"Es gibt vieles bei den Grünen, was mir nicht gefällt. Aber meine Wahlentscheidung 2017 wird vorrangig daran hängen, welche Antworten Parteien auf die syrische Katastrophe, auf dieses gigantische Verbrechen gegen die Menschlichkeit geben", so Julian Reichelt. Zu kress.de sagt er: "Die Grünen haben damals in der Kosovo-Frage ihren Fundamentalpazifismus überwunden und für ihren Satz "Nie wieder Krieg" eine zeitgemäße Deutung gefunden, nämlich, dass Krieg gestoppt werden muss, wenn er erstmal losgebrochen ist. Ich mag keinen Veggie-Day, aber davor habe ich Hochachtung. Das macht diese Partei auch bei Syrien für mich glaubhaft."
Julian Reichelt begründet seine persönliche Entscheidung mit einem Interview, das Grünen-Bundesvorsitzender Cem Özdemir Annett Meiritz und Roland Nelles gegeben hat. Özdemir sagt auf "Spiegel Online" unter anderem: "Es gibt viele Möglichkeiten. Nichts tun ist die schlechteste Option." Und ergänzt: "Baschar al-Assads Armee massakriert die Zivilbevölkerung, erstickt dabei auch den letzten Funken Humanität, den es in einem Krieg geben kann, nämlich das humanitäre Völkerrecht."
Als Wahlempfehlung an die eigenen Leser, wie es vor allem US-amerikanische Zeitungen ja vor Wahlen machen, möchte Julian Reichelt seine Entscheidung allerdings nicht verstanden wissen: "Dafür wäre es auch noch deutlich zu früh, weil sich bis zur Wahl ja besonders in Hinblick auf Syrien noch viel ändern kann. Wenn die Politik weiter so nutz- und tatenlos zusieht, werden wir zur Bundestagswahl vielleicht schon gar nicht mehr über Aleppo reden, weil es Aleppo mit all seinen Menschen nicht mehr geben wird. Mir ging es darum, mit meiner Stimme die einzige Partei zu unterstützen, die in aller Klarheit ausspricht, was Assad und Putin in Aleppo anrichten und was dagegen zu tun ist. Bei einer Wahl wäre die syrische Katastrophe für mich derzeit das alles überragende Thema."
Gerade von Journalisten fordert Julian Reichelt mehr Haltung: "Nichts hat unsere Demokratie nötiger und nichts tut ihr besser als die offene Debatte", so Julian Reichelt, der vor allem auf Twitter keinem Konflikt aus dem Weg geht. "Beim Thema Syrien ist die Debatte viel zu leise, kaum vorhanden, wir haben uns alle bequem damit eingerichtet, dass wir leider nichts tun können, wenn in Syrien Kinder vergast oder in ihren Schulen und Kinderzimmern zerfetzt werden. Ich hätte das für unmöglich gehalten und wir werden uns im Rückblick alle dafür schämen", ist Reichelt überzeugt. Der Bild.de-Chef definiert den Job des modernen Medienmachers so: "Journalisten sollten nicht so tun, als hätten sie keine Meinung, als wären sie neutral, das glaubt uns eh kein Mensch. Wir sollten uns den wichtigen Debatten stellen und deutlich machen, wo und vor allem wofür wir stehen. Bei starker Meinung und klarer Haltung objektiv auf die Fakten blicken - das sehe ich als unseren Job."
Erst im September hatte Reichelt beim 4. Cyber Security Summit an der Universität von Stanford vor Russland gewarnt und einen "digitalen RIAS" gefordert. Reichelt verantwortet seit Februar 2014 als Chefredakteur Digital "Bild", davor berichtete er als Kriegsreporter unter anderem aus Afghanistan, Sudan oder Libanon.
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