kress analysiert die Hintergründe: Sat.1 will wieder Familiensender sein

 

Sat.1 will sich mit der neuen Freitagabendshow "Die perfekte Minute" (kress.de vom 9. März 2010), deutschen Serien am Montag und Verbesserungen bei Johannes B. Kerner und Oliver Pocher als Familiensender wiederbeleben. Während der Sender im vergangenen Jahr bei einem Marktanteil von 10,8% stagnierte, peilt er für dieses Jahr trotzt Fußball-WM mindestens 11% an. Mittelfristig gilt die 12%-Marke als Ziel.

Gute Nachrichten sind selten bei ProSiebenSat.1. Umso mehr freute sich kürzlich Thomas Ebeling, Chef des TV-Konzerns, bei der Präsentation der Jahresbilanz: Die Sendergruppe hat ihren Jahresüberschuss nach Steuern auf 145 Mio. gesteigert – im Vorjahr 2008 hatte sie einen Verlust in Höhe von 129 Mio. Euro erlitten. Für die erfreuliche Entwicklung waren der strikte Sparkurs und das wieder anziehende Werbegeschäft verantwortlich.

Doch lang wird Ebelings Freude nicht anhalten – zu viele Baustellen belasten den Konzern. Da ist zuvorderst der hohe Schuldenstand in Höhe von mehr als 3 Mrd. Euro. Der Nachrichtensender N24 kostet den Konzern einen hohen zweistelligen Mio.-Betrag, erzielt aber nur dürftige Marktanteile und Werbeumsätze. Und der neue Frauenkanal Sixx kostet erst mal Geld – mit ungewisser Perspektive. Auch in den Programmen der ProSiebenSat.1-Sender liegt einiges im Argen. Während der Rivale RTL in der zweiten Jahreshälfte 2009 von einem Quoten-Rekord zum nächsten geeilt ist, stagnieren Sat.1 und ProSieben. Nur der kleine Bruder kabel eins konnte sich verbessern.

Sat.1 hat bei den Marktanteilen gerade mal das Vorjahresergebnis erreicht und dies hauptsächlich den teuer eingekauften Fußball-Rechten zu verdanken – die aber andererseits eine verlässliche Programmierung am Mittwochabend unmöglich machen. Andere Neuverpflichtungen wie Johannes B. Kerner und Oliver Pocher haben sich dagegen als Rohrkrepierer erwiesen. Einmal mehr geriet Sat.1 mit seinem unklaren Senderprofil in die Klemme zwischen der Schwester ProSieben und dem Rivalen RTL. Die Kölner konnten 2009 in der wichtigen, weil umsatzstarken Primetime deutlich mehr Boden gutmachen als Sat.1. Zwischen 13 und 17 Uhr hat Sat.1 schmerzliche Verluste erlitten. Nur am Vorabend (17 bis 20 Uhr) konnte Sat.1 stärker zulegen als RTL. Nach Wochentagen hat sich Sat.1 in der Primetime mittwochs, donnerstags und sonntags am stärksten verbessert, während die Marktanteile am Montag mit seinen häufigen Formatwechseln und am Samstag rückläufig sind. ProSieben steigert sich am stärksten mit Spielfilmen in der sonntäglichen Primetime, während freitags fast ein Marktanteilspunkt verloren ging. Auch ProSieben konnte 2009 nur am Vorabend stärker wachsen als RTL – und muss zwischen 13 und 17 Uhr den Kölnern das Feld überlassen.

Die größte Baustelle liegt für Andreas Bartl, Chef der German Free TV und als Nachfolger von Guido Bolten auch von Sat.1, bei eben jenem Sat.1. Weil der Sender die klare Linie aus den Augen verloren hat und sein Profil immer mehr verwässerte, will Bartl jetzt an alte, erfolgreiche Zeiten anknüpfen. Die Zuschauer sollen wieder ein Programm für die ganze Familie mit deutschen Eigenproduktionen geboten bekommen, die Kunden eine größere Zuverlässigkeit bei der Programmplanung. Während der Sender im vergangenen Jahr bei 10,8 % stagnierte, peilt er für dieses Jahr mindestens 11 % an, mittelfristig hatte Guido Bolten im vergangenen Jahr gar die 12%-Marke als Ziel definiert. Da muss Bartl ganz schön ranklotzen.

Eines der ersten sichtbaren Zeichen der Rückbesinnung auf alte Zeiten dürfte im späten Frühjahr am Montagabend zu besichtigen sein: Dann will Sat.1 mit den beiden bereits 2008 angekündigten eigenproduzierten Serien "Danni Lowinski" und "Der letzte Bulle" einen neuen deutschen Serienabend zur Primetime begründen. Annette Frier spielt in "Danny Lowinski" eine Ex-Friseurin, die in Berlin eine kleine, bescheidene Anwaltskanzlei eröffnet. Henning Baum gibt in "Der letzte Bulle" einen Polizisten, der nach 20 Jahren aus dem Koma aufwacht. Da er nach einer so langen Zeit nicht mehr ganz up to date ist, muss er sich beruflich und privat auf viel Neues einstellen.

Die freitägliche Primetime, 2009 mit einem Verlust von 0,9 Prozentpunkten ein Sorgenkind von Sat.1, will der Sender vom 30. April an mit der neuen Game-Show "Die perfekte Minute" wiederbeleben. In der Show präsentiert Ulla Kock am Brink Kandidaten in einfachen, aber nervenaufreibenden Geschicklichkeitsspielen beweisen, die sie zuvor zu Hause üben dürfen – und die jeder Zuschauer auch selbst ausprobieren kann, weil dafür nur Gegenstände nötig sind, die in jedem Haushalt verfügbar sind. Der Kandidat erfährt allerdings erst in der Show, welche zehn der 30 von ihm eingeübten Spiele drankommen. So muss er z.B. eine Toilettenpapier-Rolle mit seinem Körper aufrollen oder einen Tischtennisball, der auf einer geöffneten Flasche liegt, gefühlvoll in eine daneben stehende Tasse pusten. Der Schwierigkeitsgrad der Aufgaben steigt von Spiel zu Spiel, für das der Kandidat jeweils nur eine Minute Zeit hat. Dem Gewinner winken 250.000 Euro.

Vorrangiges Ziel Bartls muss es zudem sein, die beiden prestigeträchtigen Verpflichtungen Kerner und Pocher in den Griff zu bekommen. Trotz schneller Verschiebung auf den Donnerstagabend nach desaströsen 6 % Marktanteil erfüllt Kerners Talk mit zwischenzeitlich weniger als 9 % Marktanteil längst nicht die Erwartungen. Zumindest kulminierte der leichte Aufwärtstrend kürzlich in einem Quotenrekord: Im Fahrwasser des Hauptabendfilms gelang Kerner ein Marktanteil von 13,4 %. Kerner soll dieses Niveau im Frühjahr öfter erreichen, indem er noch konsequenter aus seinen Gesprächspartnern persönliche und emotionale Geschichten herauskitzelt. Am Nachmittag wappnet sich Sat.1 derzeit besonders mit Scripted-Reality-Formaten. Nach dem Test von "Schicksale – und plötzlich ist alles anders" sind weitere Dokus in Vorbereitung: "Geheimnisse – Ich lebe mit einer Lüge", in der Menschen z.B. ihre lange verschwiegene Affäre beichten, sowie "Die Sache mit der Liebe", die zeigt, wie Paare ihre Belastungsproben im täglichen Leben meistern.

Bartl steht jetzt doppelt unter Erfolgsdruck. Die Fußball-WM wird das Zuschauergefüge gehörig durcheinanderwirbeln. Gegen die Olympischen Spiele ist Sat.1 mit einem Marktanteilsverlust von 0,2 Prozentpunkten noch glimpflich davongekommen. ProSieben hat 0,6 Prozentpunkte verloren. Mit Preissenkungen und Rabatten als Ausgleich für nicht erreichte Leistungswerte muss er den Sport-Übertragungen Paroli bieten. So haben die drei Münchner Sender während der Olympischen Spiele in den Abend- und Nachtstunden ihre Preise je nach Attraktivität der Wettbewerbe um 10 bis 50 % gesenkt. Bei der Fußball-WM bekommen die Kunden Freispots, wenn ihre Werbung wegen eines parallel übertragenen Spiels ein Limit beim TKP übersteigt.

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