Der "Spiegel"-Journalist René Pfister muss den Henri-Nannen-Preis für die beste Reportage, den er erst am Freitag verliehen bekam, wieder abgeben. Nach gleichlautenden Berichten fühlt sich eine Mehrheit in der Jury düpiert. Pfister beschreibt in seiner Reportage, die nach strengen Maßstäben eher ein ausgeschmücktes Porträt ist, über eine lange Passage den Keller des CSU-Politikers Horst Seehofer, in dem eine große Modelleisenbahn steht.
Der Haken: Pfister hat den Keller, den er in dem Stück "Am Stellpult" beschreibt, nie betreten. Dies gab er auf Nachfrage von Katrin Bauerfeind, die die Henri-Preisverleihung moderiert hatte, unumwunden zu. Er habe sich den Keller aber von verschiedenen Gesprächspartnern, inklusive Seehofer selber, genau beschreiben lassen. Er habe zudem nie behauptet, die Modelleisenbahn persönlich gesehen zu haben.
Was für Pfister kein Verstoß gegen die Stilform der Reportage ist, stellt sich der Jury offenbar ganz anders dar. Auch wenn sich keiner der Beteiligten bisher offiziell geäußert hat - der Preis ist offenbar aberkannt. In einer Telefonkonferenz soll das die Mehrheit der Jury beschlossen haben. Laut "Hamburger Abendblatt" votierten Kurt Kister ("Süddeutsche Zeitung"), Peter-Matthias Gaede ("Geo"), Frank Schirrmacher ("FAZ") und Mathias Müller von Blumencron ("Spiegel") gegen die Aberkennung.
Demnach müssten sich für eine Aberkennung u.a. Giovanni di Lorenzo ("Zeit"), Andreas Petzold ("stern"), Jan-Eric Peters ("Welt"), Ines Pohl ("taz"), Ulrich Reitz ("WAZ"), Helmut Markwort ("Focus") und Elke Heidenreich ausgesprochen haben.
Stephanie Nannen, die Enkelin von "stern"-Erfinder Henri Nannen, hatte am Montag im "Hamburger Abendblatt" über die Preisverleihung berichtet und die Verleihung an Pfister als "handfesten Skandal" bezeichnet: "Pfisters Text ist ein Betrug an der Wahrheit, ist Verrat dessen, woran Journalisten mindestens zu glauben vorgeben."
Der Reportage-Henri wurde 1977 als Egon-Erwin-Kisch-Preis von Henri Nannen ins Leben gerufen. Einen "Nachrücker" für die beste Reportage soll es nicht geben.
"Spiegel": "Ein solcher Umgang widerspricht den Regeln der Fairness"
Inzwischen hat der "Spiegel" auf die Aberkennung des Egon-Erwin-Kisch-Preises reagiert. Die Stellungnahme im Wortlaut:
"Mit Unverständnis hat der Spiegel die Entscheidung der Henri-Nannen-Preis-Jury zur Kenntnis genommen, Spiegel-Redakteur René Pfister den Egon-Erwin-Kisch-Preis für seine Reportage ('Am Stellpult') abzuerkennen. René Pfister hat in den ersten vier Absätzen seiner vier Seiten umfassenden Geschichte über Horst Seehofer das Hobby des CSU-Vorsitzenden geschildert, der in seinem Keller eine Märklin-Eisenbahn stehen hat. Die Informationen für den Einstieg beruhten auf Gesprächen mit Seehofer, dessen Mitarbeitern sowie Spiegel-Kollegen, die den Hobbykeller selbst in Augenschein genommen haben. An keiner Stelle hat der Autor behauptet, selbst in dem Keller gewesen zu sein. Die Fakten der Eingangspassage sind zudem unbestritten. In der Vergangenheit sind bereits öfter Geschichten mit dem Egon-Erwin-Kisch-Preis ausgezeichnet worden, die szenische Rekonstruktionen enthielten. Jede Reportage besteht nicht nur aus Erlebtem, sondern auch aus Erfragtem und Gelesenem. Die Jury hat mehrheitlich entschieden, René Pfister den Preis abzuerkennen, ohne ihn selbst anzuhören oder Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Ein solcher Umgang mit einem untadeligen Kollegen widerspricht den Regeln der Fairness."
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