Wer nicht mehr an die Zukunft glaubt, der steckt weder Geld noch Energie in die Ausbildung. Oder er weiß nicht, wie er eine Ausbildung für die Zukunft organisieren soll. In beiden Fällen wickelt er einfach sein Geschäft ab.
Die deutschen Zeitungsverleger gründeten in den goldenen Zeiten ein Bildungswerk, das ABZV, mit "Angeboten zur Qualitätssicherung". Wer den lesenswerten Newsletter vermisst, wer nach Kursen für Aus- und Weiterbildung schaut, entdeckt online diese Zeile: Wir stellen unseren Geschäftsbetrieb zum 30. September 2016 ein. Nach 27 Jahren endet die Aus- und Weiterbildung der deutschen Zeitungsverleger: Rund zwanzigtausend Volontäre und Redakteure, also zwei Journalisten-Generationen, haben hier gelernt, was Qualität im Journalismus bedeutet.
Wir haben doch Journalistenschulen - als Ausgleich! So könnte man denen erwidern, die ratlos sind: Zehn Journalistenschulen für Qualitäts-Journalismus. Diese zehn haben Anfang Juli bei der Jahrestagung von Netzwerk Recherche eine Charta verabschiedet, um "die Glaubwürdigkeit des Journalistenberufs" zu stärken und "die Attraktivität des Berufs zu erhalten".
Wer jedoch die Charta liest, schaut in die Misere unserer Journalisten-Ausbildung: Allgemeinplätze, Mindestanforderungen und Selbstverpflichtungen, die keiner kontrolliert. Das Wort "Qualität" kommt ein Dutzend Mal vor: "Die Schulen sorgen für ein angemessenes Qualitätsmanagement ihrer Trainings und Seminare. Die Trainings werden systematisch einer Qualitätskontrolle unterzogen." Doch was Qualität ist, wie sie kontrolliert wird, gar systematisch, das wird nicht bestimmt.
Die Großen der Zunft - wie Springer, Gruner oder Burda - brauchen keine Charta, auch wenn sie von ihnen unterschrieben wurde; sie wissen nicht nur, was Qualität ist, sie verwirklichen auch eine vorbildliche und kostspielige Ausbildung. Aber in den Vorzeige-Schulen wird nur ein Bruchteil der kommenden Journalisten-Generationen ausgebildet, die Elite, die sich die Großen für ihre Zukunft sichern. Was ist mit der Mehrheit, vor allem mit denen, die in den Verlagen einsam vor sich hin ausbilden?
Also noch einmal - das Elend der Ausbildung, vor kurzem ausführlich hier beschrieben in der kress.de-Serie "Journalismus der Zukunft". Warum? Eine Studie der Universität Ilmenau in Thüringen beweist: Auch Volontäre kritisieren die Qualität ihrer Ausbildung und ihrer Ausbilder; immerhin gut zweihundert Volontäre haben ausführlich den Forschern geantwortet.
"Journalisten werden für eine Zukunft in der Vergangenheit ausgebildet", schrieb ein Volontär in seinen Fragebogen. Kathrin Konyen aus dem Bundesvorstand des Deutschen-Journalisten-Verbands (DJV), der die Umfrage in Auftrag gegeben hat, kommentiert die Ilmenauer Studie: "Während die Vermittlung von klassischen journalistischen Fähigkeiten einigermaßen zufriedenstellend ist, hat die Ausbildung offenbar den Anschluss an die veränderten Anforderungen im Journalismus verpasst."
Selbst diese Interpretation, das Handwerk werde ausreichend vermittelt, ist reichlich optimistisch: Drei von zehn Volontären geben an, weder zu lernen, wie ein Journalist recherchiert, noch Recherche trainiert zu haben.
Nun mag man einwenden: Nicht die Volontärin soll bestimmen, was sie lernen muss, sondern Chefredakteur und Verleger - nach der alten Weisheit: Lehrjahre sind keine Herrenjahre. Aber diese Hybris kann sich keiner mehr erlauben: Die Volontäre sind heimisch in der digitalen Welt, während ihre Ausbilder noch elektrische Schreibmaschinen kennen und Klebe-Umbruch. So denken Volontäre offenbar intensiver an die Zukunft als viele ihrer Chefs, die eigentlich die Zukunft systematisch vordenken sollen. Eine Volontärin schreibt ihre Verwunderung in den Ilmenauer Fragebogen:
"Die Journalistik hinkt Jahre hinter der Realität des Mediensystems hinterher." Was die Thüringer Wissenschaftler herausgefunden haben, bestätigt der Hamburger Medienprofessor Weichert, der von der Arroganz der Ausbilder spricht, die sich vom alten Denken nicht lösen wollen. "Leider gibt es viele Kollegen, die noch nicht verstanden haben, dass journalistische Ausbildung neu gedacht werden muss."
Journalismus muss allerdings nicht neu gedacht werden, aber er ist schwieriger geworden. In Zukunft muss ein Journalist das Handwerk beherrschen, so wie es Generationen vor ihm gelernt haben, aber er muss auch die sich stets wandelnde Technik beherrschen, muss immer wieder neu lernen, muss sich an den Lesern ausrichten, und er muss unternehmerisch denken, ohne die Unabhängigkeit seiner Profession zu gefährden. Das ist ein Dilemma, das ist das Dilemma der Ausbildung in den Verlagen:
Es reicht nicht mehr, dass eine Volontärs-Mutter ihre Schützlinge behütet, ihnen das Porträt-Schreiben erklärt und oft vergeblich kämpft, wenn beim Engpass in einer Lokalredaktion die Volos nicht zu Kursen geschickt werden.
Es reicht nicht, die Volontäre zu den Schulen zu schicken: Training und Theorie müssen verzahnt werden mit der Praxis in den Redaktionen. Das wird torpediert, wenn die Volontäre in ihrer Redaktion empfangen werden mit dem Schulterklopfen: Jetzt wird wieder richtig gearbeitet, vergiss lieber schnell das theoretische Gequassel.
Es reicht nicht, die Volontäre ein paar Woche in die Online-Redaktion zu schicken, sie Zeitungs-Artikel ins Netz transportieren oder der Polizei hinterherhecheln zu lassen.
Wie würde Google Journalisten ausbilden? Oder ein anderer der digitalen Konzerne? Dabei ist nicht entscheidend, was sie lehren, sondern vor allem wie sie lehren, wie sie miteinander arbeiten, wie sie führen, mit Fehlern umgehen - kurzum: wie sie mit Phantasie und Neugier die Welt neu erschaffen, ohne beliebig zu werden und nur nett zu sein (auch die digitale Welt ist eine harte Welt).
Ausbilden wie Google - das können Konzerne wie Springer, Gruner und Burda leisten, und sie tun es auch. Journalistenschulen, die nicht an Redaktionen angebunden sind, können es nur mühsam simulieren; Redaktionen könnten es leisten, wenn die Chefs es wollen und auch mal Geld in die Ausbildung und Ausbilder investieren, viel mehr Geld als heute.
Die meisten Volontäre müssen die Chefredakteure nicht zum Jagen tragen. Sie sind schon auf der Pirsch. Die Ilmenauer Studie belegt: Zwei von drei Volontäre wollen mehr über wirtschaftliches Handeln lernen und es auch trainieren, nicht zuletzt um im Überlebenskampf zu bestehen außerhalb einer Festanstellung. Die meisten Chefredakteure und Manager übersehen die Chance für die Verlage selber: Wer, wenn nicht die jungen Journalisten, wird in der Lage sein, neue Geschäfte auszudenken, auszuprobieren und zu verwirklichen?
Die Verlage bereiten ihre Volontäre immer noch auf eine Festanstellung vor - selbst wenn die für immer weniger möglich oder allenfalls mit Zeitverträgen zu erreichen ist. Nicht weit hergeholt scheint der Vorwurf von Gewerkschaften, Volontäre füllten die Lücken in den schrumpfenden Redaktionen. Ist es ein Zufall, dass nach Stellenstreichungen vermehrt Volontäre eingestellt werden? Der Protest von fest angestellten Redakteuren und von Betriebsräten bleibt meist zurückhaltend.
In der Ilmenauer Volontärs-Studie beklagen die Volontäre:
Wir werden nicht auf Management-Aufgaben vorbereitet.
Wir trainieren nicht den Umgang mit Sozialen Medien.
Wir wissen zu wenig über unsere Leser (und erst recht die Nicht-Leser).
Wir lernen nicht, welche digitalen Werkzeuge es gibt und wie man sie nutzt.
Wenn Verlage nicht lernen, auszubilden wie Google es täte, wird es irgendwann Google selbst tun.
Paul-Josef Raue, Autor der Kolumne "Journalismus!", war Absolvent des ersten Jahrgangs der Hamburger Journalistenschule, von Wolf Schneider geführt, und schätzt die heutige Nannen-Schule als Ausbildungs-Vorbild ebenso wie die Springer-Akademie in Berlin. Viele Jahre hatte Raue einen Lehrauftrag für Journalismus inne und schrieb mit Wolf Schneider das Standardwerk "Das neue Handbuch des Journalismus und des Online-Journalismus", das in stets überarbeiteten Auflagen seit zwanzig Jahren im Rowohlt-Verlag erscheint. Er nimmt als Referent teil an der von Ulrike Kaiser organisierten Ausbildungskonferenz der "Initiative Qualität", die am 15. September bei der Deutschen Welle in Bonn stattfindet.
INFO
Die Ilmenauer Studie gibt es nicht als Zusammenfassung, sie ist angekündigt. Die ersten Ergebnisse können hier heruntergeladen werden.
Acht Thesen der Gewerkschaft zur Zukunft des Journalismus
Der DJV hat vor drei Jahren diese Thesen aufgestellt, die man auch als Forderung an die Journalistenausbildung verstehen kann:
1. Die Mehrheit der Journalistinnen und Journalisten arbeitet freiberuflich
2. Festangestellte werden zu Redaktionsmanagern
3. Journalistinnen und Journalisten werden zunehmend als Marke wahrgenommen
4. Technische Kompetenz ist eine wichtige Bedingung für Erfolg
5. Journalistinnen und Journalisten verbinden und interagieren
6. Journalisten werden verstärkt zu Unternehmern
7. Journalistinnen und Journalisten haben Freiräume
8. Solidarität prägt den Umgang
16 Thesen und Empfehlungen zum digitalen Journalismus
Das Fazit aus dem Buch "Digitaler Journalismus" von Stephan Weichert und Volker Lilienthal, hier stark gekürzt:
1. Die Digitalisierung des Journalismus wird in den Redaktionen weithin als Chance begriffen. Journalisten sind in ihrer Berufsausübung jedoch einem komplexen Wandlungsprozess unterworfen, der neue handwerkliche Kompetenzen voraussetzt und den Journalisten eine hohe Anpassungsbereitschaft an die digitalen Umgebungen abverlangt.
2. Um die publizistischen Experimentiermöglichkeiten im Digitalen Journalismus zu steigern, müssen bei Medienhäusern entsprechende Ressourcen vorgehalten und redaktionell-organisatorische Infrastrukturen geschaffen werden - ansonsten bleiben Willensbekundungen nur Lippenbekenntnisse.
3. Auch der Journalismus unter digitalen Vorzeichen wurzelt in gutem, also qualitativ hochwertigem Journalismus.
4. Digitaler Journalismus ist von enormem Tempo geprägt.
5. Journalisten müssen trotz der wachsenden Hektik in der Lage sein, Sachverhalte auf ihre tatsächliche Relevanz zu beurteilen und diese sorgfältig zu prüfen.
6. Die Taktung der digital arbeitenden Redaktion wird wesentlich davon dominiert, dass Nutzer über den gesamten Tag verteilt permanent informiert und ihre Anfragen beantwortet haben wollen: Nie hatten Journalisten und Redakteure intensiveren Publikumskontakt.
7. Die Digitalisierung verändert auch das Redaktions- und Qualitätsmanagement tiefgreifend.
8. Durch die Möglichkeit, sich Quellen und Informationen mittels einer einfachen Suchmaschinensuche (v. a. Google) in die Redaktion zu holen, hat sich Recherche entlokalisiert, d. h. Orte und Akteure des Geschehens müssen nicht mehr persönlich von Journalisten aufgesucht werden.
9. Unterschätzt wird häufig die Tiefenanforderung digitaler Informationsangebote - vor allem im Mobilbereich.
10. Die Logik der digitalen Vertriebskultur erfordert innovative Erzählformen für mobile Anwendungen und eine auf Endgeräte konfektionierte Berichterstattung.
11. Die tägliche Arbeit des Digitalen Journalismus ist durchsetzt von Technik: Der zunehmende Einsatz von Hardware und Software-Tools stellt neue Anforderungen an die Kompetenzen in den Redaktionen.
12. Der hohe Stellenwert von Technologien aller Art materialisiert sich nicht nur im regen Einsatz technischer Hilfsmittel und Hardware... Zugleich erhöht sich bei zunehmender Technikabhängigkeit auch die Gefahr der Vernachlässigung von menschlich und analog gesteuerten Qualitätssicherungsmaßnahmen.
13. Das Berufsbild des Digitalen Journalisten setzt eine hohe Technikaffinität voraus.
14. Die Dialogisierung im Verhältnis zum Publikum ist in ihrer Intensität medienhistorisch neu.
15. Soziale Netzwerke sind im Digitalen Journalismus nicht nur Marketing-Kanal und Ergänzung zum regulären Vertriebsweg, sondern sie dienen dem Community-Building.
16. Trotz der prinzipiellen Bereitschaft der Nutzer, sich gemeinschaftlich an Dialogisierungs- und Produktionsprozessen zu beteiligen, ist eine Substitution des Journalismus durch das Publikum nicht absehbar, da der Großteil der Nutzer nie dauerhaft in eine Produzentenrolle wird schlüpfen wollen.
"Digitaler Journalismus" ist der Titel des Buchs von Stephan Weichert, Volker Lilienthal u.a., in dem auf gut vierhundert Seiten beschrieben ist, "inwieweit sich der Digitale Journalismus professionalisiert hat, welche Rolle die Teilhabe des Publikums und die technische Automatisierung in den Redaktionen spielen" (Klappentext).
So empfehlenswert das Buch auch ist, so verwirrend ist der Soziologen- und Fachjargon, der die Lektüre erschwert: "Das tradierte unidirektionale Kommunikationsschema von der Redaktion zum Publikum wird im Digitalen Journalismus aufgebrochen." Müssen gute Journalisten ihre Fähigkeit preisgeben, verständlich und klar zu schreiben, wenn sie in die Wissenschaft wechseln? Einer der forscht, wie Journalisten ihr Publikum erreichen, sollte der nicht versuchen, sein Publikum - eben Journalisten - zu erreichen?
Wie wäre es mit einer Kurzfassung als kleines Taschenbuch - für Ausbilder und alle, die sich um die Zukunft des Journalismus sorgen? Journalisten lesen keine dicken Bücher, durch die sie sich quälen müssen.
Das Buch ist in der Schriftenreihe der Landesanstalt für Medien in NRW erschienen: Vistas-Verlag, Leipzig, 26 Euro.
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