RTL II-Chef Andreas Bartl konnte sich in München das Wortspiel nicht verkneifen, "die Katze aus dem Sack zu lassen". Zum Auftakt der Roadshow seines Vermarkters El Cartel stellte der Ex-ProSiebenSat.1-Vorstand nicht nur die Schwangerschafts- und Nestbau-Dokusoap mit Daniela Katzenberger vor, sondern neben viel Bewährtem erstmalig deutsche Fiction-Eigenproduktionen, "jungen wilden Journalismus" und eine neue Digital-Strategie.
"Zweiter Frühling" für die Vorabend-Dauerbrenner
"Wir haben einiges ausgeheckt da draußen im grünen Wald", sagt der erfahrene Sender-Chef, der im Juni vergangenen Jahres den Chefposten bei RTL II in München-Grünwald von seinem Vorgänger Jochen Starke übernommen hatte. Nun möchte er mit neuen TV-Ideen angreifen - das bei RTL II bestens Eingefahrene von "Die Kochprofis" über "Der Trödeltrupp" oder "Die Geissens" bis hin zu "Berlin - Tag & Nacht" (BTN) sowie "Köln 50667" aber nicht vernachlässigen. "Wir erleben momentan den zweiten Frühling dieser Formate", sagte er über seine Vorabend-Klassiker. Bei der Köln-Reihe hatte er zuletzt zusammen mit Filmpool dramaturgisch ein wenig nachbessern lassen - mit Erfolg.
"Hartes Match um die Ideen der Kreativen"
"Wir werden ein spannender Sender sein und bleiben", verspricht Bartl. Allerdings will er dafür sichtbar Gas geben - zuletzt auch mit einer überarbeiteten Sender-Bildsprache. "Wir wollen auch in strategischer Hinsicht spannend sein", so Bartl, der derzeit den deutschen Produzentenmarkt auf Trab hält. "Es wird ein hartes Match um die Ideen der Kreativen geben. Das wird der Branche gut tun", sagte er mit Blick auf den intensivierten Wettbewerb auch durch Streaming-Anbieter.
RTL II selbst möchte das Social-Media-Potenzial und die hohen Download-Raten vor allem bei "BTN" noch stärker für neue Geschäftsmodelle nutzen. So hat man bereits zwei eigene aus dem "Berlin"- und aus dem Soap-Umfeld heraus entwickelte YouTube-Channels gestartet - mit kuriosen Titeln wie "Pia macht Kirmes" und "Steffen geht steil". Weitere sollen folgen. "Aus RTL II wird viel mehr statt einem Fernsehsender ein digitales Medienhaus werden."
"Vice"-Krawall statt staatstragendem Magazin-Ernst
Dazu passt die enge Kooperation mit dem Medienhaus Vice, dem "jungen wildern Journalismus", auf den sich Andreas Bartl freut. Zum neuen 12-teiligen "Vice"-Magazin, das im Mai starten soll, sagt sein Programmchef Thomas Zwiessler, den Bartl aus langen gemeinsamen ProSieben-Zeiten kennt und schätzt, dass es "aggressiver" und jünger werde - "nicht so staatstragend wie man es aus anderen Sendern kennt". Besonders stolz ist Zwiessler auch auf den neuen "Echtzeit"-Sendeplatz sonntags um 19:00 Uhr. Den möchte er mit journalistisch unabhängigen Einzelfilmen bespielen, an denen derzeit offenbar 15 Produzenten und Autoren arbeiten.
Außerdem holen Bartl und Zwiessler Programmfarben zurück, die zuletzt bei RTL II nicht so stark glänzten - darunter auch neue Comedy-Formate wie die Comedy-Gameshow "Fake Reaktion" mit Simon Gosejohann, die geplante Impro-Comedy-Show "Die Dittrichs" und zum Vorzeigen auch Angebote von Christian Ulmens "Ulmen TV".
"Popstars" treten neue Heldenreisen an - zurück in Grünwald
Daneben kehrt der Musik-Schwerpunkt bei RTL II zurück - und damit auch das einstige Prestige-Projekt "Popstars", das ursprünglich in München-Grünwald begann und bei ProSieben unterging. "Irgendwie scheint das Format immer da zu sein, wo Andreas Bartl ist", scherzte Zwiessler. Er möchte die "Popstars" wieder stärker als "große emotionale Dokusoap" inszenieren. "Es ist im Grunde eine große Heldenreise", sagte Zwiessler.
Am weitesten aus dem Fenster lehnen sich die beiden Programm-Macher mit eigenproduzierten Fiction-Formaten, die man zuletzt wirklich nicht bei RTL II erwartet hätte. Große Hoffnungen liegen auf dem "Berlin - Tag & Nacht"-Ableger "Life is a Beach", der die Liebesgeschichte zweier Protagonisten als Serie weitererzählen soll. "Wir versuchen das erste Mal, Scripted Reality als horizontal erzählte Serie in die Primetime zu bringen", lautet der Anspruch an das Projekt.
Bartl und Zwiessler wagen sich unter Neandertaler
Außerdem bringt Thomas Zwiessler mit "Neandertaler" (Arbeitstitel) eine Serie ins Rennen, die sich mit Pharmaskandalen und Wissenschaftsversuchen im Grenzbereich beschäftigen soll. Von Marc Conrad stammt die Serie "The Godless", eine Adaption eines niederländischen Formats. Es basiert auf "echten" Kriminalfällen, die in verfremdeter Form noch einmal aufgerollt werden - allerdings quasi von ihrem traurigen Ende aus. Es geht um "die letzten Tage, an denen Täter und Opfer unausweichlich aufeinander zulaufen", so Zwiessler. Dafür hat er sich mit Thomas Koeberlin und Jule Ronstedt starke Darsteller und mit Thomas Stiller einen "Tatort"-erfahrenen Regisseur geangelt.
"Es wird ein heißer Sommer in der deutschen Produzentenlandschaft werden", prognostiziert er launig - und selbstbewusst. "Wer gute Produzenten oder erfahrene Kameraleute sucht, wird ein Problem haben - die sind alle bei RTL II."
Andreas Bartl begann seine TV-Laufbahn 1990 bei ProSieben, wo er bis 2000 unter anderem die Programmplanung leitete und als Programmchef tätig war. Von 2000 bis 2005 war er Geschäftsführer von kabel eins, von 2005 bis 2008 Geschäftsführer von ProSieben und von 2008 bis 2012 Vorstand Fernsehen bei der ProSiebenSat1 Media AG. Vor seinem Wechsel an die RTL-II-Spitze arbeitete er als selbständiger Medienunternehmer.
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