"Man darf aber angesichts von fast 20% Unterstützung für die AfD in aktuellen Umfragen auch die Frage stellen, ob diese Strategie der Nichtbeachtung so gut aufgegangen ist", schreibt stern-Chef Gregor Peter Schmitz im Editorial zur Titelgeschichte. Spiegel-Journalistin Ann-Katrin Müller hält dagegen: "Nein, so sollten wir Medien nicht mit der AfD umgehen."
Marc Bartl | 28. Juni 2023 um 14:54
Das aktuelle stern-Cover mit AfD-Chefin Alice Weidel
"So, ich habe nun das Interview mit Alice Weidel vom #Stern gelesen und muss sagen: Nein, so sollten wir Medien nicht mit der AfD umgehen. Sie ist keine normale Partei, sondern eine, die in großen Teilen rechtsextrem ist. Sie will die Demokratie maßgeblich verändern, da haben nicht nur Parteien und Zivilgesellschaft eine Verantwortung, sondern auch wir Medien. Natürlich sollten wir uns mit der Partei an sich auseinandersetzen, wie es der Stern-Chefredakteur @ GPSchmitz fordert, keine Frage. Nur: Das tun wir doch, seit zehn Jahren, immer wieder auf unterschiedlichsten Wegen, auch bevor sie in den Umfragen so gut dastand wie sie es heute tut. Eine 'Strategie der Nichtbeachtung', wie sie der Stern postuliert, kann ich jedenfalls bei bestem Willen nicht entdecken", schreibt Ann-Katrin Müller auf Twitter.
Müller arbeitet im Hauptstadtstudio des Spiegel und ist dort seit über vier Jahren für die AfD-Berichterstattung des Nachrichtenmagazins zuständig. Desweiteren schreibt sie über Innere Sicherheit und sexualisierte Gewalt.
Ihr jüngster Tweet mit der stern-Kritik findet enorme Beachtung und wird viel debattiert. Es gibt tausende Antworten, Retweets & Likes.
stern-Chefredakteur Gregor Peter Schmitz hat die Reaktionen erwartet: "Das Titelbild des stern soll Diskussionen auslösen", schreibt er im Editorial an die Leser. Auch in der Redaktion sei diesmal grundsätzlicher gestritten worden: "Darf man das - ein Gespräch mit Alice Weidel aufs Cover heben, Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) und bald womöglich deren erste Kanzlerkandidatin?" Und Schmitz ist von vorneherein klar, dass es Menschen gibt, die so ein Gespräch für völlig falsch halten. Er verweist in seinem Editorial auf die "Strategie der Volksparteien, möglichst nicht mit AfD-Vertretern zu diskutieren" und betont, dass jedes Interview mit der AfD auch thematisieren müsse, was auf dem Titelbild des stern jetzt in Frakturschrift steht: Hass.
Schmitz: "Selbst wenn die AfD exzellente Vorschläge zur Rentenpolitik, zur Energiewende oder zur Konjunkturbelebung machte (mir sind die bislang nicht aufgefallen), darf niemand vergessen: Eine Stimme für die AfD ist auch immer eine Stimme für Menschen, die Hass predigen oder den Holocaust für einen 'Vogelschiss' der deutschen Geschichte halten. Und Faschisten hören in dieser Geschichte meist nicht auf, Faschisten zu sein."
Zugleich stellt der Vorsitzende der Chefredaktionen von stern, Capital und Geo infrage, ob die Strategie der Nichtbeachtung der AfD bisher so gut aufgegangen ist - angesichts von fast 20% Unterstützung für die Partei in aktuellen Umfragen. Für Schmitz gehört es zur Aufgabe von Journalisten, "mit allen Menschen zu sprechen, die in unserer Demokratie an die Macht wollen. Wir müssen für unsere Leserschaft herausfinden, mit welchen Menschen wir es zu tun haben, was sie mit der Macht anstellen möchten. Deswegen sollten wir auch Alice Weidel und ihrer Partei Fragen stellen, die wir jeder anderen Partei mit Ambitionen auf das Kanzleramt stellen: Was wollen Sie tun? Was können Sie anbieten?"
Das Gespräch mit Alice Weidel haben für den stern Veit Medick und Jan Rosenkranz geführt.
"Ich habe nach der Lektüre dieses Gesprächs einen klareren Eindruck, wie die Argumentationsmuster der AfD funktionieren. Und ich konnte von meinen Kollegen auch lernen, wie man diesen begegnen kann. Deshalb bin ich froh, dass wir dieses Gespräch geführt haben", sagt stern-Chef Schmitz zum Ende seines Editorials.
Ann-Katrin Müller vom Spiegel findet das Problematischste am stern-Interview, "dass man der Erzählung von Weidel und der AfD sehr breiten Raum gibt, dass die Partei bald das Kanzleramt erreichen könnte und was sie dann 'anzubieten' hat". Weidel spreche immer wieder davon, welch grandioses Programm die AfD doch habe, dass die Menschen deswegen ihre Partei wählen wollen. Dabei sei das durch nichts gedeckt, so Müller.
An die Adresse der stern-Interviewer Veit Medick und Jan Rosenkranz gerichtet, schreibt die Journalistin, es gehe nicht darum, wie stark man als Interviewer die Aussagen kontere oder kluge Nachfragen stelle: "Schriftliche, also autorisierte, Interviews funktionieren bei Menschen, die lügen, einfach nicht. Da kann man dann noch so hoffen, dass es sich 'entzaubert'...oder selbst erklärt, wenn Weidel einfach lügt, dass es keine Rechtsextremen in der AfD gibt."
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