RTLzwei-Chef Bartl zum Wendler-Wirbel: "Die berechtigte Kritik vieler Kolleginnen und Kollegen schmerzt"

Ungewöhnliche Selbstkritik: RTLzwei-Geschäftsführer Andreas Bartl erklärt im kress pro-Interview, wie er gemeinsam mit seinem Team den Wirbel um Michael Wendler bewältigt und wie - nach all den Umbauten - das Verhältnis zur großen Schwester RTL ist.

28. März 2023 um 10:52

RTLzwei-Geschäftsführer Andreas Bartl

Auszug aus einem Interview in kress pro - Magazin für Führungskräfte in Medien:

[...] kress pro: Laut aktuellen Umfragen scheint RTLzwei ja ein besonders beliebtes Medienhaus auf dem Fachkräftemarkt zu sein: Platz eins im kress pro-Ranking. Gratulation!

Andreas Bartl: Danke schön! Glücklicherweise scheint sich RTLzwei als Arbeitgeber einen guten Ruf erworben zu haben, der das eine oder andere Talent hierherlockt, in den Wald von Grünwald. Offenbar weiß man da draußen, dass man bei uns in kurzer Zeit viel lernen kann und dass man eine gewisse Freiheit vorfindet.

Wie meinen Sie das konkret?

Man kann sich bei uns rasch entwickeln und bekommt schon relativ früh Verantwortung übertragen. Wir glauben an dieses Prinzip: Dass es Leute stärkt, wenn man ihnen Verantwortung überträgt, aber dass man ihnen dann auch Rückendeckung gibt. Meine Mitarbeiter müssen wissen, dass sie auch einen Fehler begehen können, ohne sich auf schlimmste Konsequenzen gefasst machen zu müssen - wenn sie daraus lernen. So haben wir es immer geschafft, eine verhältnismäßig junge Belegschaftsstruktur zu wahren.

Trotzdem: Zuletzt gab es ja zuletzt viel Unruhe um den Sender, als Sie zunächst eine neue Dokusoap-Reihe mit dem höchst umstrittenen US-Auswanderer Michael Wendler und seiner jungen Ehefrau Laura ankündigten, diese nach einem Proteststurm aus verschiedenen Ecken kurzfristig wieder zurückzogen. Es war auch zu hören, dass Mitarbeiter gegen die Wendler-Verpflichtung opponiert hatten. Wie gewinnt man da Vertrauen zurück?

Wie gesagt, eine offene und authentische Fehlerkultur bedeutet, dass Mitarbeiter Fehler begehen dürfen - das trifft auch auf uns Führungskräfte zu. Allein die Idee, man könnte ein rein unterhaltendes Format mit Wendler versuchen, war ein Fehler. Ich verstehe, dass das viel Unverständnis und auch Wut ausgelöst hat. Die berechtigte Kritik vieler Kolleginnen und Kollegen schmerzt.

Wie konnte es im Vorfeld zu dieser Fehleinschätzung kommen?

Wir sind dabei das für uns selbst zu beantworten und werden uns bei der kritischen Analyse die nötige Zeit nehmen. Wir wollen verstehen, warum hier keine red flag gehisst wurde und so sicherstellen, dass so etwas nicht wieder vorkommt.

Zwischenzeitlich drohten ja sogar die Protagonisten der "Die Geissens"-Dokusoap abzuspringen. Wie schwer fällt es aktuell, den Imageschaden wieder zu kitten und wieder Ruhe in den Sender zu bringen?

Wir haben eine langjährige, sehr vertrauensvolle Beziehung zu den "Geissens", den anderen Sendergesichtern und unseren Partnern im Markt. Auch nach innen besitzt unser Unternehmen eine Kultur des Umgangs miteinander, auf die ich stolz bin. Von daher haben wir eine stabile Basis, um das gemeinsam zu bewältigen und daraus zu lernen.

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Dass der Sender 30 Jahre alt geworden ist und immer noch versucht, jung zu bleiben, ist ja schon eine Größe für sich. Sie könnten ja auch die Strategie einschlagen: Lass den Sender reifen und verabschiede dich vom Anspruch, immer jünger zu sein als die großen Sender - also jünger als der Mainstream?

Wir müssen uns der Positionierungsfrage ständig stellen, weil sich die Demografie verändert. Es wandeln sich aber auch die Nutzungsgewohnheiten, und zwar dramatisch. Junge Menschen nutzen heute audiovisuelle Medien völlig anders als noch vor zehn Jahren. Trotzdem: Ich habe sehr lange an dieser jungen Positionierung festgehalten und möchte sie auch nicht aufgeben.

Warum ist sie strategisch so wichtig?

Sie gibt uns eine klare Differenzierung. Der Fernsehmarkt mit einer Mehrheit der Privatsender - die Öffentlich-Rechtlichen sowieso - adressiert ja ältere Zielgruppen. Was wir machen - und auch die Kollegen von ProSieben - ist da schon eine Besonderheit. Dieser USP bleibt wertvoll, aber er ist weniger klar als früher, denn das lineare Fernsehen erreicht junge Zielgruppen immer schwerer. Deswegen stehen wir heute an einem Punkt, an dem festzustellen ist: Wir müssen auch die älteren Zielgruppen besser ansprechen.

Wie sehr muss sich RTLzwei dafür verbiegen?

Gar nicht. Wir machen das in Teilen ja schon länger, mit verschiedenen Doku-Formaten oder den "Pop-Giganten" zu Beispiel. Jetzt gehört der Ansatz auch offiziell zu unserer Programmstrategie. Wir wollen die Älteren erreichen, aber zusätzlich zu den Jungen. Die geben wir auf gar keinen Fall auf. Wenn man sich die Angebotsseite ansieht, gibt es im Markt ja alles, nur keinen Mangel an älter positionierten Sendern.

Stimmt - von Sat.1 bis ZDF mindestens.

Würden wir RTLzwei komplett älter umpositionieren, gerieten wir in ein Feld, in dem man wenig gewinnen kann und in dem uns keiner der bisherigen Zuschauer erwartet. Was wir machen, muss nach außen hin weiterhin etwas frischer und jünger wirken als der Rest des Markts. Aber wir bieten nun auch dezidiert Programme im älteren Segment an. Ein erster Versuch, den ich auch noch nicht überbewerten will, war das "Glücksrad". Da stellen wir uns die Frage, wie wir von der doch recht erfolgreichen Retrowelle im Fernsehen profitieren können.

So ganz aufregend laufen die Nostalgie-Shows allgemein in der Branche allerdings nicht.

Nicht überall. Allerdings: Die Zuschauerschaft, die intensiv und gerne Privatfernsehen schaut, besteht heutzutage aus einem nicht unerheblichen Teil aus Fans. Wir hatten mit dem "Glücksrad" einen sehr erfreulichen Zuschauermarktanteil von 7 Prozent bei den 30- bis 49-Jährigen und 7,6 Prozent bei den 14- bis 29-Jährigen. Die Show war also bei Jüngeren und etwas Älteren gleichermaßen erfolgreich. Das sind die Inhalte, die wir brauchen.

Richtig neu ist diese Strategie aber doch nicht: Es gibt bei RTLzwei doch schon länger bewährte, "ältere" Programmware wie etwa die "Geissens". Wächst da Ihr Publikum in eine immer ältere Zielgruppe mit?

Das kann man so sehen. Carmen und Robert Geiss werden älter. Trotzdem haben sie viele junge Fans, die Marktanteile bei den 14- bis 29-Jährigen sind sogar tendenziell besser als bei den 30- bis 49-Jährigen. Außerdem sind die Töchter Davina und Shania ein ganz wichtiger Bestandteil der Reihe.

Sie haben ja eigene Ablegersendungen.

Stimmt. Wir haben ihnen vergangenes Jahr eine eigene Doku-Soap gegeben. Die Familie spricht also mehrere Generationen an, das ist für uns sehr wertvoll. Und sie schneiden im Streaming sehr gut ab. Das ist unser wichtigstes Wachstumsfeld, das wir auch gut kapitalisieren können: In der digitalen Nutzung unserer Programme bei RTL+ sind die "Geissens" ein sehr starkes Programm. Sie stehen für den Spagat zwischen den Altersgruppen, der unseren Sender aktuell prägt.

Können Sie das im Hinblick auf die nicht-lineare Auswertung noch präzisieren?

Die "Geissens" wie auch unsere Reality-Shows "Love Island" und "Kampf der Realitystars" sind im digitalen Streaming bei RTL+ große Hits. Das gilt ebenso für die Soaps "Berlin - Tag und Nacht" und "Köln 50667". Aber natürlich müssen diese wichtigen täglichen Programme auch linear stark sein. Hier arbeiten alle Gewerke mit Hochdruck daran, dass sie wieder über 4 Prozent laufen.

[...]

Wie steht es denn generell aktuell über Ihre Drähte zu RTL: Haben Sie manchmal die Sorge, dass schon wieder ganz andere Ansprechpartner den Hörer abheben, wenn Sie derzeit in Köln anrufen?

Es gab zuletzt eine Zeit lang ein paar Wechsel, das ist schon wahr. Das Gute ist aber, dass man weiterhin immer wieder kompetente und freundliche Ansprechpartner findet. Wir fühlen uns mit unserer großen Schwester eng und gut verbunden. In der heutigen Aufstellung mit Stephan Schmitter und Inga Leschek, die via RTL+ auch für uns mit zuständig sein wird, haben wir Top-Fachleute, mit denen wir uns austauschen können.

[...] Das komplette Interview mit RTLzwei-Lenker Andreas Bartl, in denen der TV-Manager auch erklärt, warum die RTLzwei-Inhalte ein mächtiger Baustein für das Digitalangebot RTL+ sind, können Sie in kress pro 3/2022 lesen. Die Ausgabe jetzt bei kress pro-Chefredakteur Markus Wiegand (markus.wiegand(at)kresspro.de) vorbestellen.

Zur Person: Andreas Bartl volontiert bei der Zeitschrift "Video Magazin", wo er dann Filmredakteur wurde und arbeitete danach schon seit 1990 für die Spielfilmredaktion von ProSieben. 1993 wurde er dort zum Leiter der Filmplanung, seit 1995 verantwortete er die Filmredaktion des Senders. 1996 wurde er Bereichsleiter Programmplanung, 1999 wurde er ProSieben-Programmchef. 2000 wechselte er als Geschäftsführer zum Schwestersender kabel eins. Mitte 2006 wurde er ProSieben-Geschäftsführer, Anfang 2010 auch Sat.1-Chef. Im März kehrte er - mittlerweile auch Vorstand - ProSiebenSat.1. Seit Juni 2014 führt er RTLzwei.

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