Die "Journalismus"-Kolumne von Paul-Josef Raue: Luther wäre heute ein Journalist und Twitter-Meister

 

"JOURNALISMUS!" Die Paul-Josef-Raue-Kolumne eröffnet das Lutherjahr für Journalisten und lenkt den Blick vom Theologen zum Meister der Sprache und Erfinder des Bürger-Journalismus. Die offiziellen Feiern beginnen am 31. Oktober in Berlin, dem Reformationstag.

Heute würde Luther keine Kirche gründen. Er gründete eine Zeitung, eher ein Boulevard- Blatt als eine seriöse Zeitung,  er schätzte Kai Diekmann, ginge wie er mit den Mächtigen hart ins Gericht und schaute dem Volk aufs Maul  - aber redete ihm nicht nach dem Munde. Luther war derb, schlug mit der Sprache drein und bekämpfte nicht nur den Teufel mit Tintenfass und Sprache. Ein Draufgänger wie Böhmermann gefiele ihm, aber er wäre ihm noch zu zahm im Groll gegen einen Tyrannen; und Springer-Chef Döpfner, der Böhmermann verteidigte, schrieb Luther einen zustimmenden Brief, seitenlang. Auch die Mohammed-Karikaturen hätten seinen Gefallen gefunden, den Zeichner hätte er der benachbarten Cranach-Werkstatt in Wittenberg empfohlen.

Wie Kai Diekmann würde Martin Luther einen unfähigen Präsidenten fallenlassen. Luther wäre nicht zurückhaltend , sondern würde laut poltern - so wie er es tat bei einem der mächtigen Präsidenten seiner Zeit, dem Herzog Heinrich von Braunschweig. Luther nannte ihn einen Hanswurst und beleidigte ihn nach Strich und Faden:

"Unsinniger, wütender Tyrann, der sich voll Teufel gefressen und gesoffen hat und stinkt wie ein Teufelsdreck."

Schriebe heute ein Journalist so über einen Oberbürgermeister, Minister oder Präsidenten, riefe der gleich den Chefredakteur oder Verleger ab, drohte mit dem Presserat und einem Anwalt oder zöge gleich vor Gericht.

Luther könnte man zum Schutzpatron der Journalisten erheben, wenn man hinwegsähe, dass er ein Kritiker der Heiligen-Verehrung war und der letzte Katholik in der neuen Kirche, die seinen Namen trägt. Luther kannte noch keine Demokratie, aber er schuf die wesentliche Grundlage: Eine einheitliche und vor allem verständliche Sprache. Der Mann konnte schreiben und reden wie kaum ein Journalist heute.

Luther forderte die Redner bei den Pegida-Spaziergängen zur Debatte auf, um ihnen das Abendland so zu erklären, dass ihnen Hören und Sehen vergeht. Wer würde ihn an Derbheit überbieten können, wenn er redete wie einst über den "Hans Wurst":

"Wie lügst Du! Welch ein unverschämter Lügner bist Du! Speist viel und sagst nichts, lästerst und beweist nichts! Die Kunst kann auch eine Angst-Erzhure auf der Gasse sein, wo sie eine ehrliche Jungfrau rauft, einsackt, hurt und schändet."

Luther hat die deutsche Sprache nicht erfunden, aber er ist der Geburtshelfer der verständlichen deutschen Sprache. Die Wartburg ist der Geburtsort, hier hat er die Bibel erstmals so ins Deutsche übersetzt, dass die einfachen Leute sie verstehen konnten. Zwar wurde das Neue Testament auch vor Luther schon mehr als ein Dutzend Mal übersetzt, aber so schwach, dass der Mann auf der Straße weder Vergnügen an der Lektüre hatte, noch verstand, was dort geschrieben stand.

Luther hat der deutschen Sprache das Leben eingehaucht, er hat sie zu unserer, des Volkes Sprache gemacht; vor Luther war sie eine Sprache für die gebildeten Stände, für die Priester und den Adel. Das war Absicht: Ein sprachloses Volk begehrt nicht auf, es will vielleicht mitreden, aber kann es nicht: Ihm fehlen die Worte. Dies war schon einmal Thema der Journalismus!-Kolumne: "Hummeln im Arsch - Die Sprache der Journalisten". Darin war das Zitat zu lesen, das auf dem Start-Bildschirm jedes Reporters stehen könnte:

"Man muss die Mutter im Haus, die Kinder auf den Gassen, den gemeinen Mann auf dem Markt fragen und ihnen auf das Maul sehen: Wie reden sie? Und danach dolmetschen: So verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet."

Das ist eine Aufforderung an Journalisten heute: Verlasst Eure Redaktionen, die Ihr zu Elfenbein-Festungen ausgebaut hat! Hört den Menschen zu! Redet wie sie - aber redet Ihnen nicht nach dem Mund!

Eine lebendige Sprache ist so wichtig für eine Demokratie! Nur wenn die Bürger verstehen, ist der Staat auch ihre Sache. Nur wenn die Bürger wissen, was die Mächtigen tun, funktioniert der Staat. Die Mächtigen haben es dem Volk verständlich zu sagen, sie können sich nicht herausreden: Liebes Volk, das ist alles zu kompliziert für Euch! Das müsst Ihr schon uns überlassen.

Die Väter und wenigen Mütter des Grundgesetzes ahnten: Viele der Mächtigen in  einer Demokratie scheuen die Nachfolge Luthers und sprechen schwer verständlich, sie stehen in die Nachfolge der Priester mit ihrer geschraubten Spezial-Sprache. Die Macht verführt eben schnell, sie weiß um die Macht der Sprache und bringt sie in ihre Gewalt.

Weil sie den Politikern nicht trauten, schufen die Autoren des Grundgesetzes den Artikel 5 unserer Verfassung und gaben Journalisten ähnlich große Macht wie den Institutionen der Staatsgewalt. Diese Macht ist auch eine Verpflichtung: Schreibe und sprich so, dass es jeder verstehen kann! Wenn Journalisten so schreiben wie die Politiker und Bürokraten in den Verwaltungen, dann missachten sie den Auftrag der Verfassung.

Journalisten müssen also dolmetschen, so wie Luther es vorgemacht hat: Das ist ihre wesentliche Aufgabe. Denn was nützte eine tiefe Recherche, wenn sie keiner liest - weil sie unverständlich ist, mühsam und kompliziert?

In der Nachfolge Luthers bedienen sich Journalisten seiner Sprache - so wie sich auch Dichter bedienten wie Bertolt Brecht oder Georg Büchner in seinem Woyzeck: "Wenn wir in den Himmel kämen, müssten wir donnern helfen". Das ist Luther-Deutsch, drastisch und unmissverständlich.

In einem Luther-Disput in Erfurt wollte ein Pfarrer von der Derbheit der Sprache Luthers nichts mehr wissen: "Die Kirche ist nicht der Jahrmarkt, nicht das Kaufhaus und nicht die Talkshow. Dort ist man ein anderer Mensch und will Menschen anders ansprechen. Dürfen und sollten dafür nicht andere Sprachregeln gelten?"

Wolf Schneider, einer in der Nachfolge Luthers, widersprach: "Warum sollen Pfarrer in der Kirche anders predigen? Saftig, drastisch, auf den Punkt und unter mutiger Ignorierung alles auf der Universität Gelernten: Dann wird er auch verstanden." So wie Luther verstanden wurde.

Paul-Josef Raue (66) berät Verlage, Redaktionen und speziell Lokalredaktionen. Er war 35 Jahre lang Chefredakteur, zuletzt in Thüringen, davor in Braunschweig, Magdeburg, Frankfurt/Main und Marburg. Als er in der deutschen Revolution die "Eisenacher Presse" gründete als erste deutsch- deutsche Zeitung, entzündete sich seine Sympathie für die Wartburg, auf der Luther die deutsche Sprache erfand. Er schreibt künftig für einige Zeitungen die Stil-Lehre "Luther aufs Maul schauen", eine Kolumne in fünfzig Lektionen, die auch die HNA in Kassel ab Dezember für ihre Online-Sonntagszeitung übernehmen wird.

"JOURNALISMUS!" erscheint jeden Dienstag auf kress.de, wo auch Raues 20-teilige Serie "Journalismus der Zukunft" zu lesen ist. Sein Blog mit weit über tausend Einträgen: www.journalismus-handbuch.de

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