"Der Fall Aiwanger“ war das Thema beim ARD-Talk "Anne Will" am Sonntagabend. Dabei stellte sich SZ-Chefreporter Roman Deininger der Kritik. In einem Spiegel-Leitartikel gibt auch Chefredakteur Dirk Kurbjuweit Fehler in den Medien zu.
Marc Bartl | 11. September 2023 um 13:38
Roman Deininger (Foto: Süddeutsche Zeitung)
Anne Will hat sich in ihrer ersten Sendung nach der Sommerpause mit der Causa Aiwanger befasst. Unter den Gästen war auch Roman Deininger, der Chefreporter der SZ. Die Süddeutsche hatte Ende August über den Verdacht berichtet, dass der Schüler Hubert Aiwanger in den Achtzigerjahren "Urheber" eines antisemitischen Flugblatts gewesen sei - und damit eine Debatte ins Rollen gebracht.
Bei Anne Will hat sich Roman Deininger nun zu dem höchst umstrittenen SZ-Artikel geäußert. In Bezug auf den Politiker Hubert Aiwanger (Freie Wähler) stellte Deininger zunächst klar, dass dieser nie mit Antisemitismus aufgefallen sei "Was den Antisemitismus angeht, führt keine direkte Linie von der Schulzeit Hubert Aiwangers zu der Erdinger Kundgebung, bei der er mit dem Satz aufgefallen ist, dass die schweigende Mehrheit sich die Demokratie zurückholt. Es führt aber durchaus eine direkte Linie von seiner Reaktion auf das Flugblatt jetzt zu dieser Erdinger Rede.“ Deininger betonte dabei, Aiwanger habe die demokratische Reife vermissen lassen: "Den 17-Jährigen müssen wir mit Milde betrachten, den 52-Jährigen muss man streng beurteilen." In der Vergangenheit habe er Aiwanger oft gegen Vorwürfe verteidigt. Aber: „Wenn wir jetzt sagen würden: Der Hubert Aiwanger meint das nicht so, da müssen wir jetzt nicht so genau sein, dann normalisieren wir Dinge, die wir nicht normalisieren sollten in diesem Land.“
Dann stellte sich der SZ-Top-Journalist der Kritik an seiner Zeitung: "Die Kollegen haben, was die Recherche angeht, sauber gearbeitet.“ Auch bestehe öffentliches Interesse „an Dingen, die jemand in einem hohen Staatsamt auch vor langer Zeit getan hat“. Gute Journalisten folgten keiner Agenda, sondern bemühten sich darum, Dinge ans Licht zu bringen, die ans Licht gehörten, bekräftigte Deininger. Laut ihm sind rund 20 Quellen aus Aiwangers Umfeld befragt worden.
Deininger räumte explizit Fehler ein (zum Video):
„Wir haben in einem von vielen Artikeln, aber in einem prominenten am Anfang in der Tonalität danebengelegen. Wir haben den Eindruck erweckt, wir würden nicht mit maximaler Fairness gegenüber Hubert Aiwanger agieren. Das war unser Fehler. Das bedauern wir am meisten.“
Aiwangers Parteikollege Florian Streibl bemerkte bei Anne Will: „Es gab Medien, die diese Information auch hatten und nichts geschrieben haben. Man hätte es zu einem anderen Zeitpunkt bringen können – wir befinden uns in einem Wahlgang.“ Roman Deininger antwortete darauf: „Dass in einer Kampagne die Freien Wähler geschwächt und die Grünen vorgeschoben werden sollten, ist einfach ein Schmarrn.“
Seinen Leitartikel im aktuellen Spiegel widmet auch Chefredakteur Dirk Kurbjuweit der Aiwanger-Affäre:
Mit "Die AfD lacht schallend" überschreibt Kurbjuweit seinen Kommentar. Darin heißt es u.a.: "Aiwanger erklärt sich zum Opfer der Medien, und viele Bürgerinnen und Bürger glauben ihm. Dabei tut er genau das, was er Medien unterstellt. Er will nicht informieren und aufklären über das, was damals geschah, er will zerstören – das Vertrauen in Journalistinnen und Journalisten."
Natürlich müssten sich die Medien selbst um das Vertrauen der Leserschaft bemühen, weiß Kurbjuweit. Aus seiner Sicht hat die Süddeutsche Zeitung zu Beginn ihrer Berichterstattung über Aiwanger Fehler gemacht, aber das sei kein Grund, ihr eine Kampagne und damit Zerstörungswut zu unterstellen, schon gar nicht eine konzertierte Aktion mehrerer Medien.
Kurbjuweit gibt zu:
"Auch der Spiegel war und ist nicht frei von Fehlern. Der Fall Relotius beschämt uns noch immer. Wir haben daraus gelernt, was nicht heißt, dass wir keine Fehler mehr machen. Aber wir geben uns größte Mühe, sie zu vermeiden, das können wir versprechen. Und natürlich haben wir Meinungen, wie man an diesem Leitartikel sieht. Über allem jedoch steht unser Informations- und Aufklärungsinteresse."
Zur Person: Roman Deininger ist Chefreporter der SZ. Geboren und aufgewachsen in Ingolstadt, dort freie Mitarbeit beim "Donaukurier". Politik- und Theaterstudium in München, Wien und New Orleans. Dissertation über das Verhältnis von Politik und Religion in den USA. Seit 2007 bei der SZ: erst Volontär, dann Korrespondent für Franken, Korrespondent für Baden-Württemberg und politischer Reporter für Seite Drei und Buch Zwei.
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