Der "Spiegel" ist am Montag mit einer Titelgeschichte über "Facebook & Co." erschienen. Der Artikel "Die Unersättlichen - Milliarden-Geschäfte mit privaten Daten" von Manfred Dworschak wurde in der Netz-Gemeinde - wie bei "Spiegel"-Geschichten üblich - hart kritisiert. Die reflexhafte Verteidigung des Netzes gegen seine Kritiker wird nur langsam ermüdend und zu einem Muster ohne Wert.
Was hat der "Spiegel"-Redakteur geschrieben? Dworschak hat auf insgesamt elf Druckseiten die Praktiken der Online-Datensammler geschildert. Natürlich finden sich in dem - vielleicht zu langen - Text etliche dramatische Formulierungen. Da tummeln sich "sinistre Firmen" und etliche "Skrupellose", da wird der Mensch zum "ohnmächtigen Objekt von Neugierigen". Es fallen typische "Spiegel"-Sätze wie: "Es geht zu wie im Goldrausch", "Was für das Schaf die Ohrmarke, ist das Cookie für den Menschen" oder "Das Internet ist ein Zerrspiegel, es betont und vergrößert das Negative."
Vor allem der letzte Satz hat, wenig überraschend, das Potenzial, die Netz-Gemeinde zu erzürnen. Zieht man die "Spiegel"-Polemik ab, beschreibt Dworschak aber lediglich tatsächliche Entwicklungen und Vorgehensweisen von Datensammlern im Netz. Was dem Text anzukreiden ist: Dworschak beherrscht zwar sein Thema, hat auch mit einigen Datenschützern gesprochen, stützt sich aber im Wesentlichen auf Recherchen anderer Medien, allen voran des "Wall Street Journal". Datensammler, also Vertreter beispielsweise von Targeting-Unternehmen, kommen nicht zu Wort - ein großes Manko.
Doch das nur am Rande. Denn der Ärger der Kritiker entlädt sich vor allem am vermeintlich Internet-feindlichen Duktus des Textes, weniger an seinem Inhalt an sich. Allen voran wetterte der Journalist und Blogger Richard Gutjahr gegen die Geschichte. "Eure Doppelmoral kotzt mich an" überschrieb er seinen Blog-Eintrag. Sein Hauptargument wendet sich in erster Linie nicht gegen die Geschichte, zu der er anmerkt, dass der Text für einen "flächendeckenden Missbrauch von Daten" keinen Beweis liefere. Meint er damit, es gebe keinen Missbrauch? Oder nur: keinen "flächendeckenden" Missbrauch? Will er die Problematik z.B. der unerlaubten Weitergabe von Netz-Profilen und Daten an Dritte herunterspielen? Unklar.
Eigentlich richtet sich sein Zorn gegen den Spiegel-Verlag und den Rest der Verlagsbranche. Denn die sammele selber möglichst viele Daten ihrer Leser, um mit ihnen Geschäfte zu machen: "Die Unterwanderung des Datenschutzes hat hier System." Die marktschreierische Kritik etwa an Social Networks sei verlogen, denn die Methoden der Pressehäuser seien selber "perfide".
Ja, es stimmt: Medienunternehmen sammeln wie Internet-Firmen so viele Daten wie möglich über ihre Leser. Sie wollen sie von Online-Nutzern oder Gelegenheitslesern zu Kunden machen und wissen, was sie ihnen anbieten können. Dazu kann man natürlich geteilter Meinung sein. Wie im Netz auch sollte jeder Nutzer weitgehend selber kontrollieren können, wie viel er von und über sich mitteilen möchte. Dworschaks Artikel kritisiert u.a., dass diese Kontrolle zu erodieren droht. Auch in der Print-Welt werden zuweilen zulässige Grenzen überschritten. Wichtig ist, dass Nutzern on- und offline transparent gemacht wird, wann etwas über ihre Profile gesammelt wird. Ein Opt-Out, also die Ablehnung des Daten-Sammelns auf einer Seite, sollte generell immer möglich sein.
Nun aber die Arbeit eines Journalisten wegen der Praktiken seines Arbeitgebers zu kritisieren, ist hanebüchen. Dworschak legt einem Publikum, das mit diesem Thema mehrheitlich kaum vertraut sein dürfte, die Mechanismen von Targeting, Cookies, etc. offen. Folgt man Gutjahr, dürfte beispielsweise die "Frankfurter Rundschau" auch kein Unternehmen kritisieren, weil es Mitarbeiter entlässt. Weil der Verlag selbst auch schon viele Stellen abgebaut hat.
Gutjahr und die über 2.300 Personen, die seinen Beitrag unterstützen - über Facebooks "I like"-Applikation - sollten eigentlich wissen, dass Redaktionen weitgehend unabhängig von ihren Verlagsapparaten arbeiten. Es gibt etliche Redaktionen, in denen solche Mauern nur wackelig dastehen. Dazu gehört der "Spiegel" sicherlich nicht. Einen Artikel nicht zu veröffentlichen, weil er Praktiken geißelt, die im eigenen Haus so oder so ähnlich angewendet werden, ist vielleicht ein wenig ironisch. Darauf kann man, wie Gutjahr das getan hat, hinweisen. Dafür muss man aber nicht gleich zu kotzen anfangen. Doch die Artikulation des Brechreizes hat System, kommt im Netz gut an und dient der eigenen Profilierung.
Die anhaltenden Breitseiten von Netz-Verstehern gegen traditionell aufgestellte Medienunternehmen werden auf Dauer witzlos. Mit Penetranz wird behauptet, für Medienunternehmen sei das Internet bzw. das World Wide Web "böse". Das ist nicht richtig. Eine Mehrzahl der Medienunternehmen sieht Chancen genauso wie Risiken des Web. Die meisten tonangebenden Medien haben Mitte und Ende der 90er Jahre begonnen, ihre Inhalte ins Netz zu stellen - also noch lange bevor viele der selbst ernannten Online-Experten, Alphablogger und Social Media-Oberchecker das Web für sich entdeckt haben. Dass Verlage heute darüber jammern, dort kein Geld zu verdienen, ist larmoyant - aber ein völlig anderes Thema. Das Netz an sich ist für sie dennoch weder gut noch böse. Es ist ein Vertriebskanal, von dem sie hoffen, dass er einmal zur Erlösquelle wird. Vor allem für den Spiegel-Verlag ist er das aber bereits.
Mit der massiven Kritik an der Online-Kompetenz klassischer Medienunternehmen hat es etwas anderes auf sich. Die Kritiker verteidigen in erster Linie ein Revier, das sie als ihr eigenes betrachten. Sie geraten dabei in Gefahr, Fehlentwicklungen im Netz auszublenden. Die einzig legitime Kritik am Netz ist, wenn überhaupt, offenbar die Kritik, die sie selber artikulieren.
Viele Netizens, die in der Online-Gemeinschaft Gehör finden, arbeiten an spannenden, sogar faszinierenden Projekten. Sie haben ihre Arbeit der Verbesserung des Netzes gewidmet. Das ist wunderbar, denn wir brauchen kluge Köpfe, die das Netz der Zukunft mit gestalten. Doch jede Kritik an Fehlentwicklungen "ihres" Webs münzen sie um in einen persönlichen Angriff. Warum? Weil sie ihren Spielplatz für sich alleine beanspruchen. Und weil sie klassischen Medien und deren Managern nicht zutrauen, dass sie das Web so gut verstehen wie sie selber.
Ein anderes Beispiel: Der ohne Zweifel originelle und kenntnisreiche Mario Sixtus machte vor kurzem gegen das von Verlagen geplante Leistungsschutzrecht im Internet mobil. Das ist keine verkehrte Idee. Es gibt - abgesehen von dem im Ursprung nicht ganz so weit hergeholten Ansinnen - viele Kritikpunkte an dem konkreter werdenden Plan für ein solches Schutzrecht. Im Extremfall könnte das Leistungsschutzrecht so weit ausgestaltet werden, dass allein die berufliche Nutzung, d.h. das Lesen von Webseiten, Unternehmen und vielleicht sogar Freiberufler kosten würde. Ein Unding.
Sixtus' Streitschrift offenbarte, neben berechtigter Kritik, eben jene vorhin beschriebene Haltung. Er schrieb, nein - schrie: "Liebe Verleger, ....Euch hat niemand gerufen!...Wisst ihr was, Verleger? Haut doch einfach ab aus dem Web, wenn es euch hier nicht gefällt. Nehmt eure Texte mit und druckt sie auf Papier oder schickt sie meinetwegen per Fax weg. Denn: Euch hat niemand gerufen." Klar hat die Verleger niemand gerufen. Denn Sixtus hat ja auch niemand gerufen. Das Netz ruft niemanden, man geht einfach rein. Sixtus' Botschaft aber lautet: Wir feiern hier eine Party, und ihr seid einfach nicht cool. Mit den Autisten der Verlagsbranche wollen wir nichts zu tun haben. Auf dem bald wieder anstehenden Digital-Kongress DLD von Hubert Burda Media stehen dann aber wieder alle einträchtig an der Kaffeetheke.
Das Netz ist und bleibt, trotz aller gegenläufigen und bedenkenswerten Entwicklungen, ein Feld, auf dem sich Individualisten wie Firmen betätigen können. Um Kontakte zu knüpfen, um Kreativität freizusetzen. Nicht wenige Medienunternehmen haben viel Geld investiert, um Informationen schnell und ansprechend an ihre Leser zu übermitteln.
Journalismus bleibt dabei Journalismus. Auf Fehlentwicklungen und Missstände müssen alle, die sich im Netz bewegen und Vorstellungen von einem demokratischen Miteinander haben, hinweisen dürfen - egal ob es gegen fragwürdige Datensammler geht oder gegen geldhungrige Verleger.
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