Als Melissa Etheridge Mitte Juli in Aurich aufgetreten ist, hat die "Emder Zeitung" keinen eigenen Fotografen hingeschickt und auf eine Berichterstattung fast vollkommen verzichtet - und das obwohl sie das Konzert als Verlag präsentiert haben. Grund war der Knebelvertrag, der den Fotografen vorgelegt wurde. Demnach sollte nur während des ersten Liedes fotografiert werden dürfen, und die Fotografen sollten ihre Fotos im Anschluss alle an die Agentur schicken.
"Dies ist der erste Fall, in dem ich wirklich gezwungen werden sollte, einen solchen Vertrag zu unterzeichnen", sagt Stefan Bergmann, Chefredakteur der Emder Zeitung. "Ich habe versucht, dem Management entgegenzukommen mit einer Art Selbstverpflichtung: "Ich verkaufe keine Fotos vom Konzert, ich verwende sie nicht für Werbung, ich achte die Privatsphäre von Melissa Etheridge". Unser örtlicher Veranstalter hat sich in diesem Sinne sehr bemüht für uns. Doch das Management von Frau Etheridge ist nicht darauf eingegangen."
Lenny Kravitz machte den Anfang
Deshalb verzichtet das Blatt auf eine ausführliche Berichterstattung - und bietet seinen Lesern eine kurze Erklärung: "Ich mache das aber mit Gewissensbissen. Denn letztlich enthalten wir unseren Lesern Informationen vor. Andererseits ist eine unabhängige Presse auch ein Gut, das den Lesern am Herzen liegen müsste. Wir lassen uns nicht zensieren." Einer der ersten Fälle der Knebelverträge sind womöglich die Deutschland-Konzerte des US-Sängers Lenny Kravitz: Damals warnte der Deutsche Journalisten-Verband Bildjournalisten davor, die Akkreditierungsbestimmungen zu akzeptieren. Damals sollte nicht nur der Name des Mediums genannten werden, in dem die Konzertfotos erscheinen sollen, sondern die Fotografen sollten auch weltweit ihre Rechte an ihren Bildern an das Management von Lenny Kravitz abtreten: "Das ist ein Knebelvertrag, in den freie Bildjournalisten auf keinen Fall einwilligen dürfen", sagte DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken damals. "Die Urheber und niemand sonst haben die Rechte an ihren Bildern. Wenn das Management des Künstlers Fotos für eigene Zwecke nutzen will, hat es dafür angemessene Honorare zu zahlen."
Im Falle eines Vertragsbruchs drohen drakonische Strafen
Es scheint aber ein Trend zu sein, der immer mehr zunimmt: So druckt das"Hamburger Abendblatt" anstelle eines Bildes einen weißen Kasten, andere Medienhäuser und Nachrichtenagenturen widersetzen sich solche Verträge immer wieder und berichten nicht von den Konzerten: "Verträge, die Fotografen bei Konzerten unterzeichnen sollen, gibt es schon seit etlichen Jahren. Anfangs waren es nur wenige Konzertveranstalter, heute sind es viele, die so verfahren. Man kann aber auch beobachten, dass die Vertragsbedingungen immer restriktiver wurden", sagt Roland Geisheimer , Fotograf und Vorsitzender von Freelens. Im Falle eines Vertragsbruches drohen oftmals drakonische Vertragsstrafen, die einen freien Fotografen ruinieren können.
"Seuche mit den Knebelverträgen hat extrem zugenommen"
Der stellvertretende Chefredakteur der "Mittelbayerischen Zeitung", Holger Schellkopf, hat früher selbst ziemlich häufig bei Konzerten fotografiert und ärgert sich schon seit vielen Jahren darüber. "Exaltiertheiten wie die eines Bob Dylan (will grundsätzlich nie fotografiert werden) oder eines Bryan Adams (nur von einer Seite mit festgelegtem Mindestabstand) gehören ja schon zur Normalität." Aber die "Seuche mit den Knebelverträgen habe in der jüngeren Vergangenheit extrem zugenommen. "Besonders lächerlich ist das ja auch, weil inzwischen selbst mit Smartphones sehr brauchbare Bilder geschossen werden können, über deren weitere Verwendung niemand Kontrolle hat," sagt er. Am Ende helfe nur der Boykott solcher Konzerte - versehen mit einer Erklärung, warum auf die Bilder verzichtet wird.
Von "Einzelfällen" spricht der Chefredakteur des "Mindener Tageblattes", Christoph Pepper, kritisiert ansonsten aber die "Versuche auch auf Bildberichterstattung Einfluss zu nehmen" als zahlreicher werdend. Dem muss man sich konsequent widersetzen. Zur Not auch mit Verweigerung - und dem Herstellen von Öffentlichkeit darüber," sagt Pepper.
Seine Kulturredakteurin, Ursula Koch, ergänzt auf Anfrage, dass es etwa Beschränkungen für die Dauer des Fotografierens zunehmend auch im Stadttheater Minden gebe, vor allem in den vergangenen zwei Jahren habe dieser Trend zugenommen.
"U2, Bon Jovi und die Stones, verzichten auf derartige Marotten"
Thomas Kühlmann, einer der Fotograf des "Mindener Tageblatts" ist leiderfahren, berichtet aber auch von positiven Beispielen: So habe er vor Kurzem bei einem Udo Lindenberg Konzert problemlos fotografieren können - und dabei sogar alle Zugaben festhalten. "Viele gestandene Bands, wie U2, Bon Jovi und die Rolling Stones, verzichten auf derartige Marotten verzichten, weil sie wissen, wo sie her gekommen und durch wen sie populär geworden sind. Bei U2 und den Stones in Hannover erhielten wir Fotografen sogar erhöhte Podeste und bestes Licht, weil die Künstler laut Management gute Fotos von ihnen in der Zeitung sehen wollten. Das nennt man professionell", sagt Kühlmann. Er kennt es aber auch anders: Bei Michael Jackson habe man nur Objektive bis 80 Millimeter zugelassen, um Nahaufnahmen zu vermeiden; bei Beyoncé durften nur 30 Sekunden vor dem Auftritt Fotos von ihr gemacht werden und The Prodigy wollte bei Rock am Ring nur zwei Fotos zur Veröffentlichung freigeben, verbunden mit zusätzlichen Aufgaben, etwa das eines der Bilder ein Aufmacherfoto wird. "Hier haben wir uns als Fotografen ebenfalls kollektiv geweigert, zu fotografieren und sind fern geblieben," sagt Kühlmann.
"Wenn sich alle Medien einig wären..."
"Es gab und gibt immer wieder Konzerte, die von Fotografen boykottiert werden, auch wir haben wegen der Knebelverträge, die die Kolleginnen und Kollegen dazu zwingen, die Rechte an ihren Bildern an die Künstleragenturen abzugeben oder zu unmöglichen Bedingungen zu arbeiten, bei denen klar ist, dass keine ergebnisoffene Bildberichterstattung gewünscht ist, schon zu Boykotts aufgerufen, unter anderem bei Konzerten von Coldplay und Leonard Cohen," sagt die Bundesgeschäftsführerin des DJU, Cornelia Haß. "Ich denke, dass das Thema schnell vom Tisch sein könnte. Wenn sich alle Medien einig wären, dass es eine Vor- und Nachberichterstattung nur geben kann, wenn eine offene und faire Berichterstattung ohne Knebelverträge ermöglicht wird, dürfte die ein oder andere Konzertagentur nachdenklich werden", gibt Freelens-Vorsitzender Geisheimer zu Bedenken. Dem stimmt auch Chefredakteur Bergmann zu: "Wenn alle Redaktionen die Konzerte von Künstlern, die solche Verträge ausgeben, drei, vier Monate konsequent boykottieren würden, dann wäre das Phänomen bald vorbei."
Wie man das Problem auch lösen kann
Auf eine kreative Art und Weise hat die kanadische Zeitung "Le Soleil" auf die Einschränkung durch amerikanische Rockbands reagiert. Auch sie müssen fast alle Eigentumsrechte ihrer Fotos abgeben: Deshalb schickten sie zu einem Konzert der Foo Fighters in Quebec keinen Fotografen, sondern den Karikaturisten Francis Desharnais. Es ist nicht der erste und einzige Fall in Nordamerika: Auch das "Washington City Paper" schickte keinen Fotografen zum Auftaktkonzert, sondern bezahlte Konzertbesucher für Fotos, die sie mit ihrem Smartphone gemacht haben.
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