Beworben wurde sie wie ein Action-Thriller. Für die "ARD-Exclusiv"- Reportage "Der Kampf um die Windräder" startete der mediale Countdown bereits acht Tage vor der Ausstrahlung. Co-Autor Achim Reinhardt, "Report Mainz" und ARD-Programmdirektor Volker Herres trommelten auf Twitter für das journalistische Vorzeigestück. Am 30. Juli erreichte der Spannungsaufbau seinen Höhepunkt:
"Windkraft-Kritiker Enoch zu Guttenberg erhielt anonyme Morddrohungen. 'Der Kampf um die Windräder', 1.8., 21:45h ARD".
Derart reißerisch müssen sich Polit-Magazine und Reportagen heute verkaufen, wenn sie genügend Aufmerksamkeit generieren wollen. Aber nicht nur die aggressive Vermarktung, auch die Machart der "typischen Politmagazine" scheint sich unaufhaltsam der Magazin-Parodie von Philipp Walulis anzunähern.
Gute Einzelfälle
"Der Kampf um die Windräder" ist in seinem ersten Teil eine gut gemachte Magazin-Reportage: nah an den Menschen und ihren Ängsten, klar aufgebaut und verständlich erzählt. Die preisgekrönten Reporter Susanne Butter und Achim Reinhardt benötigen nur wenige Minuten, um den Zuschauern zu verdeutlichen, wie sehr die Menschen im ostfriesischen Landkreis Aurich unter dem Lärm und der Landschaftszerstörung der neuzeitlichen Industrieparks leiden, wie leicht sich Kommunalpolitiker von der Windkraft-Industrie korrumpieren lassen und wie abwegig der Bau von Anlagen an windarmen Standorten ist. Manches Windrad werde nur deshalb in die Landschaft gestellt, weil die politischen Zielvorgaben dies verlangen und die Ökostrom-Subventionen reichlich fließen. Es wäre also absurd, wollte eine kritische Reportage über "die Auswüchse der grünen Boom-Branche" Fehlentwicklungen schönreden oder gar leugnen. Bei 26.500 Windrädern im Land - und mittlerweile 650 Bürgerinitiativen dagegen - würde das nur Kopfschütteln produzieren.
Der erste Teil der halbstündigen SWR-Reportage ist denn auch wenig umstritten. Zahlreiche Szenen des Films hatte "Report Mainz" schon im Januar 2015 gesendet - unter dem zugkräftigen Titel "Selbstbedienung leicht gemacht - Wie Lokalpolitiker mit Windrädern Kasse machen". Auch das übrige Personal in dieser "exclusiven" ARD-Reportage war in anderen Filmbeiträgen schon ausführlich zu Wort gekommen, etwa in Jörg Hilberts starker NDR-Reportage "Windiges Geld - Dubiose Geschäfte mit der Windkraft" vom 17. Mai oder in der "Spiegel"-Reportage "Grüner Filz" vom 2. April 2016. Leider machen die Autoren ihr Archiv-Material nicht durch Einblenden des Aufnahmedatums kenntlich und nennen auch nicht die Vorarbeiten ihrer Kollegen. Schade ist auch, dass die Zuschauer nicht erfahren, dass die stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Urspringen ihre Anschuldigen gegen einen Landwirt längst zurückgenommen hat. Ihre Aussage fehlt nun im verwendeten Archiv-Material - während der beschuldigte Landwirt weiter vorkommt.
Aber das sind Peanuts im Vergleich zur Machart des zweiten Teils der Reportage. Dieser zweite Teil hat einen kleinen Proteststurm ausgelöst. Windkraft-Befürworter erkannten schlimmste "Hetzpropaganda", "ein Lehrstück perfider Demagogie" und Journalismus im Bildzeitungs-Stil. "Die gebührenfinanzierte ARD" habe sich ein faules Ei ins Nest legen lassen, zur besten Sendezeit zeige sie einen "Gruselschocker", in dem sich "die Hardcore-Windkraftgegner minutenlang vor der Kamera austoben" können. Dirk Maxeiner von der "Achse de Guten" und "Roland Tichys Einblick" lobten dagegen - im Verein mit der "Bildzeitung" - den Mut der Reporter, unbequeme Wahrheiten auszusprechen. Überzeugte Windkraftgegner hielten die Protestschreiben gegen den Film für eine von der Windkraft-Lobby gesteuerte Kampagne. Offenbar vertrage das von Journalisten so gern verhätschelte Öko-Milieu keine offene Kritik. Ist da was dran?
Windkraft unter Generalverdacht
Im zweiten Teil der Reportage wechselt die Kamera abrupt die Perspektive. Die Nahaufnahme der Einzelschicksale wird abgelöst von der Totale des gesellschaftlichen Interessenkonflikts. Der Bund Naturschutz, heißt es, habe seine Ziele verraten und sich der Windkraftindustrie an den Hals geworfen, es gebe unanständige personelle Verflechtungen, der Redaktion lägen interne E-Mails vor, auch exklusive Unterlagen, die Kungelpolitik zwischen Naturschützern und Windindustrie im großen Stil befürchten lassen. Selbst die Politik in Berlin werde von aggressiven Windkraft-Lobbyisten mit rüden Methoden unter Druck gesetzt. Sie nötigen die Abgeordneten mit gekauften Demonstranten, vorfabrizierten Demo-Plakaten und gesteuerten E-Mail- Kampagnen zu immer größeren Zugeständnissen. Die Folge: steigende Strompreise aufgrund einer verschwenderischen Subventionierung der Windenergie. In den Zeugenstand gerufen werden: eine alleinerziehende Mutter, die ihre Stromrechnung nicht mehr bezahlen kann, zwei CDU- und ein SPD-Abgeordneter, die über massive Pressionen aus der Windindustrie klagen, zwei prominente Abtrünnige aus dem attackierten Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), darunter als Kronzeuge der unvergleichliche Enoch zu Guttenberg (CSU).
Eine solche Zuspitzung ist Journalisten, die gesellschaftliche Missstände aufdecken wollen, zweifellos erlaubt. Es gehört nicht zu den Aufgaben investigativer Reporter, zu jeder Rede eine Gegenrede einzuholen oder "objektiv" und "ausgewogen" zu berichten. Reporter dürfen zu ihren Themen eine Haltung entwickeln und diese auch zeigen.
Problematisch am Film über die Windräder ist etwas ganz anderes. Laut Ankündigung will er "die Auswüchse einer Boombranche" aufzeigen, nicht die Branche als Ganzes diskreditieren. So argumentierte auch die Report-Mainz-Redaktion, als sie den Film am 10. August in einer offiziellen "Stellungnahme" gegen jede Kritik verteidigte. Es sei den Reportern nur um die Auswüchse gegangen, um Extrembeispiele. Doch gerade diesen Anspruch löst der Film nicht ein. Im Gegenteil, er konterkariert ihn. Er schließt von wenigen Einzelfällen auf die Verderbtheit des ganzen Systems - und das in diffamierender Weise.
Hervorgerufen wird der Eindruck der Diffamierung vor allem durch den süffisanten, bisweilen höhnischen Tonfall des Kommentars, den die Autoren über ihre Bilder legen. Verpackt in naiv erscheinende Fragen reiht sich da Verdacht an Verdacht, Unterstellung an Unterstellung: "Selbstbedienung leicht gemacht? Hat der Herr Bürgermeister vielleicht ein wenig nachgeholfen? Gab es einen Deal? Schmutzige Geschäfte mit sauberer Energie? Viele Umweltschützer und Lokalpolitiker - verquickt mit der Windkraftenergie? Steigende Strompreise wegen des Booms bei der Windkraft? Sind hier nur Idealisten unterwegs, denen das Klima am Herzen liegt?" Mit derart scheinheiligen Fragen ist der Film geradezu gespickt. Verdächtigungen werden den Zuschauern so oft ins Unterbewusstsein gejubelt, dass sie den Schlusssatz der Reportage einfach glauben müssen: "Einige wenige machen satte Gewinne auf Kosten der Bürger und der Natur".
Geschicktes Weglassen
Recherchiert man die Hintergründe der im Film auftretenden Windkraftgegner, wird auch schnell klar, dass viele "Betroffene" und "Experten" aus dem Umfeld bundesweit agierender Netzwerke stammen, die unter so schönen Namen wie "Vernunftkraft" oder "Windwahn" firmieren - in Mecklenburg-Vorpommern wird am 4. September sogar erstmals eine eigene Anti-Windkraft- Partei für den Landtag kandidieren.
Es spricht absolut nicht gegen den Film, dass er Zeugen und Belege bevorzugt aus diesem politischen Reservoir schöpft. Wo Interessen aufeinanderprallen - wie beim Thema Windkraft - muss man sie ehrlich benennen. Gegen den Film spricht aber, dass er politische Zusammenhänge und Netzwerke ausschließlich bei Windkraftbefürwortern sucht und thematisiert, während die Windkraftgegner als unpolitische, nicht miteinander vernetzte Opfer böser Mächte erscheinen. Insofern ist der Film ein vorzügliches Lehrstück über geschicktes Weglassen und gezieltes Einsetzen von Informationen.
Dass die Report Mainz-Redaktion dieses Vorgehen in ihrer Stellungnahme flugs zur journalistischen Sorgfalt verklärt, zeigt, dass sie bereit ist, sich auch bei heftigem Gegenwind vor ihre Mitarbeiter zu stellen. Die unkritische Verteidigung des Films zeigt aber auch, dass Politmagazine unter den Bedingungen der Aufmerksamkeitsökonomie zu jenen Krawallreportagen tendieren, die Philipp Walulis so genial parodiert hat. Und sie macht deutlich, dass die Polit-Magazin-Redaktion offenbar unfähig ist, differenziert auf begründete Kritik einzugehen.
Wolfgang Michal
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