"Auf jeden Fall was mit Medien!", antworten immer noch viele Abiturienten, wenn der Lokalreporter nach ihrem Lebenswunsch fragt. Journalismus einer der begehrten Berufe. Wer Bewerber fürs Volontariat ausforscht, der weiß: Der Glanz der Medien zieht an, ungebrochen, der Tanz mit der Öffentlichkeit, der Einfluss, die Macht, die Prominenz.
Journalismus war immer schon der Beruf und die Berufung für die narzisstische Persönlichkeit. Das ist nicht wertend gemeint: Wer sich in die Öffentlichkeit begibt und die Menschen nicht mag, hat es schwer als Journalist; er muss den öffentlichen Auftritt mögen, die Reaktionen, die Liebes- und Schmähbriefe, den skeptischen oder gar vernichtenden Blick des Bürgermeisters, wenn er ihn auf dem Marktplatz trifft.
Auch wenn manche Journalisten ihr Ego so sehr lieben, dass sie schwer auszuhalten sind, so haben gerade sie oft eine große Schar von Bewunderern und ebenso große Schar von Gegnern. Das führt in Redaktionen zu dramatischen gruppendynamischen Effekten, doch dem Journalismus ist es gleich, wie groß oder gar übersteigert ein Selbstbewusstsein ist. Nicht gleich ist es, wenn ein Journalist nur ein schwaches hat.
Aber brauchen wir noch diese eitlen, sich selbst inszenierenden, jede Hitze überstehenden Typen? Wir sind nicht mehr allein im Universum der Information: Jeder, wirklich jeder, kann reden, schreiben, belehren, fluchen - und damit die ganze Welt beeindrucken oder belästigen. Brauchen wir also Journalisten nicht mehr, weil ein alter Traum in Erfüllung gegangen ist, eine Utopie verwirklicht: Alle reden mit?
Das Internet ist nicht die erste Technik, aus der die Utopie eines anderen, des vollkommenen Mediums gewachsen ist. Als in den dreißiger Jahre das Radio in die Wohnzimmer einzog, forderte Bertolt Brecht: "Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens, ein ungeheures Kanalsystem... Der Rundfunk müsste aus dem Lieferantentum herausgehen und den Hörer als Lieferanten organisieren."
Ersetzen wir Rundfunk durch Internet, dann wäre heute verwirklicht, was der Rundfunk kaum schaffte und wovon Brecht dennoch träumte: Alle Menschen reden mit! Allerdings kannte auch Brecht, der ein Realist war, den Menschen, und so kannte er auch die Grenzen der Kommunikation: "Man hatte plötzlich die Möglichkeit, allen alles zu sagen, aber man hatte, wenn man es sich überlegte, nichts zu sagen."
Die Trefferlisten von Google: "Wir wettern gerne gegen Konformität und schließen uns doch stets der Mehrheit an"
Brecht vermutete: Der Rundfunk in einer anderen, einer besseren Gesellschaft werde erst die Basis für das grenzenlose Gespräch der Menschen schaffen. Aber selbst nach dem Krieg, in der Blütezeit des Rundfunks, kam der "großartigste Kommunikationsapparat" über Carmen Thomas' "Hallo Ü-Wagen" nicht hinaus (wobei die Jüngeren mit der Sendung schon nichts mehr anfangen können); heute steckt der "Kommunikationsapparat" endgültig in der Sackgasse. Die Beteiligung der Hörer erschöpft sich in Anrufen, um bei den Privaten ein paar hundert Euro oder bei MDR Figaro, einer Kulturwelle, eine CD zu gewinnen - und bei Erfolg vor Tausenden von Zuhörern in grenzenlosem Jubel ausbrechen oder zumindest so tun, wie es schon hunderte Male zuvor inszeniert war.
So enden Utopien. Aber die Brechtsche Frage nach dem großen Dialog der Gesellschaft bleibt: "Sollten Sie dies für utopisch halten, so bitte ich Sie, darüber nachzudenken, warum es utopisch ist."
Wir denken nach - auch wenn nach dem Radio die nächste Utopie implodiert ist, wieder ein großartiger Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens: Das Internet.
Auch dieser Traum begann wie die andere Träume zuvor: Mit dem Internet wird alles, zumindest das Wichtigste, besser. Die Demokratie blüht auf, alle Menschen werden Schwestern und Brüder und gesittete Diskutanten im Selbstgespräch der Gesellschaft. So ginge die Herrschaft der gewählten oder selbst ernannten Eliten zuende; alle reihen sich ein in die große Gemeinschaft der Streitenden und sich Einigenden. Das Volk ist bei sich, genießt die wahre Freiheit, auf die die Menschheit Jahrtausende lang gewartet hat.
Der Sozialpsychologe und Leibniz-Preisträger Klaus Fiedler war einer von denen, die große Erwartungen an das Internet geknüpft hatten mit dem Traum von Emanzipation und "echter Meinungspluralität". Das Gegenteil sei eingetreten, beklagt er: "Pluralismus, Meinungsvielfalt und Diversität werden durch das Internet mehr bedroht als gefördert." Nicht Qualität, nicht Wahrheit zähle, sondern die von Google und anderen ermittelte Quote. Fiedler klagt:
Je mehr etwas die Aufmerksamkeit einer Mehrheit anzieht, desto mehr wird es durch vielfache Vernetzung noch befördert - das ist ein selbstverstärkender Prozess. Je mehr bestimmte Informationen ganz oben in den Trefferlisten von Google landen, desto stärker sinkt die Chance, dass andere, weniger geteilte Informationen überhaupt beachtet werden. Das Gleiche passiert in den sogenannten sozialen Netzwerken... Wir wettern alle gerne gegen Konformität und schließen uns dann doch stets der Mehrheit an.
In der Wissenschaft beobachtet Fiedler eine ähnliche Routine, die allerdings schon vor dem Internet gepflegt wurde: Die "Citation Indices" listen alle Bücher und Artikel auf und erstellen eine Rangliste der Universitäten, Forschungseinrichtungen und Forscher. "Je häufiger eine Arbeit zitiert wird, desto stärker wird sie von anderen wahrgenommen. Wir verwechseln das dann mit einem Siegel für wissenschaftliche Qualität. Dabei sorgt das nur dafür, dass sich eine Mehrheitsmeinung bildet, die sich dann automatisch selbst verstärkt."
Ohne Leidenschaft ist Journalismus wenig wert
Ist die Mehrheits-Meinung, sind die, die sie bestimmen, die neue Priester-Kaste der Medien? Lösen sie die Journalisten ab, die alte Priester-Kaste, die sich zwar in ihren Riten um sich selbst drehte, aber eine Macht im Staate ist?
Nein, wir brauchen gerade jetzt Journalisten, aber wir brauchen andere. Sie müssen die Hitze aushalten; das gilt weiterhin: In einer Demokratie mag keiner den Streit, aber alle nutzen ihn als Lebens-Elixier. Wir brauchen Journalisten, weil eine Demokratie sie braucht als "vierte Gewalt", als eine Instanz, unabhängig vom Staat und verpflichtet nur der Gesellschaft.
Wir brauchen Journalisten, die nach dem Verständnis unserer Verfassung "ständiges Verbindungsorgan sind zwischen dem Volk und seinen gewählten Vertretern in Parlament und Regierung". Das Internet in toto kann diese Instanz nicht sein, es ist anonym und vielstimmig und bar jeder Verantwortung.
Wir brauchen Journalisten, weil unser Land, wie auch die Welt, auf Wächter der Meinungsfreiheit angewiesen sind. Zu große Worte? Sie beziehen sich auf Artikel 5 des Grundgesetzes und auf Artikel 19 der UN-Menschenrechts-Charta. Wir brauchen Journalisten, die bereit sind, dies Wächteramt verantwortungsvoll wahrzunehmen.
Wir brauchen Journalisten mit Leidenschaft - also Leiden eingeschlossen -, die nicht nur sich selbst inszenieren, sondern den Menschen Orientierung geben.
Wir brauchen Journalisten mit Weltkenntnis, gerade Lokaljournalisten, die in der Provinz arbeiten, aber nicht provinziell denken
Wir brauchen Journalisten, die Nachrichten so auswählen, dass sie den Menschen nützlich sind und dem Wahrheits-Anspruch der Leser genügen. Doch müssen es Journalisten sein, die zuhören können und den Leser zu Wort kommen lassen - und trotzdem immer dem Zweifel Vorrang geben.
Wir brauchen Journalisten, die das digitale Gemurmel moderieren, die Verschwörungen einordnen, die Perlen im unendlichen Universum des Belanglosen finden können - und sich nicht schmollend in die Ecke verziehen, wenn sich Niedertracht und Häme über sie ergießen (die es übrigens immer gegeben hat, aber die erst heute ein Massenmedium gefunden hat).
Wir brauchen Journalisten mit Weltkenntnis, gerade Lokaljournalisten, die in der Provinz arbeiten, aber nicht provinziell denken. Der ideale Journalist, so schreiben wir im "Handbuch des Journalismus", hat keinen Hochmut, aber Neugier, Rückgrat, Misstrauen - und Weltkenntnis Und die Kenntnis von der Welt ist zentral, ist verwandt mit der Halbbildung: "Es ziert den Journalisten, sein Heimatland nicht für den Nabel der Welt zu halten."
Schadet es einem Lokaljournalisten, der über Flüchtlinge in seiner Stadt schreibt, wenn er durch Jordanien oder Eritrea gereist ist und das Leben im Armutsgürtel der Welt erlebt hat? Schadet es einem Lokaljournalisten, der über die Ansprüche von Bürgerinitiativen schreibt, wenn er durch Nepal oder Bolivien gewandert ist und Demut und Respekt gelernt hat?
Zusammengefasst: Wir brauchen Journalisten, die den Menschen helfen, besser leben zu können. Das ist der Wert von Journalisten im Leben der Menschen, der Gesellschaft und der Demokratie.
Das scheinen salbungsvolle Worte zu sein, für manche zu hymnisch, zu abgehoben. Aber es gibt keine Freiheit ohne die Pressefreiheit - und keine Pressefreiheit ohne Journalisten mit Leidenschaft, wo immer sie auch schreiben. Diese Journalisten gibt es auch schon heute, Journalisten, die ihre Leser ernst nehmen, die sie zu Wort kommen lassen und sich selber nicht zu wichtig nehmen. Aber die meisten "müssen noch immer ihre narzisstische Krise überwinden", wie es Miriam Meckel, Chefredakteurin der Wirtschaftswoche, in einem Interview beschrieb.
Was Journalisten sonst noch brauchen, um im digitalen Zeitalter anzukommen, ist Thema der nächsten Folge: "Ausbildung".
Bisher erschienen:
Teil 1: "Journalismus der Zukunft" am 9. Februar 2016
Teil 2: "All journalism is local - Aber welchen Lokaljournalismus brauchen die Leser" am 16. Februar 2016
Teil 3: "Der Lokaljournalismus muss seine Richtung ändern" am 23. Februar 2016
Nächste Folgen:
Teil 5: Unsere Ausbildung stimmt nicht mehr
Teil 6: Die neue Organisation der Redaktion
Teil 7: Was kommt nach der Lügenpresse?
Teil 8 ff: Die acht Pfeiler des Journalismus
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