Abfindung oder fristlose Kündigung? Neue Streitfrage im Fall Schlesinger

Nach dem Rücktritt von Patricia Schlesinger vom Posten der RBB-Intendantin laufen Verhandlungen über ihre Vertragsauflösung. Dabei zieht eine neue Streitfrage auf: Soll Schlesinger eine Abfindung bekommen? Wie ein Arbeitsrechtler die Sache einschätzt.

11. August 2022 um 10:48

In der Debatte um eine Vertragsauflösung für die zurückgetretene RBB-Intendantin Patricia Schlesinger sprechen sich Landespolitiker gegen eine Abfindung für die 61-Jährige aus. Die Chefin des Rundfunks Berlin-Brandenburg (RBB) hatte am Sonntag angesichts zahlreicher Vorwürfe ihren Rückzug erklärt. Der brandenburgische SPD-Fraktionschef Daniel Keller sagte am Mittwoch gegenüber dpa: "Sollten sich diese Pflichtverletzungen, die hier im Raum stehen, bewahrheiten, wäre die Zahlung einer Abfindung ein fatales Zeichen gegenüber den Mitarbeitenden des RBB und der Öffentlichkeit." Der Verwaltungsrat müsse prüfen, ob er auf der Grundlage der Anschuldigungen und der bereits jetzt vorliegenden Dokumente eine Kündigung oder eine Vertragsaufhebung ohne Zahlung einer Abfindung ausspreche. "Frau Schlesinger sollte ihre Würde bewahren und keine Abfindung fordern, und sie muss sich der Aufklärung und Aufarbeitung stellen", ergänzte der SPD-Politiker laut dpa. Zudem müsse geprüft werden, ob es einer weiteren Neubesetzung des RBB-Spitzenmanagements bedürfe. Der Chef der mitregierenden CDU-Fraktion im Brandenburger Landtag, Jan Redmann, äußerte sich ähnlich. "Angesichts der inzwischen durch Zeugenaussagen belegten Abrechnungen offenbar privater Essen über den RBB und unbestrittener Verstöße gegen elementare Compliance-Regeln sollte der Verwaltungsrat eine fristlose Kündigung von Frau Schlesinger ins Auge fassen." Ein goldener Handschlag zulasten der Beitragszahler erscheine in dieser Situation nicht vermittelbar. "Wenn eine Kassiererin für einen unterschlagenen Pfandbon gekündigt wird, muss das erst recht für eine herausgehobene öffentliche Repräsentantin gelten." Spekulationen um eine mögliche Abfindung für Schlesinger, die seit 2016 RBB-Intendantin war, kamen dadurch auf, dass sie in ihrem Rücktrittsschreiben an die RBB-Aufsichtsgremien auf Vertragsparagrafen pochte und ihren Anwalt ins Spiel brachte. Das Dienstverhältnis würde demnach Ende Februar 2023 enden, Schlesinger zeigte sich bereit, das zu verkürzen - wenn sichergestellt sei, dass es sich um einen "vertragsgemäßen Verzicht" handele. Am Dienstag will der Rundfunkrat in einer Sondersitzung über die Vertragsauflösung beraten. Was ein Arbeitsrechtler dazu sagt: Ob Schlesinger nach ihrem Rücktritt tatsächlich eine Abfindung erhalten wird, hängt nach Einschätzung eines Arbeitsrechtlers davon ab, wie man sich beim Sender nun verhalte. "Theoretisch könnte der RBB Frau Schlesinger jetzt noch seinerseits eine außerordentliche fristlose Kündigung aussprechen - und diese mit jetzt schon bekannten Verfehlungen der Intendantin begründen", sagte Ulrich Kortmann, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kölner Kanzlei michels.pmks zur Axel Springer-Marke Welt. Auf diese Weise, sagte Kortmann, ließe sich die Zahlung der geforderten Abfindung womöglich umgehen. Anders sehe es bei bereits aufgelaufenen Pensionsansprüchen aus. Eine außerordentliche Kündigung sei innerhalb von 14 Tagen nach dem Bekanntwerden grober Verfehlungen rechtlich möglich. Da in den vergangenen Tagen eine Vielzahl solcher vermuteter Verfehlungen Schlesingers ans Licht gekommen sei, bestünden gute Chancen, dass ihr Arbeitgeber RBB vor Gericht eine solche außerordentliche Kündigung, die ihm Abfindungszahlungen ersparen würde, durchsetzen könne. Zumindest würde sich hierdurch eine Abfindungszahlung reduzieren lassen. "Würde ich den RBB arbeitsrechtlich beraten, würde ich ihm zu einer schnellen außerordentlichen Kündigung raten." Sollten sich die Parteien doch auf die Zahlung einer Abfindung dafür einigen, dass Schlesinger bereit ist, ein halbes Jahr früher als vertraglich am 28. Februar 2023 vorgesehen vollends abzutreten, werde diese wohl maximal die Hälfte von Schlesingers Gesamtjahresvergütung betragen - also rund 160.000 Euro, heißt es in der Welt. Die einstige Intendantin erhielt ein Jahresgrundgehalt von rund 300.000 Euro und einen jährlichen Bonus in Höhe von rund 20.000 Euro. Die Pensionsansprüche Schlesingers dagegen - 15.000 Euro monatlich - dürften nach Einschätzung von Arbeitsrechtler Kortmann durch die ihr vorgeworfenen Verfehlungen nicht gefährdet sein. Selbst dann nicht, wenn sich diese bewahrheiten sollten. "Pensionsansprüche sind eine Anwartschaft, die durch die bereits geleistete Arbeit verdient wurde. Sie können deshalb in der Regel nicht widerrufen werden." Dies sei nur bei schwersten Verfehlungen denkbar - etwa, wenn Firmenchefs ihr Unternehmen an den Rand der Insolvenz oder darüber hinaus gewirtschaftet haben. Der Finanzdienstleister Wirecard sei ein Beispiel dafür: In diesem Fall führte der schwere Betrug der Verantwortlichen im Vorstand zur Insolvenz des Unternehmens. "Von derartigen Dimensionen ist der Fall Schlesinger weit entfernt, so Kortmann in der Welt. Hintergrund: Das Online-Medium "Business Insider" hatte den Fall Ende Juni ins Rollen gebracht. Es geht um die Frage, ob Schlesinger und der inzwischen zurückgetretene Senderchefkontrolleur Wolf-Dieter Wolf miteinander einen zu laxen Umgang bei der möglichen Kollision von Interessen gepflegt haben könnten. Beide wiesen Vorwürfe zurück. Dabei spielen Beraterverträge für ein inzwischen auf Eis gelegtes RBB-Bauprojekt und Aufträge für Schlesingers Ehemann bei der landeseigenen Messe Berlin eine Rolle. Wolf war dort auch Aufsichtsratschef. Diesen Posten gab er nun auch zurück. Gegen alle drei ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen des Anfangsverdacht Untreue und Vorteilsannahme. Für Unmut sorgt auch, dass Schlesinger mehrmals als RBB-Chefin Gäste in ihrer Privatwohnung empfing und Kosten über den beitragsfinanzierten ARD-Sender abrechnete. Die in Rechnung gestellten Kosten sollen angeblich fehlerhaft gewesen sein. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik zum Beispiel ging nach Polizeiangaben davon aus, dass die Treffen privater Natur waren. Die Charité teilte zu Vorstandschef Heyo K. Kroemer ebenfalls mit, dass es sich, basierend auf Art und Inhalt der Einladung sowie dem Verlauf des Abends, um einen privaten Termin gehandelt habe. Quellen: kress, dpa (Anna Ringle), Welt

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