Der preisgekrönte Journalist Dirk Kurbjuweit spricht in "Leif trifft" (Erstausstrahlung: 23. September, 20.15 Uhr, SWR) über Wutbürger, die richtige Distanz zu Politikern und die harschen Angriffe mit dem Begriff "Lügenpresse". Das Misstrauen gegen die Presse schmerze ihn zutiefst, sagt der Vize-Chefredakteur vom "Spiegel". Kurbjuweit übt auch harsche Selbstkritik an der eigenen Branche, Journalisten und Politiker "werden als eine Klasse betrachtet und das finde ich fatal".
Es war das Wort des Jahres 2010: Wutbürger. Geschaffen hat es Dirk Kurbjuweit, stellvertretender Chefredakteur vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" in einem berühmt gewordenen und viel zitierten Essay. SWR-Chefreporter Thomas Leif hat den Politikjournalisten nun im Rahmen seiner Sendung "Leif trifft" zum Thema „Empörte Bürger – die neue Macht im Land?“ noch einmal dazu befragt und wollte wissen, wie aktuell der Begriff eigentlich ist. Gibt es ihn noch, den Wutbürger von damals?
"Wenn wir uns Pegida anschauen oder Proteste gegen Infrastrukturprojekte im Energiebereich, würde ich sagen, dass die wesentlichen Definitionsbestandteile dieses Begriffes noch da sind. Die Wut ist sogar größer geworden und es ist weiterhin der Bürger, also die Mitte der Gesellschaft, der hier demonstriert, protestiert und blockiert", sagt Dirk Kurbjuweit.
"Da habe ich gar kein Verständnis mehr"
Der Wutbürger von damals sei radikaler geworden, die Themen seien andere. "Wie der Wutbürger sich diesen Winter und dieses Frühjahr gezeigt hat, geht in Richtung offener Rassismus und Ressentiments gegen Flüchtlinge und gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Und da wird es für mich schon widerlich, da habe ich gar kein Verständnis mehr."
Empörung sei wichtig und berechtigt, so Dirk Kurbjuweit, doch die habe vor allem mit der Sorge um das Allgemeinwohl zu tun, etwas, das der Wutbürger nicht im Blick habe. Ihn treibe vielmehr der Egoismus und die Frage, wie Ereignisse, wie der Bau eines Bahnhofs oder eines Flughafens, sein eigenes Leben berühren und welche Nachteile er dadurch erleiden müsse. Für Dirk Kurbjuweit unverständlich: "Für mich gehört dazu, dass man hin und wieder persönliche Interessen zurückstellt und für die Allgemeinheit ein Opfer bringt. Eine Demokratie und die Gesellschaft können nicht anders funktionieren."
Die Pflichten eines Staatsbürgers
Und das gilt auch für den Journalisten selbst. Er wohnt in Zehlendorf und wird, sobald der neue Berliner Flughafen fertig gestellt ist, von Fluglärm betroffen sein. An den Protesten und Unterschriftenaktionen in seiner Nachbarschaft habe er dennoch nicht teilgenommen: "Es ist wichtig, dass Berlin einen ordentlichen Flughafen hat, einen besseren als die, die es bislang gibt. Und insofern finde ich es als Staatsbürger richtig, dass sich da etwas tut, auch wenn es mein Leben beeinträchtigt."
Das gelte auch für andere Infrastrukturprojekte, so unangenehm sie für den einzelnen sein könnten: "Wenn wir die Entwicklung immer aufhalten, wenn unser Staat so bleibt wie er vor 30 Jahren war, kommen wir auch nicht weiter. Dann kann sich unser Gesellschaft und unsere Wirtschaft nicht entwickeln. Ich finde es natürlich richtig, dass Nachtflugzeiten beachtet werden und dass man auch streng damit umgeht, aber ich kann einen solchen Protest, einen so gewalttätigen Protest vor allem, nicht nachvollziehen."
"Der Vorwurf tut mir weh"
Auf die Debatte zum Thema 'Lügenpresse' angesprochen, zeigt sich Dirk Kurbjuweit nachdenklich. "Dieses Phänomen habe ich nicht gesehen, als ich damals den Artikel über den Wutbürger schrieb, aber jetzt würde dieses Misstrauen gegen die Medien auch hineingehören. Leider muss ich sagen, denn das tut mir weh. Ich finde allerdings, dass das nur zu einem Teil gerechtfertigt ist, zum größten Teil natürlich nicht."
Dennoch, so Kurbjuweit, müsse die Presse sich fragen, ob tatsächlich Fehler gemacht würden. Auf Lesungen und Veranstaltungen werde ihm häufig vorgeworfen, dass Politiker und Journalisten in der Hauptstadt miteinander klüngelten.
"Wir und die Politiker dürfen nicht in einem Verbund miteinander leben"
"Wir werden als eine Klasse betrachtet und das finde ich fatal. Das darf nicht sein. Wir und die Politiker dürfen nicht in einem Verbund miteinander leben. Wir sind die Kontrolleure, wir sind vor allem die Kritiker der Politik und wenn draußen ein anderer Eindruck entsteht, müssen wir uns auch fragen, ob das vielleicht wirklich nicht so ist? Sind wir zu nah dran? Fehlt uns die kritische Distanz? Das ist eine Frage, die ich mir, letztendlich in meinem ganzen journalistischen Leben, immer wieder stellen und beantworten muss. Und das erwarte ich auch von anderen Journalisten."
"Ich duze mich mit niemandem"
Er selbst habe an sich diesbezüglich hohe Ansprüche: "Ich duze mich hier mit niemandem, ich gehe mit keinem Politiker Bier trinken und schon gar nicht saufen. Ich bin auch in keinem Hintergrundkreis. Ich kenne die Gefahren der Verführung, aber ich glaube, dass ich die Distanz halte. Ich glaube, dass das für den Großteil meiner Kollegen gilt, aber ich sehe auch ein Geduze, ein miteinander Glucken, das ich bedenklich finde."
kress.de-TV-Tipp: Leif trifft: "Empörte Bürger – die neue Macht im Land?", Erstausstrahlung: 23. September, 20.15 Uhr, SWR. Für die Sendung hat SWR-Chefreporter Thomas Leif unter anderem Regierungssprecher Steffen Seibert, Atila Altun vom „Tagesspiegel“, Hans-Joachim Heist (der Gernot Hassknecht aus der "heute-Show") und Alan Posener von der "Welt" getroffen. Die Gespräche mit den Interviewpartnern dokumentiert das SWR Fernsehen im Netz. Die Videos gibt es auch in der ARD Mediathek.
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