Große Verleger-Sorgen: Kein Papier, jeder dritte Titel am deutschen Markt existenziell gefährdet

"Viele Verlage wissen bis heute nicht, auf welchem Papier sie im dritten oder vierten Quartal ihre Zeitschriften drucken sollen", sagte Philipp Welte beim European Publishing Congress Montagabend in Wien. Doch nicht alleine die Produktion ihrer Zeitschriften macht den Verlegern derzeit Sorgen.

21. Juni 2022 um 12:00

Philipp Welte auf dem European Publishing Congress in Wien 2022

"Wir haben es zu tun mit einer bisher nie dagewesenen Kombination von strukturellen Veränderungen und massiven aktuellen Bedrohungen. Und im Ergebnis mit einer erschreckenden Erkenntnis: Die einzigartige Vielfalt der freien, journalistischen Medien, die die Verlage in Europa geschaffen haben, ist ökonomisch substanziell bedroht", warnte Philipp Welte, Vizepräsident des Medienverbandes der freien Presse (vormals VDZ) und Mitglied des Burda-Vorstandes. Er geht davon aus, dass auf dem deutschen Markt jedes dritte gedruckte Medienangebote in seiner Existenz gefährdet ist.

Im Werbemarkt schlägt sich die aktuelle Unsicherheit in einem signifikanten Rückgang bei den Anzeigen nieder. Zugleich leiden deutsche Medien nach wie vor massiv unter der Marktmacht US-amerikanischer Technologieplattformen. Google, Amazon und Facebook werden in diesem Jahr auf dem deutschen Markt über 8,8 Milliarden Euro mit Werbung erwirtschaften, was einem Marktanteil von 35,9 Prozent entspricht.

Die wirtschaftliche Dimension der Gefährdung sei aber nur der eine Teil, so Welte beim European Publishing Congress am Montagabend in Wien. "Die andere Gefahr wächst und wuchert viel tiefer - wie ein Geschwür in unserer demokratischen Kultur. Es ist die Bedrohung der Freiheit des Denkens, der Meinungen, eine Bedrohung der Toleranz." Der Medienmanager kritisierte massiv die Politik: "Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Politik die Rolle der freien Presse nicht mehr versteht - oder nicht verstehen will."

Beim European Publishing Congress wurde deutlich, dass es neben ernsthaften Sorgen auch berechtigte Hoffnung für die Zukunft der Medien gibt. Viele Medienhäuser sind mit ihren digitalen Angeboten gut vorangekommen und schaffen es auch, dafür zahlende Leserinnen und Leser zu gewinnen. Unter anderem präsentierten in Wien "Zeit"-Chefredakteur Jochen Wegner und Geschäftsführer Christian Röpke die Ergebnisse ihrer Strategie. Die Verlagsgruppe der "Zeit" hat im Vorjahr erneut zugelegt. Bei den Digitalabos sogar um 43 Prozent. Dabei zeigt sich, dass es durchaus noch Lücken für Medien gibt. Bei den diversen Tests haben die Macherinnen und Macher der "Zeit" eine triviale Schwachstelle entdeckt, das Wochenende. Sonntag ist der stärkste Abo-Tag und gleichzeitig bietet hier die Redaktion am wenigsten. Das ändert sich eben. Mit einer digitalen Sonntagsausgabe soll diese Lücke nun geschlossen werden.

Hintergrund: Nach zwei Jahren Pandemie-bedingter Pause waren knapp 300 Chefredakteure und Führungskräfte europäischer Medienhäuser nach Wien gekommen, um sich über ihre Konzepte auszutauschen. Unterstützt wurde dieser größte europäische Medienkongress unter anderem durch den Verband der österreichischen Zeitungs- und Zeitschriftenverleger, durch die Bundeszentrale für politische Bildung in Deutschland und Readly aus Schweden. Veranstalter sind der Medienfachverlag Oberauer, zu dem kress.de gehört, und der deutsche Zeitungsdesigner Norbert Küpper.

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