Reichelt äußert sich erstmals zu seinem Rausschmiss: "Ich habe Mathias Döpfner da nicht angelogen"

Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt bestreitet im Exklusiv-Interview mit der "Zeit" jeden Vorwurf des Machtmissbrauchs und spricht offen darüber, dass er von Springer-Chef Mathias Döpfner enttäuscht ist. Reichelt gibt in der "Zeit" auch Einblick in seine Zukunftspläne.

Marc Bartl | 8. Dezember 2021 um 16:41

"Man hat mich unterm Strich wegen meiner Beziehung rausgeworfen. Dafür, dass ich einen Menschen liebe": Julian Reichelt

Julian Reichelt ist Mitte Oktober als Bild-Chefredakteur entlassen worden. Im Interview in der aktuellen Zeit bestreit er jeden Vorwurf des Machtmissbrauchs. Ihm sei nie eine Aussage präsentiert worden, in der ihm jemand Machtmissbrauch vorwerfe, sagt Reichelt im Gespräch mit Cathrin Gilbert von der Zeit. "Obwohl ich mich nicht mal ordentlich verteidigen konnte, hat Axel Springer keinen einzigen Beleg für Machtmissbrauch gefunden und das so auch öffentlich kommuniziert. Deswegen durfte ich zurück in meinen Job. Mathias Döpfner sagte damals, es habe keine Regel gegeben, gegen die ich irgendwie verstoßen hätte. Dann sagte er vor Hunderten Mitarbeitern: 'Diese Regeln müssen wir jetzt schaffen. Wenn uns das nicht gelingt, müssen wir uns alle bei Julian Reichelt entschuldigen.' Er hat keine Regel geschaffen, aber dann so gehandelt, wie er gehandelt hat", so die Darstellung von Reichelt. Reichelt betont im Zeit-Interview, dass die Gründe für seinen Rauswurf andere sind, als von Axel Springer kommuniziert: "Die Beziehung, um die es geht, wurde im Abschlussbericht von Freshfields, den Mathias Döpfner mir selber vorgelesen hat, sehr konkret thematisiert. Ich habe Mathias Döpfner da nicht angelogen. Deswegen hat es mich sehr überrascht, wie überrascht er gewesen sein will. Man hat mich unterm Strich wegen meiner Beziehung rausgeworfen. Dafür, dass ich einen Menschen liebe. So etwas sollte es nicht geben. Aber es ändert rein gar nichts an unserem Glück." Axel Springer hatte das Ende der Zusammenarbeit so begründet: "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat." Reichelt kommt in dem Gespräch mit Cathrin Gilbert, die vor 17 Jahren bei Bild volontierte, bevor sie zum Spiegel und dann zur Zeit ging, auch auf die Rolle der Frauen in seiner Geschichte zu sprechen: "Frauen werden unterschätzt", sagt Reichelt. Er zitiert eine Kolumne der verstorbenen Journalistin Bettina Gaus über sich. Es sei falsch, habe Gaus auf Spiegel Online geschrieben, Frauen in Beziehungen mit Vorgesetzten grundsätzlich als Opfer zu sehen. Sie seien sehr wohl selbstbestimmt, man diskriminiere Frauen sogar, wenn man ihnen das nicht zugestehe. "Natürlich sind Freiwilligkeit und Einvernehmlichkeit in fast jeder gesellschaftlichen Konstellation denkbar und die Grundlage unseres Zusammenlebens. Nur drängt der Zeitgeist Frauen in eine grundsätzliche Opferrolle", meint Reichelt. Das Wichtigste aus den Medien - einmal am Tag: Jetzt den kressexpress bestellen Nach der Freshfield-Untersuchung wurde Reichelt Ende März eine Co-Chefredakteurin zur Seite gestellt: Alexandra Würzbach. Catharin Gilbert fragt Reichelt, warum er das hingenommen habe, wenn er sich doch für unschuldig hielt. "Weil ich Bild und diese Marke unbedingt zukunftstauglich machen wollte. Ich wollte sie weiter mit Bild Live ins Fernsehen führen und mir das nicht durch diese Kampagne nehmen lassen", lautet seine Antwort. Und weiter: "Viele fragen mich jetzt, ob ich leben könne ohne Bild. Die Zeitung sei doch mein Leben gewesen. Das ist falsch. Nicht Julian Reichelt ist Bild, sondern: Bild war Julian Reichelt. Was diese Marke dargestellt hat, basierte auf meiner Arbeit, meinen Gedanken. Natürlich auch auf den Ideen und der Leidenschaft eines grandiosen Teams. Aber am Ende musste ich entscheiden." Reichelt kritisiert im Zeit-Interview auch die Führung von Axel Springer. Den Vorwurf, eine Kultur der Angst verbreitet zu haben, hält er für bigott: "Es ist doch klar, dass Leute Angst bekommen, wenn um sie herum lauter Kollegen entlassen oder abgebaut werden, wie man das nennt. Aber der Vorstand wollte, dass wir im Rahmen der Restrukturierung Personal abbauen. Das Unternehmen sollte hübsch gemacht werden für den amerikanischen Finanzinvestor KKR, der ja inzwischen auch eingestiegen ist. Da lässt man mich also erst rund 120 Kolleginnen und Kollegen entlassen – und das war für mich brutalst schmerzhaft – und wirft mir nachher vor, die Stimmung sei schlecht. Das hätte ich nicht für möglich gehalten." Über seine besondere Beziehung zu Springer-Chef Mathias Döpfner sagt Reichelt: "Mathias hat ja oft öffentlich gesagt, dass er Bild als Bollwerk gegen manchen Zeitgeist empfindet. Und das stimmt. Deshalb empfinde ich es fast als tragisch, wie sich das nun dreht, weil ich ihn als großen freiheitlichen Geist kennengelernt und sogar verehrt habe. Und weil ich das Gefühl habe, dass ein solcher freiheitlicher Geist in unserer Gesellschaft derzeit massiv zurückgedrängt wird." Döpfner und er seien politisch in den allermeisten Fällen einer Meinung. Er habe sich immer geborgen gefühlt in dieser großen geistigen Nähe. "Wir waren wie eine Familie, die in guten und in schwierigen Zeiten zusammenhält", beschreibt Reichelt weiter das Verhältnis zu seinem Vorgesetzten. "Da weiß man nicht alles, aber doch sehr viel übereinander." Gerade deshalb ist er von Döpfner enttäuscht. Reichelt hat sein gesamtes Berufsleben bei Axel Springer verbracht, vor fast 20 Jahren startete er als Volontär bei Bild. In der Zeit spricht Reichelt auch von einem "Vernichtungsfeldzug gegen einen Journalisten". Große Teile der Berliner Blase aus Politikern und Redakteuren hätten sich von diesem Land unendlich weit entfernt, und er sei unter diesen Leuten schon immer verhasst gewesen, so die Darstellung des Ex-Bild-Chefs. Der Spiegel sei in der Kampagne gegen ihn eine der treibenden Kräfte: "Der Spiegel ist für mich das perfekte Beispiel dafür, wie sich Ideologie in Redaktionen ausgebreitet hat. Wissen Sie, was das Verrückte daran ist? Vor einigen Jahren kannte ich einen führenden Spiegel-Redakteur. Ich passte auf seine Kinder auf, während er sich mit einer Mitarbeiterin traf. Die tun jetzt so, als wäre ich der erste Chef auf dieser Welt, der so was gemacht hat." Im umstrittenen Spiegel-Artikel "Vögeln, fördern, feuern" über Julian Reichelt sind laut Reichelt alle zentralen Zitate frei erfunden, auch das Zitat der Überschrift. "Wir wissen alle, dass ein anonymes Zitat nie in die Überschrift gehört. Es verstößt gegen alle journalistischen Standards", so Reichelt im Zeit-Interview. kress.de berichtete in der vergangenen Woche von der Schlappe des Spiegel im Streit mit Reichelt. Reichelt sieht auch die Rolle der ARD-"Tagesthemen" kritisch: "Die 'Tagesthemen' haben sich für meinen öffentlich-rechtlich-kritischen Kurs gerächt. Und er glaubt, dass die Angriffe "gegen Bild, Springer und Mathias" sich noch verschärfen werden: "Es ist jetzt Blut im Wasser." Am Ende spricht Reichelt in der Zeit über seine berufliche Zukunft, er wolle "auf jeden Fall weitermachen". Er ergänzt: "Wenn es keinen passenden gibt, hat man in einem freien Land ja die Möglichkeit, sich diesen Job selber zu schaffen." PR wolle er nicht machen, "sondern Journalismus für die Massen. Ich liebe es, Millionen Menschen eine starke Stimme zu geben".

Jetzt das neue kress pro lesen: Reichelts Fall. Acht brisante Fragen und Antworten zum Medienthema des Jahres: Warum hat Axel Springer Julian Reichelt nicht schon früher gefeuert? Wie genau wurde Julian Reichelt gefeuert? Wie gut hat die Kanzlei Freshfields den Fall untersucht? Warum schweigt Julian Reichelt? Was ist zwischen den Frauen und Julian Reichelt wirklich vorgefallen? Warum hat die "New York Times" sich Springer vorgenommen? Warum hat Dirk Ippen die Reichelt-Story wirklich gestoppt? Warum gab es nach dem Comeback Reichelts einen Machtkampf? Dazu weitere Hintergründe: Ippen intern: So wurde die Story geknickt.
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