Wie KI die Arbeit in den Redaktionen verändert - sechs Prognosen und Kommentare

Was Führungskräfte erwarten. Zum kress pro-Special von Marcus Hebein, Georg Taitl und Alexander Graf.

15. August 2023 um 13:00

"Nur, weil ich nicht selbst lenke, heißt es ja nicht, dass ich nicht bestimme, wo es langgeht.“ (Daphne Flieger, Head of Content bei ZDF Digital)

Auszug aus dem KI-Special im aktuellen kress pro – Magazin für Führungskräfte in Medien:

1. Reporter

Prognose: Ein Demonstrationszug zieht durch das Stadtzentrum, Gewaltausbrüche sind möglich, die Polizei bereitet sich auf Zusammenstöße vor. Schwer genug für Sie, als Reporter am Schauplatz den Überblick zu bewahren und rechtzeitig an den ständig wechselnden Brennpunkten präsent zu sein. Und mittendrin sollen Sie auch noch laufend die Zentralredaktion mit verwertbaren News versorgen. Künftig reichen dafür zwischendurch ein paar gesprochene Sätze ins Smartphone über die wichtigsten Entwicklungen, redaktionelle Hinweise, Zitate von Sicherheitskräften und Demo-Teilnehmern samt ein paar Fotos und Videos. Die KI im Hintergrund transkribiert Ihre Sprachnachrichten dann in Realtime und übermittelt alles in übersichtlicher Textform und für alle Kanäle nutzbar an den Desk in der Redaktion, wo allenfalls noch Rücksprache mit Ihnen gehalten wird. Prognose: Reporter mit großer Erfahrung in außergewöhnlichen Situationen sind weiterhin unersetzbar.

Experten-Meinung: "Eine durchaus denkbare Entwicklung, die zwei Dinge verdeutlicht: Auch künftig wird die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine die besten Ergebnisse hervorbringen  – Technologie unterstützt lediglich, ersetzt aber nicht die Aufgabe des glaubwürdigen ,Augenzeugen‘ vor Ort. Zweitens: Für die aufgezählten Aufgaben gibt es bereits heute leistungsfähige Tools (Transkription, Text-Synthese). Trotzdem ist die Kontrolle der Maschinen-Erzeugnisse zentral. Es ist deswegen realistischer (und aus unserer Sicht sinnvoller), dass der Reporter bereits vor Ort eine erste Kontrolle des generierten Textes vollzieht, bevor er ihn für die Übermittlung freigibt." (Timo Grossenbacher, Head of Newsroom Automation, Tamedia)

2. Social Media

Prognose: Social-Media-Teams sind geradezu prädestiniert für den Einsatz von KI. Schon jetzt helfen etwa einschlägige Tools bei der Moderation von Community-Beiträgen und filtern beleidigende oder diskriminierende Postings. Realistische Szenarien für die (nahe) Zukunft: Die KI schlägt für jeden Artikel in Sekundenschnelle mehrere Teaser vor, individuell für die diversen Kanäle aufbereitet, im entsprechenden Stil der Publikation und optimiert auf individuelle Zielgruppen. Gefallen die Vorschläge, reicht ein Klick, und die Postings sind abgesetzt (dass das ohne Weiteres auch ohne menschliches Zutun passieren könnte, wird noch zu einigen Diskussionen in Redaktionen führen).

Experten-Meinung: „Das klingt wie autonomes Fahren für Social-Media-Redaktionen. Damit die Fahrt nicht wild wird, braucht es verantwortungsvolle Menschen, die sie sicher machen. Anpassungsfähigkeit ist eine der Grundkompetenzen unserer Teams. Social Media lebt vom Wandel, speist sich aus Trends. Wenn eine KI in den Kommentaren strafrechtlich Relevantes erkennt, löscht und anschließend sogar Anzeige erstattet, bin ich die Erste, die ihr einen Job anbietet – im Team natürlich. Mir fällt eine Reihe von Möglichkeiten ein, wie wir die gewonnene Zeit nutzen können: Warum nicht alle Videos auch barrierefrei oder in leichter Sprache anbieten? Mit KI könnten die Mundbewegungen passend zur Sprache synchronisiert werden. So würden Menschen mit Einschränkungen im Hörvermögen Lippen lesen können. Und was ist mit unserem Personal in der Redaktion? Das könnte all die wunderbaren Assistenzsysteme nutzen. Um noch mal beim selbstfahrenden Auto zu bleiben. Nur, weil ich nicht selbst lenke, heißt es ja nicht, dass ich nicht bestimme, wo es langgeht.“ (Daphne Flieger, Head of Content bei ZDF Digital)

[...] 4. Newsletter

Prognose: Vor Jahren waren sie schon mal totgesagt, von vielen „Experten“ als längst nicht mehr zeitgemäßes Format und potenzielle Belästigung in Mailboxen abgeschrieben. Und heute? Keine Redaktion kommt ohne Newsletter aus, jede Publikation hat für ihre Leserinnen und Leser Dutzende Varianten parat. Newsletter haben sich zu einem der wichtigsten Marketing-Tools für Medieninhalte entwickelt. In Zukunft werden es nicht weniger werden. KI-Tools werden fast den gesamten Produktionsprozess für Newsletter automatisieren. Lediglich für den letzten Check des Inhalts vor dem Versand sollte noch menschliches Zutun notwendig sein, aber selbst dabei ist zu erwarten, dass im Lauf der Zeit die Hemmungen in manchen Medienhäusern fallen werden.

Experten-Meinung: Die These teile ich nicht. Für uns erfüllen Newsletter mehrere Aufgaben, entsprechend werden sie unterschiedlich erstellt. Es gibt automatisierte E-Mails mit den wichtigsten Meldungen aus den Ressorts und aus den Lokalausgaben. Diese Newsletter können mit KI-Tools optimiert und auf die Leserbedürfnisse zugeschnitten werden. Es gibt aber auch die anderen, für uns wesentlich wichtigeren Newsletter, die persönlich verfasst werden. Sie sind mehr als eine Linkansammlung (...) und bieten einen Blick hinter die Kulissen. Diese Newsletter sind im Dialog mit den Lesern und Leserinnen ein wichtiger Bestandteil des persönlichen Austauschs. Das lässt sich nicht von einer KI schreiben – es wäre eine Geringschätzung den Lesern gegenüber, dies zu tun. Einen Einsatzbereich für KI sehe ich auch bei den personalisierten Newslettern: Unterstützung bei der Audience-Treffsicherheit. Es gilt, die zu erreichen, die erreicht werden wollen, und nicht jene, die sich durch zu viele Newsletter belästigt fühlen. Der Grat beim Thema Newsletter zwischen Mehrwert und Spam ist ein schmaler. Newsletter müssen sich exklusiv, wie ein persönlicher Brief, anfühlen – das tun sie häufig nicht. (Susanne Dickstein, Chefredakteurin, „Oberösterreichische Nachrichten“)

Lesen Sie die Prognosen und Experten-Meinungen zu den Feldern Video, Foto und Grafik im KI-Spezial von kress pro. Prognosen und Umfrage: Marcus Hebein, Georg Taitl und Alexander Graf.

Die Top-Themen in kress pro 6 /2023: 

  • Die besten digitalen Tools und Dienstleister: Die Ergebnisse der großen „kress pro“-Umfrage. Plus: Welche Tipps Digitalprofis wie Beuth-Verlagschef Dominik Grau geben, um gute Anbieter zu finden.
  • Digitalvertrieb: Funke setzt auf personalisierte E-Paper, die RP auf Apps, die Main-Post auf bessere KPIs.
  • In Erinnerung an Günther Kress (1929–2023)

Einmal am Tag: Exklusive Storys, Personalien, Debatten & Jobs in unserem kressexpress. Jetzt unseren kostenlosen Newsletter bestellen - und nichts mehr aus der Welt des Publishing verpassen!

kress pro 2023#07

Welche Inhalte Digitalabos bringen

Wie Chefredakteur Jens Ostrowski mit den „Ruhr Nachrichten“ weiter bei den Plus-Abos wächst. Dazu die neuesten Erkenntnisse des Datenprojekts Drive, in dem Zeitungen ihre Paid-Erfahrungen austauschen.

Mehr zum Thema

Die wichtigsten Nachrichten aus der Medienbranche — ein Mal am Tag als Newsletter direkt in Ihr Postfach.