"NZZ"-Macher Spillmann und Hogenkamp im Interview: "Kein Redakteur möchte nur Gratis-Inhalte schreiben"

 

Bei der "NZZ" gilt seit diesem Jahr "Online first". Die gedruckte Zeitung ist nur noch ein Nebenprodukt. Chefredakteur Markus Spillmann, 45, und Digitalchef Peter Hogenkamp, 43, sprechen im kress-Interview über die Vorteile des Metered Model, die Unterschiede im Umgang mit Bezahlinhalten in der Schweiz und in Deutschland, und 

Es ist das Jahr der Veränderungen bei der "Neuen Zürcher Zeitung" ("NZZ"): Der Verlag hat die Online- und Print-Redaktion zusammengelegt, die Homepage überarbeitet und seit Juni bietet er alle publizistischen Leistungen digital an. Im Oktober wurde auf "NZZ.ch" die Bezahlschranke runtergelassen. 20 Artikel im Monat sind kostenlos, ab dann muss der Nutzer zahlen. 

Chefredakteur Markus Spillmann, 45, und Digitalchef Peter Hogenkamp, 43, sprechen im kress-Interview über die Vorteile des Metered Model, die Unterschiede im Umgang mit Bezahlinhalten in der Schweiz und in Deutschland und über Fehler, die Verleger bei der Umstellung auf die Paywall vermeiden sollten.

kress: In Ihrer neuesten Werbekampagne lautet der Slogan "NZZ-Leser brauchen kein Papier". Heißt das, dass die gedruckte Zeitung bald nicht mehr erscheint?

Markus Spillmann: Die gedruckte Zeitung wird es auch weiterhin geben – wie lange, wissen wir alle nicht. Wir wollen mit dem Werbeslogan betonen, dass es die Qualität, die wir heute vor allem noch in Print abbilden, künftig verstärkt auf allen digitalen Vertriebsformen geben wird. Es ist keine Kampagne gegen Print, sondern eine umgedreht positiv besetzte Kampagne für die Qualität im digitalen Raum der "NZZ".

kress: Soll heißen: Es gibt keine Pläne die gedruckte Zeitung einzustellen, wenn die Digitaloffensive ein bestimmtes Ziel erreicht?

Spillmann: Natürlich machen wir uns kontinuierlich über die Darstellungsform unserer Inhalte in Kombination des Kanals Gedanken. Die Nutzungsgewohnheiten haben sich verändert. Im Tagesgeschäft ist die gedruckte Zeitung in einer digitalen Umgebung naturgemäß langsamer. Und den ganzen Tag so zu tun, als würde die Welt stehen bleiben, ist nicht sehr sinnvoll. Inhaltlich wird es also im Print Anpassungen geben müssen, um die gedruckte Zeitung besser auf das Online-Angebot abzustimmen.

kress: Wie hängt die Digitalstrategie der "NZZ" mit dem Rückgang der gedruckten Auflage zusammen?

Spillmann: Es ist nicht so, dass wir zuerst die Konvergenz vollziehen und jetzt das Resultat beurteilen. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einen Prozess durchgeführt, der ganz klar aus einer strategischen Dimension versucht die Entwicklung zu erfassen, die dem Mediengeschäft droht. Und die heißt: Print verliert an Auflage, gleichzeitig bleiben die Vertriebskosten im Print-Bereich hoch und wir können dort nur bedingt optimieren. Parallel dazu gibt es die technologischen Entwicklungen in Form der Tablet- und Smartphone-Generation sowie die Veränderung der Nutzungsgewohnheiten. Aus dieser Analyse haben wir beschlossen, dass wir im Zuge dieses Wandels unsere Qualität als "NZZ" weiterhin sicherstellen wollen.

Peter Hogenkamp: Wir haben in diesem Jahr die Redaktionen von Print und Online zusammengelegt, und damit die Marke "NZZ Online" abgeschafft, die seit 1997 existierte. Alle Kanäle werden nun unter der Dachmarke "Neue Zürcher Zeitung" bespielt. Lange Zeit war es bekanntlich so, dass "Online" jeweils eine abgespeckte Version der Zeitung war. Das kann heute nicht mehr der Fall sein, denn viele Menschen informieren sich vor allem online. Dass wir nun den Schalter umgelegt haben und Online das Erstmedium ist, empfinde ich nicht als so drastischen Wandel, sondern es ist einfach ein konsequenter Schritt.

Kritik als Schmiermittel für gute Qualität

kress: Was bedeutet Konvergenz in der Praxis? Gibt es jetzt einen Newsroom?

Spillmann: Wir haben schon immer einen Newsroom betrieben, in dem Online und Print zusammen arbeiteten. Was mental für mich und die Kollegen viel einschneidender ist, ist, dass wir uns heute nur noch als eine Redaktion verstehen, die für die publizistische Marke NZZ zu arbeiten hat – egal für welchen Vertriebsweg. Das heißt physisch: Wir arbeiten im Newsroom noch enger zusammen als vorher. Es soll hingehen zu der Denke: Ich bin NZZ, und ich will die bestmögliche Qualität ausspielen können qua meiner fachlichen Kompetenz, egal ob Print oder Online. Das Erstprodukt ist der digitale Kanal, und wir machen nebenbei auch noch eine hervorragende Zeitung. Das war früher umgekehrt.

kress: Wie hat die Redaktion auf die Umstellung reagiert? Für die ehemals Print-Journalisten muss sich der Arbeitsablauf sehr geändert haben.

Spillmann: Es ist völlig normal, dass solche einschneidende Veränderungen in einer Redaktion auch Skepsis und Furcht auslösen – übrigens nicht nur im Print, sondern auch bei Online-Kollegen. Wir führen hier eine der wohl fundamentalsten Veränderungen in der mehr als 230-jährigen Geschichte der "NZZ" durch! Ich kann mit Kritik gut leben – sie ist das Schmiermittel für gute Qualität. Die Redaktion der "NZZ" ist sehr leistungsfähig und v. a. bestens qualifiziert, sie wird auch diese Entwicklung gut meistern. Ich bin sehr zufrieden, wie weit wir schon sind in dieser kurzen Zeit – was aber nicht heisst, es sei alles schon so, wie es sein sollte. Bei aller Ungeduld aber brauchen solche Veränderungen etwas Zeit. Ich habe immer von zwei Jahren gesprochen, das scheint mir noch immer richtig.

"Kein Redakteur möchte nur Gratis-Inhalte schreiben"

kress: Mussten Sie durch die Zusammenlegung der beiden Redaktionen Stellen abbauen?

Spillmann: Wir haben keine Stellen abgebaut. Die Konvergenz ist kein Sparprogramm. Aber wir haben restrukturiert im Sinne der Organisationsform. Wie alle Medienhäuser arbeiten wir daran, die Kosten zu reduzieren, wo wir sie uns nicht mehr leisten können. Das ist aber ein kontinuierlicher Prozess, der mit der Digitalisierung und der Konvergenz nichts zu tun hat.

kress: Seit Oktober ist bei "NZZ.ch" die Bezahlschranke runtergelassen. 20 Artikel sind kostenlos, ab dann muss der Nutzer zahlen. Welche Vorteile sehen Sie in dem Metered Model?

Hogenkamp: Es hat gegenüber dem "Freemium"-Modell den Vorteil, dass in der Redaktion keine Diskussionen geführt werden müssen, was Premium- und was Gratis-Content ist. Kein Redakteur möchte nur Gratis-Inhalte schreiben. Beim Metered Model entscheidet der Leser, welche 20 Artikel er kostenlos lesen möchte, es bittet nur die Intensivnutzer zur Kasse. Dazu sieht das Modell vor, dass viele Nutzungsbereiche offen bleiben, beispielsweise zählen die Startseite und das Wetter sowie eine Verlinkung aus Social Media nicht dazu, weil man damit den Traffic weiter hochhält.

kress: Die "New York Times" diente Ihnen dabei als Vorbild.

Hogenkamp: Das streiten wir nicht ab. Das Metered Model hat bei der "New York Times" bisher gut funktioniert, und bei uns sieht es momentan auch so aus. Wir sind mit den Zahlen sehr zufrieden, der Traffic ist seit der Bezahlschranke nicht zurückgegangen. 15.000 Personen haben sich im Oktober neu auf "NZZ.ch" für das Angebot der 20 kostenlosen Artikel registriert. Das liegt deutlich über unseren Erwartungen. Für ein erfolgreiches Online-Marketing muss man die Leser erreichen können – dass sie sich registrieren, ist dabei ein wichtiger Schritt.

kress: Wie viele Digitalabos wurden bisher abgeschlossen?

Hogenkamp: Zunächst muss man vorausschicken, dass das Digitalabo nicht neu ist. Bereits seit zehn Jahren bieten wir das E-Paper-Abo an, das seit der Einführung des iPads im Oktober 2010 sehr stark gewachsen ist. Im August hatten wir 10.000 zahlende Digital-Abonnenten kommuniziert, also solche, die keine Zeitung mehr beziehen. Monatlich kamen bereits beim E-Paper mehrere hundert Abos hinzu. Wir bieten auch nach dem Launch der Paywall weiterhin nur ein Digitalabo an, um es den Nutzern einfacher zu machen. Darin enthalten sind das E-Paper, das Webpaper, also die geräteoptimierte Darstellung der Zeitungsinhalte in HTML-Form, und neu auch der uneingeschränkte Zugriff auf "NZZ.ch". Wir gehen davon aus, dass wir dadurch nun noch deutlich schneller wachsen. Im Oktober war das klar der Fall, wir haben einen grossen Sprung gemacht und waren auch von dieser Zahl positiv überrascht. Nach einem Monat ist das allerdings schwierig hochzurechnen; wir möchten daher erst Anfang 2013 kommunizieren, wie viele Digital-Abos wir verkauft haben.

Erst Android, dann iOS

kress: Wie sieht es in der Anzeigen-Akquise aus? Entgehen Ihnen durch die Bezahlschranke Werbeeinnahmen?

Hogenkamp: Wenn die Reichweite nicht sinkt, dann nicht. Man kann sogar argumentieren, dass zahlende Kunden wertvoller sind als Gratis-Nutzer, weil sie eine größere Bindung zu der Marke haben. Aber natürlich ist es so, dass sich der Online-Werbemarkt Sorgen gemacht hat, es könnte zu einem Reichweiteneinbruch durch die Paywall kommen. Im Oktober ist das nicht eingetreten. Auf Basis Page Impressions konnten wir uns gegenüber dem Vormonat sogar um rund 1.5 Millionen steigern, wobei diese Schwankung nicht signifikant ist.

kress: Allerdings verliert "NZZ.ch" nicht erst seit dem Relaunch im Frühjahr 2012 an Reichweite, sondern seit einem Jahr geht die Anzahl an Visits und Page Impressions zurück. Wie erklären sie sich das?

Spillmann: Das hat nach unserer Analyse vor allem damit zu tun, dass wir auf den mobilen Devices noch nicht gut genug platziert sind – allen voran auf den Smartphones. Wir sehen das besonders am Wochenende, wenn die Leute unterwegs sind. Dann hinken wir der Konkurrenz hinterher. Daher ist es auch wichtig, dass wir zwar spät, dafür aber umso besser seit Ende Oktober auch eine Android-App anbieten. Mitte November wird eine iPhone-App dazu kommen.

kress: Werden Sie weitere Änderungen auf der Homepage vornehmen?

Spillmann: Wir werden die obere Hälfte der Homepage neu gestalten. Darüber hinaus kommen täglich neue Features dazu. Wir haben erst seit kurzem eine Digitalkampagne auf dem Markt, wir gehen jetzt aggressiver raus an die Kunden. Wir sind immer noch in dem Status, dass wir uns etwas mehr anstrengen müssen, um das aufzuholen, was andere früher vielleicht etwas besser gemacht haben. Und damit verbunden ist natürlich auch, dass wir an Reichweite gewinnen wollen. Ich bin sehr sicher, dass wir zulegen können. Wir müssen nur noch an ein paar Schrauben drehen, denn die inhaltliche Güte des Angebots ist nicht das Problem, sondern dessen zeitgerechte Verfügbarkeit und kanalgerechte Aufbereitung.

"Die Schweizer sind es gewohnt für Qualität zu zahlen"

kress: Wie wichtig sind Facebook, Twitter und Co. für Sie?

Hogenkamp: Soziale Netzwerke sind wichtig für uns, auch wenn sie bislang in Europa noch nicht so viel Traffic bringen. In den USA sind sie ja für viele Medien als Trafficlieferant wichtiger als Google, was ich für uns auch sehe. 40.000 Follower bei Twitter sind der beste Wert eines Schweizer Mediums. Social Media bietet eine Chance für mehr Interaktion zwischen den Nutzern und der Redaktion. Wir kommen dadurch näher an die Leser ran.

kress: Wie spielt das Teilen von Inhalten mit der Bezahlschranke zusammen?

Hogenkamp: Was die Paywall angeht, wollen wir die Leser weiterhin ermutigen, Links zu NZZ-Inhalten auf Twitter, Facebook und Co. zu teilen. Diese zählen wir bewusst für die Paywall nicht mit. Die Erfahrung anderer Medien zeigt: Der Effekt, dass die Leute dadurch die Paywall unterlaufen können, ist geringer als man denkt. Es wird ihnen zu dumm, sie sagen sich: Wenn ich es regelmäßig nutze, dann zahle ich auch. Ich glaube, dass das hier in der Schweiz auch anders ist als im Schnäppchenland Deutschland; hier sind die Leute ohnehin gewohnt, für Qualität zu zahlen. Ein weiterer Nebeneffekt ist noch: Wenn die Leute dann zahlen, konsumieren sie auch mehr, weil sich das Abo ja auch lohnen soll – was wiederum positive Effekte auf den Traffic hat.

kress: Als Faustregel der neuen Strategie haben Sie, Herr Hogenkamp, genannt: "Release early, release often". Welche Produkte sind noch in Planung?

Hogenkamp: Die Regel hat bei der Android-App so gar nicht geklappt. Da waren wir sehr spät dran, aber jetzt sind wir happy mit dem Resultat, und iOS wird wie gesagt bald folgen. Dieses Jahr war das Jahr der grossen Ausbauschritte mit dem Relaunch und der Einführung der Paywall, das kommende Jahr soll eher das der vielen iterativen Verbesserungen im Sinne der genannten Regel werden. Wir wollen weiterhin sagen: "Im Zweifelsfall machen wir bei etwas Neuem mit, wenn der Aufwand nicht zu groß ist." Das hat sich schon bewährt bei Google Currents, wo wir schon über 300.000 Subscriber haben, oder beim unserem Angebot auf dem Kindle, das auch sehr erfolgreich läuft. Wir versuchen weiterhin, möglichst "internettig" zu experimentieren.

kress: Geben Sie den deutschen Verlegern doch einen Tipp: Was sind Ihrer Meinung nach die schlimmsten Fehler bei der Umstellung auf eine Paywall?

Hogenkamp: Es ist viel zu früh, jetzt schon eine Bilanz zum Metered Model zu ziehen. Vielleicht kann man mit der Schwelle irgendwann noch weiter runter, wenn die digitale Nutzung stärker wird und man sieht, dass der Traffic robust ist, vielleicht muss man andere Anpassungen machen. Ich glaube, der größte Fehler ist, dass man einfach nichts macht, weil die Angst überwiegt, Print zu kannibalisieren. Ansonsten ist die Paywall wie auch die Digitalisierung ein interaktiver Prozess. Man muss irgendwo anfangen, sich gegebenenfalls mal auch eingestehen, dass man einen Fehler gemacht hat, und ihn dann korrigieren.

Ihre Kommentare
Kopf

Andreas Purkhart

15.11.2012
!

Wie soll denn eine Paywall funktionieren, bei der man nur ein Cookie löschen muss und dann gehts einfach wieder weiter? Auch nach 20 Artikeln. Bitte nicht falsch verstehen, ich habe kein Problem damit, für gute Inhalte auch ein angemessenes Entgelt zu zahlen, aber so was fordert ja regelrecht zum "Mundraub" heraus. Liebe NZZ, da müsst Ihr wohl noch mal ran.


Toni Korn

15.11.2012
!

Ich habe über 40 Jahre die NZZ gelesen. Einen großen Teil meines Bildungs-Fundus habe ich aus dieser Zeitung. Als Rentner kann es mir nicht mehr leisten. Auch sind seit dem Relaunch viele Berichte weggefallen, wegen derer Exotik ich die NZZ geliebt habe. Nach wie vor kann ich die NZZ - gößtenteils - unbezahlt im Internet lesen. Ich bekomme morgens die NZZ News und kann mich auch direkt kostenfrei einlocken. Ich hoffe, dass dieses bis zu meiner Fahrt auf den Nordfriedhof so bleibt! Danke, Danke!


HannasLifeBlog

15.11.2012
!

Das ist doch ein sinnvolles Modell.
Mit dem Schnäppchenland Deutschland gebe ich Ihnen leider recht. Da hat sich etwas eingeschlichten, das sich erst wieder erholen muss. Nur kommt diese Gier- und Schnäppchenmentalität nicht alleine von den Konsumenten. Die Arbeitgeber, die Politik und ! die Presse haben diese Mentalität durch ihre Methoden, Forderungen und Berichterstattung aufgebaut und pflegen sie heute noch.
Motto: hohe Gewinne durch minimale Gegenleistung.


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