Zu den schönen Angewohnheiten der Regenbogenboa Talyn gehört es, sich gelegentlich malerisch um ein Treppengeländer zu wickeln. Ihr stolzer Eigentümer veröffentlichte unter seinem Nutzernamen "ChondroDoc" im Juni 2005 im "Schlangenforum.ch" ein Foto, das Talyn bei dieser Leibesübung zeigt.
Der Schweizer staunt nicht schlecht, als er seinem Foto fünf Jahre später wiederbegegnet: Die Nachrichten-Website "news.de" hat damit den Bericht über eine in Schwerin entwischte Schlange illustriert. Noch eine Überraschung: Das Bild ist mit dem Hinweis "Foto: dpa" versehen.
Die Regeln von "Schlangenforum.ch" sehen vor, dass die Autoren das Urheberrecht an Beiträgen behalten, "welche in unser System eingestellt werden". "ChondroDoc" hat indes nie der Verwendung des Fotos außerhalb des Forums zugestimmt. Sollte sich womöglich die sonst so auf Wahrung von Urheberrechten bedachte dpa dort kurzerhand ohne Genehmigung bedient haben?
dpa-Sprecher Justus Demmer winkt gleich ab: Das Bild der Schlange sei der Nachrichtenagentur im September 2009 von der Polizei Kempten zur Verfügung gestellt worden. Sie habe damit die Meldung über eine in Immenstadt entwischte Regenbogenboa illustriert. Das Bild wanderte daraufhin ins dpa-Archiv. Wenn es "angemessen und sinnvoll" erscheine, verwende die Agentur Fotos weiter, die auf einem solchen Weg zu ihr gelangt seien, sagt Demmer. "Wir sind bislang aber auch nicht auf die Idee gekommen, das Handouts aus offiziellen/professionellen Quellen nicht rechtefrei sein könnten."
kress recherchiert knallhart weiter - und tatsächlich: Die Polizeimeldung aus dem vergangenen Jahr, Ursprung der dpa-Meldung, und das damals beigefügte Foto des Anstoßes finden sich noch immer auf der Website der bayerischen Polizei. Haben die Beamten aus dem Allgäu das Bild etwa - nun ja - geklaut, um das Aussehen der Immenstädter Schlange zu veranschaulichen?
Anruf bei der Polizei in Kempten: Ein Sprecher beteuert, das Foto der Regenbogenboa habe nicht etwa ein übereifriger Beamter aus dem Web geklaubt, sondern jener Immenstädter zur Verfügung gestellt, dessen Tier im September 2009 ausgebüchst war. Man sei damals davon ausgegangen, dass darauf die entflohene Boa selbst zu sehen sei, sagt der Sprecher. Die Polizeimeldung und das falsch deklarierte Foto verschwinden kurz nach dem Telefonat mit kress von der Website der Polizei. Das wurde aber auch Zeit: Die Immenstädter Boa befindet sich längst wieder im heimischen Terrarium.
Bleibt die juristische Frage zu klären: Hat sich die Polizei etwas zuschulden kommen lassen, obwohl sie offenbar davon ausging, dass das Foto vom Eigentümer der Immenstädter Boa stammt? Entscheidend sei, aus welchem Grund die Polizei das Foto der Pressemitteilung beigefügt habe, erklärt Ralph Oliver Graef, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht (Graef Rechtsanwälte) aus Hamburg. "Wenn es sich um eine reine 'Bebilderung' der Pressemitteilung handelt, handelte die Polizei rechtswidrig." Ihr "Erlaubnistatbestandsirrtum" lasse die Rechtswidrigkeit nicht entfallen, habe allerdings Auswirkungen auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch.
Rechtlich anders ist die Lage laut Graef zu beurteilen, wenn die Polizei das Foto in Form eines "Steckbriefes" verwendet. "Ziel der Vervielfältigung ist es nämlich dann, in Form des Steckbriefs diese abgebildete Schlange zu finden und der öffentlichen Sicherheit damit zu dienen." Auch in diesem Fall wäre die Polizei aber dazu verpflichtet gewesen, das Bild mit einer Quellenangabe zu versehen.
Während die Polizei in Bayern das Foto schnell von ihrer Website tilgte, ist "news.de" bislang untätig geblieben - obwohl "ChondroDoc" via Mail von den Betreibern der Website verlangt hat, "dass Sie mein Bild sofort von Ihrer Seite entfernen". Der Schweizer ist nicht nur über den Umgang mit Urheberrechten erbost, ihn ärgert auch die "Inkompetenz" der "news.de"-Leute. In dem Bericht aus Schwerin, den sie mit Talyns Foto versahen, geht es nämlich nicht etwa um eine flüchtige Regenbogenboa (Epicrates cenchria), sondern um eine Abgottschlange (Boa Constrictor).
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