Der kress-Jahresrückblick, Teil sechs: Werbung wandert vom TV ins Internet.

Der kress-Jahresrückblick, Teil sechs:

Die Digital-Branche -
Werbung wandert vom TV ins Internet

Es war das Jahr der flimmernden Bilder im Internet. Selbst dem kleinsten Provinzangebot ist mittlerweile klar, dass es ohne Bewegtbild nicht mehr geht. Mit den Videos kamen die Video-Ads – und eine neue Erlösquelle, die große Fantasien freisetzte. Eine Vervierfachung des Markts verzeichnete Nielsen Media Research – natürlich auch deshalb, weil das Wachstum von niedrigem Niveau ausging. Der Trend des Jahres brachte eine neue Art von Vermarkter hervor, die sich ausschließlich um Video-Ads kümmert. Allen voran smartclip und Tremor Media. Jean-Pierre Fumagalli (Foto) und Roland Schaber, beide Ex-Vertriebsleiter von Lycos Europe, riefen im März smartclip ins Leben, um Video-Ads eine höhere Reichweite über klassische Anbietergrenzen hinweg zu verschaffen. "Wir haben gemerkt: Die Anforderungen sind so speziell – entweder macht man es ganz oder gar nicht“, so Fumagalli. Internet- Unternehmer Thomas Falk stieg mit seiner eValue AG als Gesellschafter ein. Innerhalb weniger Monate hatte smartclip ein Netzwerk von 400 Websites mit über 100 Mio Video-Views pro Monat beisammen – rund ein Drittel des professionellen Bewegtbildmarkts. Lesen Sie nach dem Umblättern den Ausbau des Jahres, die Schließung des Jahres, den Wechsel des Jahres und den Verlierer des Jahres.

Marc Bartl | 31. Dezember 2008 um 12:00

Der kress-Jahresrückblick, Teil sechs:

Die Digital-Branche -
Werbung wandert vom TV ins Internet

Es war das Jahr der flimmernden Bilder im Internet. Selbst dem kleinsten Provinzangebot ist mittlerweile klar, dass es ohne Bewegtbild nicht mehr geht. Mit den Videos kamen die Video-Ads – und eine neue Erlösquelle, die große Fantasien freisetzte. Eine Vervierfachung des Markts verzeichnete Nielsen Media Research – natürlich auch deshalb, weil das Wachstum von niedrigem Niveau ausging. Der Trend des Jahres brachte eine neue Art von Vermarkter hervor, die sich ausschließlich um Video-Ads kümmert. Allen voran smartclip und Tremor Media. Jean-Pierre Fumagalli (Foto) und Roland Schaber, beide Ex-Vertriebsleiter von Lycos Europe, riefen im März smartclip ins Leben, um Video-Ads eine höhere Reichweite über klassische Anbietergrenzen hinweg zu verschaffen. "Wir haben gemerkt: Die Anforderungen sind so speziell – entweder macht man es ganz oder gar nicht“, so Fumagalli. Internet-Unternehmer Thomas Falk stieg mit seiner eValue AG als Gesellschafter ein. Innerhalb weniger Monate hatte smartclip ein Netzwerk von 400 Websites mit über 100 Mio Video-Views pro Monat beisammen – rund ein Drittel des professionellen Bewegtbildmarkts, inklusive Sites von Axel Springer, Bauer, Burda, Gruner + Jahr, EM.Sport Media oder RTL interactive. In den meisten Fällen ist smartclip exklusiver Zweitvermarkter. Für den jeweiligen Publisher heißt das, dass die Netzwerkbuchungen zur eigenen Video-Vermarktung hinzukommen und so die Auslastung des verfügbaren Inventars erheblich steigern können.

 

Ganz ähnlich geht Tremor Media vor, in den USA schon eine Größe, in Europa seit Juli in den Startlöchern. Christian Baudis als CEO, Jörg Blumtritt als COO und Stephan Boos als Deutschland-Chef bauen das Geschäft von München aus auf. Die Samwer-Brüder sind mit ihrem European Founders Fund eingestiegen. Im Heimatmarkt USA kommt Tremor bereits auf 1.400 Publisher mit über einer Mrd Video-Views pro Monat und wird gebucht wie ein TV-Sender. "Zum ersten Mal verschieben sich Werbebudgets vom Fernsehen ins Internet“, so Baudis. Diesen Trend schauen sich die Sender natürlich nicht tatenlos an. RTL und ProSiebenSat.1 haben sowohl ihr Video-on-Demand-Angebot als auch die entsprechenden Vermarktungsbemühungen kräftig ausgebaut. Noch ist reichlich Überzeugungsarbeit zu leisten, um TV-Kunden auch für Pre-, Mid- oder Post-Roll-Ads zu gewinnen. Derweil sprießt Fernsehen im Web an allen möglichen Stellen aus dem Boden. MySpace Deutschland ließ von MME die Soap "They Call Us Candy Girls“ produzieren, studiVZ von Grundy UFA die "Pietshow“. Microsoft startete mit MSN Movies Ende November eine Gratis-Videothek, die sich allein aus Werbeunterbrechungen finanzieren soll.

 

Ausbau des Jahres

 

Den Bewegtbild-Trend beherzigte auch der Ausbau des Jahres bei "Bild.de“. Nach der Trennung vom früheren Joint-Venture-Partner Telekom vernetzte Springers Boulevard-Flaggschiff konsequent Print und Online. In der neuen Heimat Berlin zogen Blattmacher und Onliner einträchtig am "Balken“ im "Bild“-Produktionsraum zusammen. Nach und nach erfolgen Planung und Recherche in den einzelnen Ressorts gemeinsam ohne räumliche Trennung. Das Video-Angebot ist förmlich explodiert. Auch die Nutzer sollen verstärkt Videos beisteuern, so wie sie es mit Fotos über die "Leser- Reporter“-Nummer 1414 schon tun. Seit Anfang Dezember sind in 3.000 Lidl-Filialen 2Bild.de“-Kameras für 70 Euro erhältlich, die einen einfachen Video-Upload per USB-Anschluss ermöglichen. "Mein Ziel für die nächsten drei Jahre ist nicht nur die Marktführerschaft, sondern redaktionsintern auch eine Veränderung im Selbstverständnis“, so "Bild“-Chefredakteur und Bilddigital-Geschäftsführer Kai Diekmann: "Statt ‚Ich arbeite on- oder offline‘ künftig ‚Ich arbeite für die Marke Bild‘“.

 

Schließung des Jahres 

 

Die Schließung des Jahres hat Lycos Europe vollzogen. Bereits im April meldeten die Großaktionäre Bertelsmann und Telefónica eine "strategische Überprüfung der Unternehmensaufstellung“. Vor dem Hintergrund der Marktkonsolidierung suche man nach neuen Partnern für das Portal in den roten Zahlen. Die beauftragte Investmentbank sollte eine Lösung ohne Aufspaltung des Konzerns finden. Fand sie aber nicht. Nach noch mehr Verlusten in der Halbjahresbilanz beantragte Telefónica eine gerichtliche Untersuchung der Unternehmenspolitik und des Geschäftsgebarens – ein klarer Angriff auf Miteigner Bertelsmann und Lycos-CEO Christoph Mohn, Sohn des Bertelsmann-Patriarchen Reinhard Mohn. Im November schließlich beschlossen Vorstand und Aufsichtsrat, das Domain- und Shopping-Geschäft sowie das dänische Lycos-Portal zu verkaufen, das unprofitable Webhostingund Portalgeschäft inklusive Sales ganz zu schließen. 500 von 700 Mitarbeitern verlieren dadurch ihren Job. Ein vollständiger Verkauf des Unternehmens biete keine vertretbare Perspektive mehr, so Mohn. Zum Jahresende entbrannte noch ein Streit über die fälligen Ausschüttungen verbliebener liquider Mittel an die Aktionäre.

 

Wechsel des Jahres

 

Den Wechsel des Jahres beschloss die Online-Marketing-Branche. Nach neun Jahren OMD in Düsseldorf verlagert sich das Gewicht ab 2009 rheinaufwärts nach Köln. Die dortige Messe und die dmexco – kurz für „Digital Marketing Exposition & Conference“ – sind die neuen Partner des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Nicht alle wollten das auf Anhieb wahrhaben. Angesichts von 380 Ausstellern und 20.000 Besuchern bei der letzten OMD in alter Form gab sich der Düsseldorfer Messeveranstalter Igedo siegesgewiss und veröffentlichte gleich schon mal alle OMD-Termine bis 2013. Dabei ist für die großen Vermarkter klar, dass aus Zeit- und Budgetgründen nur eine Messe in Frage kommt. Auf dem Kölner Neubeginn liegen ihre großen Hoffnungen. Andere Hoffnungen mussten dagegen im Laufe von 2008 beerdigt werden.

 

Verlierer des Jahres

 

Handy-TV wurde zum Verlierer des Jahres – jedenfalls für diejenigen, die auf den Übertragungsstandard DVB-H gesetzt hatten. Im Januar erhielt Mobile 3.0 von den Landesmedienanstalten die Lizenz für den Sendebetrieb – ein Konsortium, dem MFD, Burda und Holtzbrinck angehörten. Über einen bescheidenen Testbetrieb im Sommer kam Mobile 3.0 nicht hinaus. Die Landesmedienanstalten widerriefen die Lizenz, das Konsortium gab Ende Oktober auf. Es habe an innovativen Formaten bei der Belegung des Frequenzspektrums gefehlt, so der DLM-Vorsitzende Thomas Langheinrich. Zuvor hatten bereits Mobilfunkbetreiber wie Vodafone, die als DVB-H-Plattformbetreiber nicht zum Zuge gekommen waren, DVB-T-fähige Handys auf den Markt gebracht. Deren Vorteil: In guter Qualität können die Programme frei empfangen werden, wie mit dem DVB-T-Receiver daheim.

Torsten Zarges

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