In einem am 14. August 2016 ausgestrahlten Interview im Deutschlandfunk hatte ich mich (unter anderem) kurz zur Berichterstattung der Medien über Strafjustiz geäußert. Ich habe eine häufig geringe Qualifikation der damit befassten Journalisten kritisiert, eine eher "unterschichtsorientierte", kleinteilige Berichterstattung im lokalen Rahmen einerseits und eine eher an Äußerlichkeiten und scheinbaren Sensationen denn an Inhalt orientierte Berichterstattung in komplizierten (Wirtschafts-)Strafverfahren andererseits.
Diesen kritischen Bemerkungen, die ersichtlich weit entfernt waren von "pauschaler Verurteilung", "schweren Vorwürfen", einer Herabwürdigung von Journalisten und ähnlichen Schrecklichkeiten, die mir mit geradezu reflexhaftiger Wahllosigkeit nachgesagt werden, sind auf kress.de die Journalisten Prof. Dr. Frank Überall (Vorsitzender des Deutschen Journalisten-Verbands), Gisela Friedrichsen (Journalistin, "Der Spiegel"), Dr. Joachim Jahn (Neue Juristische Wochenschrift, früher "Frankfurter Allgemeine Zeitung") und Bülend Ürük, Chefredakteur von kress.de, und andere entgegengetreten. Sie nennen die Kritik "Journalisten-Schelte".
Journalisten über Journalisten: "ohne jede Ahnung"
Ich zitiere aus den Stellungnahmen der erstgenannten drei, die zu den bekanntesten Journalisten Deutschlands zählen:
Überall:
"In allen Berufen gibt es Menschen, die diesen herausragend gut machen und andere, die diesen grottenhaft schlecht machen. Bei Richtern ist das so, und bei Journalisten natürlich auch. (Es) mag Kollegen geben, die ohne jede Ahnung mal eben über das Gericht schreiben und sich dabei toll vorkommen. (...) Das Problem ist (...) die mangelnde Wertschätzung für Journalismus und damit auch für uns Journalisten. Wer bei lokalen Tageszeitungen ein Honorar für Gerichtsberichterstattung zahlt, das nicht einmal das Niveau des gesetzlichen Mindestlohns erreicht, wird kaum wirklich qualifizierte Journalisten bekommen".
Friedrichsen:
"Die meisten Kollegen haben nicht mal mehr einen eigenen Schreibtisch in ihrem Verlag. Dort gibt es zwar Sportreporter, Wirtschaftsredakteure, Feuilletonisten und politische Korrespondenten. Ins Gericht geschickt aber werden Volontäre oder pensionierte Kollegen gleich welcher Fachrichtung, die ihre schmale Rente damit aufbessern."
Jahn:
"Rechtsberichterstattung kann grauenhaft schlecht sein. Vor ein paar Tagen twitterte ein bundesweites Qualitätsblatt: 'Acht mutmaßliche NS-Verbrecher wurden ausfindig gemacht. Ob sie verurteilt werden, entscheiden Staatsanwälte.' Da ist nicht einmal das Wissen aus dem Gemeinschaftskundeunterricht vorhanden. Klar, dass es im Lokaljournalismus von oft kleinen Blättern und Verlagen noch öfter schief geht. Mitunter ist es zum Verzweifeln, was die Journaille hervorbringt. (...) Dass in Zeiten der Zeitungskrise qualifizierte und gründliche Schreiberlinge schwerer zu gewinnen sind als früher, ist sicher richtig."
Mehr als deutliche Worte, kann man dazu nur sagen! Kollegenschelte und Nestbeschmutzung der ganz harten Sorte! Eine hochbezahlte Elite der Journalisten watscht die (zu ihren Gunsten) mit Trinkgeld abgefundenen Kollegen aus den Lokalredaktionen ab, dass es nur so klatscht! Für diejenigen, die sich missverstanden, erniedrigt oder disqualifiziert fühlen, setzt Herr Doktor Jahn auch gern noch eins drauf: "Dass viele Medienmenschen einen Hang zur Selbstgefälligkeit und Wichtigtuerei haben, ist eine Berufskrankheit."
Von Selbstkritik, Einsicht, Bescheidenheit in eigener Sache: keine Spur.
Wir sind super! Wer "Wir" ist, sagen wir nicht so ganz genau; Wir ist jedenfalls: ICH. Irgendwo da draußen wimmelt es von "grottenschlechten" Nichtskönnern, Ahnungslosen und Rentnern (Frau Friedrichsen ist jugendliche 70). Der Leser staunt.
Per aspera ad astra
Was nach derart massiven Beschimpfungen der eigenen Profession kommt, kann, so denkt der Laie, wohl nur ein dankbares Lob für den außenstehenden Richter sein, der die genannten gravierenden Missstände einmal - sehr zurückhaltend, wie der Vergleich zeigt - vor einem Millionenpublikum angesprochen hat.
Weit gefehlt! Die Star-Journalisten empören sich unisono dagegen, dass der Kritiker schwere Fehler begangen habe: Herr Überall meint, man (wer auch immer) solle an den Ursachen etwas ändern, statt "pauschale Agitation" zu betreiben. Frau Friedrichsen mäkelt, der Kritiker lebe in einer "Komfortzone" und solle sich deshalb nicht so anstellen. Ihre eigene 40-jährige Komfortzone hat sie vergessen, tritt aber tapfer den "Kollegen mit schmaler Rente" von hinten ins Knie.
Herr Jahn schließlich - vormals "FAZ"-Kämpe - hat beim Kritiker Fischer einen "klassenkampforientierten" Impetus (aus Kronberger Sicht natürlich ganz schlecht!) entdeckt, weil er die Leiden der Damen und Herren Middelhoff & Co. an der Sensationspresse nicht hinreichend würdige. Genau dies hatte der Kritiker allerdings in den zwei Minuten des(selben) Interviews getan, die Herr Jahn vermutlich verpasst hat. Allerdings muss man sagen: Eine "Klassenkampf-Orientierung" ist ein Argument, das nun schon wirklich schwer wiegt im Diskurs um die Gerichts-Berichterstattung. Die "FAZ" ist da völlig unverdächtig.
Niemals hat diese Zeitung bei der Berichterstattung über Rechtsfragen soziale Orientierung erkennen lassen.
Merke: Man darf zu Journalisten sagen, Wichtigtuerei sei ihre Berufskrankheit, Ahnungslosigkeit ihre Verfassung und grottenfalsche Texte ihr Geschäft. Man darf das aber nur sagen, wenn man selbst ein Journalist ist und dazu sagt, es gebe auch einige Ausnahmen, vor allen Dingen einen selbst. Richter dürfen so etwas allerdings weder über Richter noch über Journalisten sagen. Sie sind dann "umstritten", wichtigtuerisch oder zumindest "unausgelastet".
Was sagt uns das?
Journalisten haben, da stimme ich Herrn Jahn zu, einen berufsbedingten "Hang zur Wichtigtuerei und zur Selbstgefälligkeit". Sie gefallen sich in Larmoyanz, wenn es um die geringste Kritik an ihren eigenen Fehlleistungen geht, meinen aber zugleich, jeder Tag, an dem sie nicht fünf angebliche Fehlleistungen anderer Menschen öffentlich anprangern, sei ein verlorener Tag für den Pulitzerpreis.
Journalisten merken - wie dieser Fall einmal mehr zeigt - vor lauter stereotyper Voreingenommenheit, reflexhaftem Repetitionszwang und narzisstischer Selbstgewissheit noch nicht einmal mehr, wenn draußen vor ihrem Fensterlein jemand mit aller Kraft und ziemlich gutem Willen ihr eigenes Anliegen unterstützt: Eine qualitätsvolle, informierte, differenzierte und sachkundige Berichterstattung über das überragend wichtige Thema "Recht und Justiz" zu sichern. Sie scheuen sich noch nicht einmal, jemanden, der das - zu ihren eigenen Gunsten! - einfordert, der "Ahnungslosigkeit" (Friedrichsen) zu bezichtigen oder von ihm zu fordern, er (!) solle die Verhältnisse ändern, anstatt sie zu kritisieren:
"Wenden Sie sich an die Verlage", mäkelt Frau Friederichsen. "Ändern Sie die Ursachen!", murmelt der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands, bescheinigt seinen Kollegen "grottenschlechte" Arbeit und hat anschließend keine Zeit mehr. Wachen wir, oder träumen wir?
Profis unter sich
Herr Jahn meint: Es entbehre nicht "einer beträchtlichen Ironie, dass der Vorwurf eines 'typisch herablassenden Tons' ausgerechnet vom Hobby-Blogger Fischer kommt (...)". Alte "FAZ"-Schule halt. Der Satz ist immerhin schön genug, dass er, wie manches andere, am nächsten Tag von einem jungen Kuchenfreund auf RP-Online wörtlich abgeschrieben wurde, um den von ihm angestrebten "minimalen Mindeststandard" zu erreichen.
Das entscheidende Wort in der Jahn-Analyse ist "Hobby". Es gibt, wie Sie, liebe Leser, vom Radfahren, Walken und Aqua-Jogging und Computerspielen wissen, in allen Bereichen unserer christlich-abendländischen Kultur Hobby-, Semi-Profi- und Profi-Qualität. Hobby ist ganz schlecht, Profi ist super, Semi-Profi hängt dazwischen, wird überwiegend von 42-jährigen überambitionierten Triathleten verwendet und riecht ein bisschen nach Tattoo-Studio. "Mit 14 Jahren Profisportler" ist der Traum des Lebens einer Milliarde misshandelter Kinder. Kein Mountain-Biker würde ohne "professionelle" Sonnenbrille aufbrechen, und die Bratwurst schmeckt erst ab Semi-Profi- Grill aufwärts überhaupt nach Fett.
Deshalb ist es von enormer Bedeutung, dass Herr Jahn und seine Kollegen "Profis" sind. "Sie haben", so schreibt es Frau Friedrichsen dem Kolumnisten ins Poesiealbum, "keine Ahnung". Ja, wenn das kein Argument ist! Der Kolumnist wiederum schreibt an die grottenschlechten Rentner der "grauenhaften" Rechtsberichterstattung: Find' ich doch. Die Frage ist hier nämlich, wer von was Ahnung haben muss. Ich meine noch immer: Wenn der eine Häuser baut und der andere darüber schreibt, müsste wohl eher der Schreiber vom Häuserbauen ein bisschen Ahnung haben als der Häuserbauer von Schreiben. Und wenn das "keine Ahnung haben" sich in der wehleidigen Behauptung erschöpft, der Architekt wisse nicht, wie schlecht der Journalist für seine schlechte Arbeit bezahlt wird, ändert das leider gar nichts daran, dass man nicht einfach Türen als Fenster, Bauhaus als Gründerzeit und Eiermann als Hundertwasser bezeichnen darf.
Quellen der "Ahnung"
Ist jemals jemand durch Dabeisitzen bei Mandeloperationen zum Sachverständigen für HNO-Medizin mutiert? Gibt es Menschen, die durch das bloße Interviewen von Tischtennisspielern Olympiasieger am Reck geworden sind? Gibt es eine Ausbildungsmethode, die durch das Betrachten von Nobelpreisverleihungen zum Diplom in Mathematik führt?
Ich meine vorerst: Nein. Daher würde es mich auch außerordentlich erstaunen, wenn jemand durch das Herumsitzen in Gerichtssälen irgendeine vertiefte Kenntnis vom im Einzelfall anzuwendenden materiellen Recht, dem Prozessrecht, der Psychiatrie, der Glaubhaftigkeitspsychologie gewinnen könnte und obendrein sogar noch zur psychologischen Ferndiagnostik von Richtern, Beschuldigten und Zeugen fähig wäre. Niemand verlangt das von Menschen, die keine Ahnung haben. Das ändert aber nichts daran, dass man ihre Arbeitsergebnisse kritisieren darf.
Ich bleibe dabei: Die lokale Gerichtsberichterstattung ist häufig von einem herablassenden, distanzlosen Ton gekennzeichnet. Die Motive der handelnden Personen werden als lächerlich oder belanglos hingestellt, ihr Auftreten vor Gericht als unbeholfen, ihre Einlassungen als lustig. Die Berichte wirken oft, als erzählten sie von der letzten Fernseh-Gerichtsshow. Wenn über Verfahrensfragen überhaupt einmal berichtet wird, sind die Schilderungen und Erläuterungen oft grob falsch und ersichtlich am Konsum amerikanischer Filme ausgerichtet.
Die "Herablassung", die ich hier meine, ist eine solche gegen die "einfachen Leute", die Dummen, Unbeholfenen, Verlierer. Wer wie Herr Jahn meint, der "herablassende" Kolumnist von Zeit-Online dürfe anderen das nicht vorwerfen, hat einen wesentlichen Unterschied nicht bemerkt.
Ganz anders, aber erwartbar, ist die Berichterstattung in komplizierten Verfahren, über die sich nicht unter dem Titel "Pack schlägt sich, Pack verträgt sich" berichten lässt. Über Wirtschaftsstrafverfahren etwa wird fast ausschließlich auf eine Weise berichtet, die es dem Leser fast unmöglich macht zu verstehen, worum es überhaupt geht. Statt die komplizierten Sachverhalte zu erläutern, in die man sich mühsam einarbeiten müsste, berichtet man lieber über die Farbe des Anzugs der angeklagten Manager oder veröffentlicht Fantasie-Analysen ihrer angeblichen psychischen Verfassung.
Beides zusammen, und vieles mehr, führt dazu, dass die große Mehrheit der Bürger einen Kenntnisstand vom Strafrecht und Strafprozessrecht hat, der geradezu erschütternd niedrig ist. Selbstverständlich gibt es Ausnahmen! Es gibt Zeitungen, die weit überdurchschnittlich gut berichten, und es gibt Journalisten, die auch unter schwierigen Bedingungen beeindruckende Leistungen hervorbringen. Aber wenn das die Mehrheit wäre, wäre das Ergebnis in der Breite nicht, wie es ist. Ich kritisiere dieses Ergebnis in der Breite. Zu behaupten, "alle" Journalisten arbeiteten schlecht, wäre albern; niemand tut das.
Muss man das Journalisten wirklich erklären? Und muss man ihnen wirklich im Einzelnen darlegen, wie Kritikabwehr, Selbstgefälligkeit und reflexhafte Vorneverteidigung funktionieren und aussehen? Sie müssten es doch wissen und erleben es, wenn sie selbst Kritik formulieren, ständig:
Kaum schreibt einer, in der deutschen Strafjustiz laufe - zum Beispiel in Wirtschaftsstrafverfahren - vieles schief, da braust ein Stürmchen der Entrüstung durch die Richterzimmer, bedeutende Repräsentanten des Standes treten an die Mikrofone und sprechen: Es sei unerhört, wie hier die Mehrzahl der fleißigen Richter beschimpft werde. Die Journalisten hätten "keine Ahnung" von den schlechten Arbeitsbedingungen. Es handle sich um eine völlig einseitige Kritik. Die Kritiker sollten lieber ihre Arbeit machen. Man sei ja immer dialogbereit, aber "so nicht".
Kommt Ihnen das bekannt vor?
Eines der - mit Verlaub - dümmsten Wörter, das dem Journalismus leider an den Schuhen klebt wie Hundedreck, ist das Wort "Schelte". Es erinnert irgendwie an Struwwelpeter, Kindererziehung und den säuerlichen Geruch der 50er Jahre. "Schelte" heißt im vorgeschriebenen Mediensprech jede Kritik, die nicht vom jeweiligen Presseorgan selbst kommt.
"Kollegenschelte" ist zum Beispiel ganz schlimm, etwa wenn ein Richter sagt, er teile die Ansicht eines anderen Richters nicht. Fürchterlich ist auch "Politikerschelte", gern verbunden mit dem Attribut "verbreitet". Das aller-, allerschlimmste aber ist ein Verbrechen namens "Presseschelte" (immer in Tateinheit mit einem Anschlag auf die Pressefreiheit und Art. 5 Grundgesetz). Der ordentliche Leserbriefschreiber sagt ja oder nein und hält im Übrigen den Schnabel; notfalls wird gekürzt. Aber wer irgendetwas Systematisches kritisiert, Zustand und Entwicklung der Presse etwa, oder eine insgesamt schlechte Qualität, wird gnadenlos der "Presseschelte" überführt - von Anklägern, die zugleich Richter und Vollstrecker sind, Berufung nicht zulassen und Gnade für Schwäche halten. Sie sind überdies total unabhängig und ausgewogen. Sie belehren ununterbrochen alle und jeden. Aber wer sie belehren will, kann nur ein streitsüchtiger Wichtigtuer sein, der "keine Ahnung" hat. Noch weniger als die grottenschlechten lieben Kollegen vom Konkurrenzblatt.
Thomas Fischer
Zur Person: kress.de-Gastkommentator Thomas Fischer ist Vorsitzender Richter des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs.
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