Lage" verwiesen: Lockdown, ­Homeoffice, Homeschooling - alles sei ja so schwierig. Ein Einzelfall? Mit einer repräsentativen Erhebung kann ich nicht dienen. Aber die Beobachtung oder die Klage, dass manche Pressesprecher und Pressesprecherinnen immer weniger sprechen, höre ich häufiger. Von beiden Seiten. Und auch schon vor der Pandemie.
 
Mehr Sicherheit, weniger Chancen

Klar, PR-Menschen ächzen unter den persönlichen, familiären und beruflichen Belastungen durch Corona. Aber Redaktionen kämpfen genauso. Jedes kleine Ansinnen in eine Mail hacken zu müssen statt in einem zweiminütigen Telefonat zu klären, bürdet Journalistinnen und Journalisten noch mehr Mühen auf. Zumal wenn man die Tipperei auf einen Arbeitstag hochrechnet. Guter Service sieht anders aus.
 
Wohlgemerkt: Der 30 Punkte umfassende Fragenkatalog von Investigativspürnasen oder zu verzwickten Spezialgebieten, für dessen Beantwortung Anwälte, Fachabteilungen und sonst wer konsultiert werden müssen, ist hier nicht gemeint.
 
Womöglich herrscht auch teils der ­Irrglaube, Journalistinnen und Journalisten seien nicht mehr wichtig, man könne Kommunikation komplett über eigene Medien steuern und unliebsamen Fragen auf Dauer ausweichen. Stellenweise mögen Angst und Kontrollsucht eine Rolle spielen, weil der interne Druck auf die ­Kommunikation zugenommen hat. Und manche aus der jungen Generation texten lieber als zu telefonieren.
 
Hinzu kommt der stetig steigende Workload bei bestenfalls stagnierenden Ressourcen. Schon vor Corona ist Kommunikation komplexer und schneller geworden, die Zahl der Kanäle explodiert. In der Pandemie, als bewährte Formate in Rekordzeit und nach dem Trial-and-error-Prinzip digitalisiert oder völlig neu erfunden werden mussten, hat sich das Problem verschärft. Dass man versucht, Zeit zu gewinnen oder sich abzusichern, mag in manchen Fällen verständlich sein.
 
Aber es ist oft auch eine vertane Chance, Einordnungen zu geben, Zwischentöne aufzunehmen und das Gegenüber zu überzeugen. Nichts geht über den persönlichen Kontakt.
 
Sind Sie schon drin?

Wieder haben Kommunikationsprofis und Medienschaffende dasselbe Problem: Gelegenheiten für den Austausch bei und am Rande von Events gibt es kaum noch. Womit wir bei einem weiteren neuen Kanal wären: Clubhouse. Der Hype um die Social-Audio-App entstand auch deshalb, weil die Politik-, PR- und Medienblase von der Sehnsucht nach Begegnung und Nähe getrieben ist - und von der Lust an der Selbstdarstellung.
 
Ich bin gespannt, wie lange die Clubhouse-Begeisterung, von der auch ich mich ein wenig habe anstecken lassen, anhält. An dieser Stelle nur so viel: Unternehmen, die ihren Sprecherinnen und Sprechern das Sprechen verbieten oder erschweren, sollten gleich die Finger davon lassen. Ebenso Sprecherinnen und Sprecher, die gar nicht sprechen wollen.
 
An alle anderen, die genügend Ressourcen und Rückhalt haben: Probieren Sie Clubhouse doch einfach aus, sammeln Sie Erfahrungen, aber machen Sie nicht den Ramelow. Zu viel reden ist auch nicht gut.

Autor: Daniel Neuen ist Chefredakteur des PR Reports. Dieser Kommentar erschien zuerst im PR Report 1/2021. Lesen Sie darin:
 
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