Gastbeitrag von Werner Lauff - Teil 1: Das Medienjahr 2011 - Wetten ohne Fundament

28.12.2010
 
 

2010, in der Phase der Erholung, bot sich den Medien die Chance, auf neuer Basis alte Stärke anzustreben und vorsichtig in weitere Geschäftsfelder zu expandieren. Beides ist den deutschen Medienunternehmen erstaunlich gut gelungen; viele haben die Chance der Krise gut genutzt. Doch manches, was seit langem der Klärung bedarf, ist noch immer unklar. Wir tragen ein Bündel grundlegender Fragen vor uns her und transferieren sie, unerledigt, ins Medienjahr 2011.

Besonders schlechte und besonders gute Zeiten haben eins gemeinsam: Sie binden Kapazität. 2009, in der Krise, kam es bei gedruckten und elektronischen Medien vorrangig darauf an, strukturelle Schwächen zu beseitigen und die Auswirkungen der Erlöseinbrüche im Werbemarkt mittels Kostensenkungen zu mildern. 2010, in der Phase der Erholung, bot sich die Chance, auf neuer Basis alte Stärke anzustreben und vorsichtig in weitere Geschäftsfelder zu expandieren.

Beides ist den deutschen Medienunternehmen erstaunlich gut gelungen; viele haben die Chance der Krise gut genutzt. Doch diese Achterbahnfahrt erforderte eine Menge Arbeit und Einsatz der handelnden Personen. Das hat dazu geführt, dass manches, was seit langem der Klärung bedarf, noch immer unklar ist. Wir tragen ein Bündel grundlegender Fragen vor uns her und transferieren sie, unerledigt, ins Medienjahr 2011.  

Wette ohne Fundament

Die vielleicht elementarste dieser Fragen hat sich im Laufe der Entwicklung des Fernsehens immer wieder gestellt. Weil bislang alles gutgegangen ist, bekam sie aber erst zum Jahresende 2010 auf tragische Weise Gewicht. Anlass ist der Unfall von Samuel Koch; er hatte bei "Wetten,  dass..?" in Düsseldorf versucht, mit Sprungfedern über Autos zu springen, die auf ihn zufuhren. Bei einem Smart gelang dies noch, einen über fünf Meter langen Audi A8 aber touchierte er mit dem Kopf. Er wurde schwer verletzt.

Dass das Fernsehen (selber) Ereignisse inszenieren darf, bei denen Menschen verletzt werden oder sogar sterben können, wird nahezu jeder empört verneinen. Stattdessen hören wir, man müsse bei gefährlichen Programmelementen umfassende und noch bessere Sicherheitsvorkehrungen treffen. Aber wie soll das gelingen? Als die Verantwortlichen des ZDF in der Sendung wetten ließen, ob Koch die Sprünge schafft oder ob er scheitert, hatten sie offenbar keine zutreffende Vorstellung davon, wie dieses Scheitern aussehen könnte. Sie verpassten dem Kandidaten Helm und Schutzkleidung, verzichteten aber an den Autos auf schützende Matten. Die seien zwar vorhanden gewesen, hätten bei den Proben jedoch lediglich dazu gedient, bei kleineren Wagen ein höheres Dach zu simulieren, verlautet aus Mainz.

Offenbar sah der "Sicherheitsingenieur", auf den sich das ZDF beruft, einen möglichen negativen Verlauf der Dinge nicht richtig voraus. Das war von ihm auch schwer zu verlangen. Es handelte sich ja nicht um eine etablierte Sportart, bei denen Grenzerweiterungen Schritt für Schritt erfolgen, dazu noch betreut durch versierte Trainer. Und es ging beim Kandidaten ja nicht um einen erfahrenen Artisten, der vorsichtig neue Wagnisse evaluiert und auf jahrelange Expertise zurückgreifen kann. Ganz im Gegenteil: Die Gefahren beim Springen mit Sprungfedern über sich bewegende Autos sind definitiv unerforscht. Die ZDF-Mitarbeiter trafen laienhafte Entscheidungen ohne Wissens- und Erfahrungsfundament. Sie ließen sich auf ein Abenteuer ein. Sie machten mit Samuel Koch, hart formuliert, ein Experiment.

Eine wirksame Lösung könnte darin bestehen, dass die Sender - alle Sender - künftig auf gefährliche Wetten, Wettbewerbe, Herausforderungen und Showacts verzichten, wenn zur Gefahrenabwehr im konkreten Fall nicht genügend Wissen und Erfahrung vorliegt. Ob so oder anders ausgedrückt: Es wäre wünschenswert, dass sich die Verantwortlichen von ARD, ZDF und den privaten Sendern bald darauf verständigen, die Grenze zum Verletzungsrisiko nicht zu überschreiten. Nur dann bleibt der Wettkampf um Reichweite vertretbar und fair.

Dazu muss man keine Sendungen aus dem Programm nehmen, erst recht nicht ein Format, das Millionen Menschen in ihren Bann zieht. Denn nach wie vor sind Wetten aus dem Sportbereich ebenso möglich wie solche mit Kränen, Gabelstaplern und Autos. Nach wie vor können Rekorde erzielt, nach wie vor kann bisher Unerreichtes erreicht werden. Auch künftig kann es ums Höher, Schneller, Weiter gehen. Aber Sender, Moderator, Wettpaten und Zuschauer müssen ab jetzt sicher sein können, dass Spiel und Spaß nicht zu blutigem Ernst werden können.  

Service ohne Aufwand Im Rahmen der Diskussion um "Wetten, dass..?" rufen Kommentatoren auch ins Gedächtnis zurück, dass die Sendung inhaltlich und wirtschaftlich in erheblichem Umfang auf Product Placement beruhe. Viele internationale Künstler kämen nur dann in die Show, wenn ihre Promotion-Agenturen gerade für eine Tournee oder ein neues Album werben wollen. Und immer wieder würden in den Sendungen Marken, Waren und Dienstleistungen ins Bild gerückt - von Samsung bis zur Deutschen Post, von Mercedes bis Audi, von Warsteiner bis Haribo. Oft sehe man genau die Unternehmen bei "Wetten, dass..?", für die Thomas Gottschalk gerade Werbung macht. Dies sei seit Jahren auch den Gremien bekannt. Viele Mitglieder drückten beide Augen zu, weil die Sendung, so sagen sie, anders nicht finanzierbar sei.

Eine solche Argumentation verdeutlicht erneut, dass Rundfunkräte bei weitem nicht die besten denkbaren Kontrolleure für die Einhaltung der gesetzlichen Regelungen sind, die für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gelten. Sie haben in dieser Frage nämlich eigentlich keinen Ermessensspielraum: Was das ZDF da offenbar seit vielen Jahren macht, darf es nicht tun. Dies haben die Länder mit dem im April 2010 in Kraft getretenen 13. Rundfunkänderungsstaatsvertrag noch einmal kräftig unterstrichen. Dort ist geregelt, dass Product Placement in Eigen- und Auftragsproduktionen nur im privaten Fernsehen erlaubt ist, und auch dort nur, wenn in der Sendung eine Kennzeichnung erfolgt.

Wer in Sachen "Wetten, dass..?" dazu tendiert, das möglicherweise Illegale als legitim anzusehen, sollte daran denken, welche Wirkung dies auf die privaten Medien hat. Private Fernsehsender werden, wenn die Praxis des ZDF fortgesetzt wird, kaum einsehen, wieso sie einer Kennzeichnungspflicht unterliegen. Und bei Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen droht der ohnehin nur mühsam aufgebaute Konsens zur Schleichwerbung in Gefahr zu geraten. Nach der Spruchpraxis des Deutschen Presserates ist die Berichterstattung über Produkte und Dienstleistungen zwar grundsätzlich zulässig. Sie darf aber erstens nicht anpreisend sein, zweitens keine konkrete Bezugsquelle nennen, drittens nicht mit Geld oder einem geldwerten Vorteil vergütet werden und muss viertens ohne Preisangabe erfolgen (wobei hier Ausnahmen gelten, wenn es um einen Preis-Leistungsvergleich geht oder um einen "Preisbrecher in einem umkämpften Massenmarkt").

Mühsam aufgebaut ist der Konsens deswegen, weil immer wieder Redakteure argumentieren, es gebe ein öffentliches Interesse, mindestens aber ein Leserinteresse an der Berichterstattung - und letztlich sei es doch ein nützlicher Service, den man da leiste, wenn man Waren oder Händler konkret benenne. Da hat es schon viele Diskussionen gegeben, bei denen sich der hehre Grundsätze vertretende Presserat und mancher aus der täglichen Praxis kommende Redaktionsleiter verständnislos gegenübersaßen.

Doch wer ehrlich ist, muss zugeben, dass der Presserat ohnehin nur die Spitze des Eisbergs erkennbar macht. Besonders bei manchen Publikums- und Fachzeitschriften sind "Kooperationen" zwischen der Redaktion und Agenturen sowie Unternehmen gang und gäbe. Da wird allzu oft ein Thema nach vorne gerückt, weil ein Anzeigenauftrag das nahelegt. Da werden Waren positiv beschrieben, preisgünstigere Alternativen aber nicht einmal erwähnt. Da werden PR-Texte verwendet, ohne widersprechende Tests und Bewertungen zu recherchieren. Wer sich dabei auf "Service" beruft, meint Service ohne Aufwand.

Auch das ist in vielen Fällen nicht vorwerfbar: Manche Zeitschrift wird mit erstaunlich geringen Personalkosten erstellt. Und manche Lokalredaktion hat kaum noch Zeit, eigene Leistungen zu erbringen. Dennoch sollten wir die nach wie vor offene Frage beantworten, ob es wirklich hilfreich ist, hier wirtschaftlichen Überlegungen nachzugeben. Geht man davon aus, dass die Zukunftssicherung gedruckter Medien ohnehin voraussetzt, sich von der Fokussierung und Interessenorientierung vieler Web-Inhalte und Unternehmens-Sites abzugrenzen, stellt sich die Frage nach der Ächtung der Schleichwerbung im Jahr 2011 mit besonderer Dringlichkeit.  

Werner Lauff (www.lauff.org)

Lesen Sie morgen, Mittwoch 29. Dezember, auf kress.de Teil 2 des Gastbeitrags von Werner Lauff.

 

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