Goldmedia-Gastbeitrag: Kino ist der Blockbuster unter den Medien

23.02.2012
 
 

Vor wenigen Tagen ging die Berlinale zu Ende. Tausende Menschen standen wieder an den Ticket-Schaltern und in der Kälte vor den Kinos. In einem Gastbeitrag für kress erklärt Klaus Goldhammer (Foto), Geschäftsführer der Strategieberatung Goldmedia, wieso sie vergleichsweise teure Eintrittskarten für Filme kauften, die im Fernsehen oft kaum einer sehen will.

Vor wenigen Tagen ging die Berlinale zu Ende. Tausende Menschen standen wieder an den Ticket-Schaltern und in der Kälte vor den Kinos. In einem Gastbeitrag für kress erklärt Klaus Goldhammer (Foto), Geschäftsführer der Strategieberatung Goldmedia, wieso sie vergleichsweise teure Eintrittskarten für Filme kauften, die im Fernsehen oft kaum einer sehen will.

Natürlich gibt es viele Ansätze, dieses Phänomen zu erklären. Ein zentrales Element ist dabei der Faktor "Aufmerksamkeit": Die riesige Leinwand, der dunkle Saal, die bequemen Veloursessel und die aufwändige Dolby-Surround Tonanlage – alles Faktoren, welche die Aufmerksamkeit der Zuschauer voll und ganz auf den Film fokussieren. Beim Fernsehen sieht das anders aus: Nicht selten läuft der Fernseher im Hintergrund, während wir uns unterhalten, im Internet surfen oder die Hausarbeit erledigen.

Unterschiede in der Aufmerksamkeits-Intensität zwischen Kino und Fernsehen und anderen Mediengattungen wie etwa Zeitung oder Radio liegen auf der Hand und sind qualitativ gut beschreibbar. Doch wie lassen sich diese Unterschiede quantifizieren? Angesichts der Tatsache, dass Aufmerksamkeit als wirtschaftliche Größe in der Gesellschaft immer bedeutsamer wird und sich der Begriff der "Aufmerksamkeitsökonomie" (Franck 2002) längst etabliert hat, ist dies durchaus eine interessante Forschungsfrage.

Goldmedia ist diesem Problem nachgegangen und hat dafür den Aufmerksamkeits-Index entwickelt, kurz AIX. Der Aufmerksamkeits-Index liefert erstmals crossmediale Vergleichswerte für das knappe Gut Aufmerksamkeit.

Dem AIX liegt die Annahme zugrunde, dass der Mensch über die Verteilung seiner Aufmerksamkeit selbst entscheidet. Der Nutzen eines Mediums drückt sich in den Kosten aus, die Nutzer und Gesellschaft investieren. Dabei gibt es direkte Kosten, z.B. der Preis einer Kinokarte, sowie indirekte Kosten wie die Kosten der Werbespots, welche die werbungtreibende Industrie finanziert.

Um die Aufmerksamkeit nun vergleichbar machen zu können, bedarf es einer weiteren Komponente, und zwar der Zeit: Sind die Kosten pro Zeiteinheit hoch, unterstellt der Aufmerksamkeits-Index, dass auch die Aufmerksamkeit hoch ist und umgekehrt.

Auf dieser Basis lässt sich die durchschnittliche Aufmerksamkeits-Intensität als Indexwert für verschiedene Mediengattungen gut quantifizieren – und zwar, indem man die gesamten Umsätze (aus Vertrieb, Werbung, Gebühren) der einzelnen Mediengattungen ins Verhältnis zu deren gesamten Nutzungszeiten setzt.

Nach dieser Berechnung ergeben sich in Deutschland folgende Index-Werte, basierend auf den Daten von 2010: Nicht überraschen dürfte dabei, dass der Film im Kino mit Abstand das aufmerksamkeitsstärkste Medium ist. Einer durchschnittlichen täglichen Nutzungsdauer von 0,5 Minuten pro Person steht ein Branchenumsatz von über 1 Mrd Euro in Deutschland gegenüber. Das bedeutet, dass eine Stunde Kinonutzung im Schnitt 4,43 Euro wert ist (direkte + indirekte Kosten).

Einen recht hohen Aufmerksamkeits-Index können auch die Print-Medien verzeichnen. Eine Stunde Zeitschriftennutzung ist 2,20 Euro wert, eine Stunde Buchlesen 1,02 Euro und eine Stunde Tageszeitungsnutzung 0,83 Euro. Die Aufmerksamkeits-Intensität ist somit auch bei dem stärksten Print-Medium nur halb so hoch wie beim Kino. Verglichen mit den Rundfunk-Medien ist sie jedoch deutlich vorn: Denn eine Stunde Fernsehkonsum ist uns gerade einmal 11 Cent wert, für Musik (MP3, CD, etc.) wenden wir lediglich 10 Cent pro Stunde auf. Schlusslicht ist das Radio mit nur 4 Cent je Stunde.

Bei der Interpretation der Index-Werte der einzelnen Mediengattungen gilt es zu bedenken, dass es natürlich auch Faktoren gibt, die den Indexwert beeinflussen, jedoch keinen direkten Bezug zur Aufmerksamkeits-Intensität haben. Beispielsweise treiben Bücher, die verschenkt aber nicht gelesen werden, den AIX-Wert der gedruckten Erzeugnisse in die Höhe. Davon einmal abgesehen, ist der Aufmerksamkeits-Index aber ein hervorragender Indikator, um crossmedial zu erfassen und zu quantifizieren, wie stark das Potenzial der einzelnen Medien ist, die einzelnen Medien ist, die Aufmerksamkeit der Nutzer zu fesseln und wie stark sich die einzelnen Medien unterscheiden.

Interessant ist auch, wie sich die Aufmerksamkeits-Werte in den letzten Jahren verändert haben. So monetarisierten 2010 vor allem die Medien Internet, Zeitschriften und Kinos die Nutzungszeit besser als im Jahr 2005. Beim Internet stieg der AIX zum Beispiel um 112%. Auch für das Kino erhöhte die Aufmerksamkeits-Intensität, nicht zuletzt dank 3D.

Wie auch immer sich unsere Aufmerksamkeit in der vielfältigen Medienlandschaft künftig verteilen wird: Aktuell sind wir nicht nur bereit, für eine Stunde Kinonutzung im Schnitt 4,43 Euro aufzuwenden, wir nehmen es obendrein in Kauf, stundenlang in der Schlange zu stehen, um an die begehrten Berlinale-Tickets zu kommen, und diese Zeit fließt in den AIX noch nicht einmal ein.

 

Ihre Kommentare
Kopf

Thomas

23.02.2012
!

Der Gegensatz verläuft ja schon zwischen Festival- und normalem Kinobetrieb: Während der Berlinale stehen Menschen oft stundenlang an, um teure Tickets für Vorführungen zu kaufen, für die sie - um einen guten Platz zu ergattern - nochmals lange im Gedränge anstehen müssen, um schließlich einen Film in einem ausverkauften Cineplex-Saal zu sehen, der unter alltäglichen und angenehmeren Bedingungen im Berliner Kinobetrieb vielleicht gerade mal 20 Tickets absetzen würde. Wie kommt es dazu?


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